© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/13 / 19. April 2013

Fritze Hitler hieß er ja wohl nicht, oder?
Gefälschte Tagebücher Adolf Hitlers: Vor dreißig Jahren blamierte sich der „Stern“ und sorgte für den größten Medienskandal der Bundesrepublik
Paul Leonhard

Haben Sie Aktien vom Stern?, spottete der amerikanische Fernsehsender NBC in seiner „Today Show“, und der Moderator senkte den Daumen: „Verkaufen!“ Der 6. Mai vor dreißig Jahren war ein rabenschwarzer Tag für die Hamburger Illustrierte. Der Leiter des Bundesarchivs in Koblenz hatte gerade erklärt, daß die von Stern-Redakteur Gerd Heidemann entdeckten Hitler-Tagebücher eine Fälschung waren: Nach textkritischer wie materialtechnischer Prüfung durch drei Bundesbehörden könne den Papieren „keinerlei Authentizität“ zugesprochen werden. Da waren bereits zwei Serien falscher Hitler erschienen und eine dritte gedruckt.

Aus dem erhofften größten journalistischen Coup der Nachkriegsgeschichte wurde der „schwerste Reinfall der deutschen Pressegeschichte“, wie die Süddeutsche Zeitung seinerzeit konstatierte. „Wäre es keine Fälschung, so hätten wir hier die wichtigste zeitgeschichtliche Veröffentlichung seit 1945“, schrieb Rudolf Augstein fast bedauernd in seiner Kolumne: „Die Blamage trifft auch den Spiegel.“

Bis 1983 war der Stern mit einer Auflage von wöchentlich rund 1,65 Millionen Exemplaren eine der auch international angesehensten deutschen Illustrierten, nun war alles Vertrauen dahin. „Wir schämen uns vor unseren Lesern“, entschuldigte sich Stern-Gründer Henri Nannen, ein ehemaliger Angehöriger einer der SS unterstellten Propagandakompanie, im Fernsehen. Als „kollektives Versagen eines weltweit operierenden Verlags, einer hochbezahlten Redaktion und etlicher angesehener Gutachter“ wertete der Spiegel den Vorfall.

Fast zehn Millionen D-Mark hatte der Verlag Gruner + Jahr für 62 Tagebücher gezahlt, die Adolf Hitler geschrieben haben sollte, die aber eine „plumpe“ Fälschung waren, wie das Bundeskriminalamt bescheinigte. Mitarbeiter des Bundesarchivs sprachen von „einer grotesken, oberflächlichen Fälschung“ eines „intellektuell beschränkten Menschen“. Die Grundlage für das Machwerk bildete ein Klassiker: die 1962/63 erschienene Chronik „Hitler – Reden und Proklamationen 1932–1945“ von Max Domarus. Und hinter der Fälschung stand weder eine Fälscherwerkstatt in der DDR noch in Südamerika untergetauchte Nazis, sondern allein der aus dem ostsächsischen Löbau stammende, in Stuttgart lebende Militaria-Sammler Konrad Kujau.

Der hatte zwar schon immer NS-Schriftstücke produziert, war aber erst durch die ihm offerierten Stern-Millionen richtig in Schwung gekommen. Das Ganze sei „keine Fälschung“ gewesen, sondern „Gaudi“, sagte Kujau nach seiner Verhaftung dem Spiegel. Dort war man noch Monate zuvor auf dem besten Weg gewesen, ebenfalls der „Hysterie der Gläubigkeit“ zu verfallen, die die Stern-Verlagsleitung beim Anblick der „Tagebücher des Führers“ erfaßt hatte.

Nur leise Zweifel äußerte Spiegel-Herausgeber Augstein, nachdem der Stern am 25. April 1983 auf einer international besetzten Pressekonferenz seinen Fund bekanntgab: „Bislang spricht sehr viel mehr dafür, daß es gefälscht, als daß es echt ist, mehr nicht.“ Keine Skrupel hatten Sunday Times, Time und Paris Match. Sie zahlten sechs- bis siebenstellige Summen für die Nachdruckrechte.

Immerhin hatte der Spiegel zu diesem Zeitpunkt angefangen, zu recherchieren. Die Journalisten hatten einen Zeitzeugen aufgetrieben, der am 21. April 1945 als Angehöriger eines SS-Pionierersatzbataillons die Ladung aus der abgestürzten Junkers der Führerstaffel geborgen haben wollte. Im Wrack hätten sich lediglich sieben Leichen, ein Verletzter sowie 140 kleine Holzkisten mit jeweils vier Goldbarren, Metallkisten mit Pistolen und Munition befunden, aber keine Schriftstücke. Heidemann führte dagegen Aussagen der letzten Überlebenden des Führerbunkers als Beleg dafür an, daß mit diesem Flugzeug „persönliche Dokumente“ Hitlers aus Berlin ausgeflogen worden waren.

Lange Jahre galt Heidemann als Nannens bester Mann. Er war Kriegsreporter, lüftete das Geheimnis des Schriftstellers B. Traven, spürte abgetauchten NS-Größen nach und verfiel zunehmend der Götterdämmerung des untergegangenen NS-Reiches: Er verschuldete sich für Kauf und Sanierung der früheren Yacht Hermann Görings, soll eine Liaison mit dessen Tochter unterhalten haben, umgab sich mit ehemaligen SS-Generalen und träumte davon, mit deren Hilfe den letzten Geheimnissen des Dritten Reichs auf die Spur zu kommen. „Ich hatte Narrenfreiheit, denn Recherchen in diesem so brisanten Bereich erfordern entsprechende Kontakte“, sagte Heidemann 2012 dem Berliner Magazin Nitro.

 „Heidemann glaubte immer an das Verrückteste und Unwahrscheinlichste“, sagte ein ehemaliger Kollege. Offenbar besaß „Spürnase“ Heidemann die Gabe, andere von seinen Ideen zu überzeugen, mochten diese noch so absurd erscheinen. Seiner Suggestion unterlag nicht nur der Gruner + Jahr-Vorstand, sondern letztlich auch die Chefredaktion. Selbst Stasi-Chef Erich Mielke glaubte den Einflüsterungen Heidemanns mehr als den Recherchen seiner Offiziere und ließ am Stolpsee nach dem Bernsteinzimmer graben.

Im Auftrag des Stern wurden immer neue Tagebücher erworben. Um die Geheimhaltung der „Weltsensation“ nicht zu gefährden, wurden nur halbherzig Schriftgutachten eingeholt. Diese fielen positiv aus, weil, wie sich später herausstellte, Kujau-Fälschungen mit ebensolchen verglichen worden waren.

Daß alle Adjudanten Hitlers diesen als schreibfaul bezeichneten, wurde ignoriert. Auch die geschichtlichen Unstimmigkeiten in den Schriften fielen niemandem auf. Zweifelnde Historiker beschimpfte Stern-Chef Peter Koch, ein ehemaliger Spiegel-Redakteur, als „Archiv-Ayatollahs“.

Als bekannt wurde, daß alles eine Fälschung war, traf es nicht nur den Stern, sondern zahlreiche führende Medien der westlichen Welt. Wie konnte es sein, daß man den Nationalsozialismus allein unter dem Blickwinkel einer optimalen Vermarktung betrachtete? Wieso zeigten alle ein geradezu voyeurhaftes Interesse an Hitler?

Aber es ging auch um den Scheckbuchjournalismus und das Zurechtbiegen von Geschichten. Damit hatte Nannen den Stern groß gemacht, das war die von ihm geprägte Art des Journalismus. Die wöchentliche Aufschneiderei bis hin zur Fälschung sei der geeignete Nährboden gewesen für ein Klima, in dem Heidemann gedeihen konnte, schrieb der ehemalige Stern-Chefredakteur Manfred Bissinger. Ein „Gau des Journalismus“ war es für Erich Böhme, später Herausgeber der Berliner Zeitung: „Angekratzt der Ruf des gesamten Journalistenstandes als eine Horde sensationsgieriger Galoppins, denen Schlagzeilen und Auflage offenbar vor Seriosität und Sorgfalt gehen.“

Vollends zur Posse wurde die Geschichte vor Gericht. Während die Stern-Chefredakteure mit hohen Abfindungen das Haus verließen, fiel Heidemann, der bei der Präsentation als der „hartnäckigste, raffinierteste Reporter Deutschlands, der zäheste Spürhund“ gefeiert worden war, in Ungnade. Nannen verdächtigte ihn, Geld abgezweigt zu haben und erstattete Strafanzeige wegen Betrugs. 4,39 Millionen D-Mark werden bis heute vermißt. Obwohl Heidemann seine Unschuld beteuerte und das Hamburger Landgericht ihm bescheinigte, „als Mittelsmann für Millionenbeträge jegliches Maß und jede Übersicht verloren“ zu haben, wurde er zu einer Haftstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt.

Daß die Sache damit noch nicht ausgestanden war, vermutete der Spiegel 1985 am Tag der Urteilsverkündung: „Einer wird eines Tages gewiß erzählen, wie es wirklich war. Das kann man schließlich teuer verkaufen.“

Heidemann, heute 81 Jahre alt, pflegt immer noch in Hamburg sein riesiges Archiv und ist unermüdlich in eigener Sache unterwegs. In Vorträgern und Interviews sagt er offen, was er vom Stern und seinen ehemaligen Kollegen hält, und konstatiert: „Wenn man seine Feinde nur um wenige Tage überlebt, hat man schon gewonnen.“

 

Der Film zum Fall: Schtonk!

Der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher ist auch durch die brillant besetzte Komödie „Schtonk!“ (1992) von Regisseur Helmut Dietl in Erinnerung geblieben. In der grandiosen Satire verkörpert Götz George den Reporter Hermann Willié in Anlehnung an Gerd Heidemann, und Uwe Ochsenknecht spielt den schlitzohrigen Fälscher Fritz Knobel in Anlehnung an Konrad Kujau. In weiteren Rollen: Christiane Hörbiger als Nichte von Hermann Göring, Veronica Ferres als Muse des Fälschers sowie Harald Juhnke als Ressortleiter und Ulrich Mühe als Verlagschef.

Wertung: Den muß man gesehen haben!

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