© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

„Eingeschlafen auf den Lorbeeren“
Mut zur Geschichte: Das Institut für Staatspolitik veranstaltete sein Berliner Kolleg „1813 – 1913 – 2013“
Nils Wegner

Am Anfang habe die Frage gestanden, inwieweit das Jahr 1813 heute noch jemandem etwas sagen könne. Immerhin gebe es im Gegensatz zu anderen gewichtigen Jubiläen, beispielsweise dem Friedrich II.-Jahr 2012, hierzu keine Gedenkbriefmarken, -münzen oder ähnliches; so leitete Erik Lehnert, Geschäftsführer des Instituts für Staatspolitik (IfS), das 22. Berliner Kolleg am 13. April ein. Doch heißt es in Hellmut Diwalds 1983 erschienenem titelgebenden Buch „Mut zur Geschichte“ nicht umsonst: „Ein deutsches Geschichtsbild wird so lange fehlen, solange die Deutschen, das deutsche Volk nicht wieder ein Bewußtsein der wesensmäßigen Zusammengehörigkeit, der historisch begründeten Gemeinsamkeit besitzt und dies unmißverständlich ausdrückt.“

Vor diesem Hintergrund wollte das Kolleg denn eben auch das historische Bewußtsein der Teilnehmer prägen, indem es einen nationalen Nexus zwischen den deutschen Schicksalsjahren 1813 und 1913 sowie dem gegenwärtigen 2013 herstellte. Und dies entgegengesetzt zu Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau, die der Erhebung gegen Napoleon unisono ein „tödliches Sendungsbewußtsein“ andichteten und sie als „Baustein des Schuldstolzes“ (Lehnert) etablieren wollten.

Den ersten Vortrag hielt der Historiker und Träger des Wächterpreises der deutschen Tagespresse Jan von Flocken. Er sprach sehr ungezwungen und reichlich mit geschichtlichen Anekdoten garniert zum Thema „‘... wenn wir nicht aufhören wollen, Preußen und Deutsche zu sein’. Die Befreiungskriege und die Geburt einer Nation“. Obgleich Napoleon die Deutschen nach seinem erfolgreichen Feldzug als „braves, vernünftiges, kaltes und geduldiges Volk“ ohne Willen zum Widerstand eingeschätzt hatte, sei die anfänglich sehr wohl vorhandene „enthusiastische Faszination“ für die Franzosen binnen zweieinhalb Jahren in blanken Haß umgeschlagen.

Hinzugekommen sei der stete Zwiespalt im damals so noch nicht existenten „Deutschland“ gegenüber der Französischen Revolution – deren angebliche Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ von Flocken denn auch zurückwies und historisch klarstellte. Dennoch sei die für den Volksaufstand nötige Radikalisierung, die sich in Äußerungen wie der Ernst Moritz Arndts niederschlug, das Deutsche sei im Gegensatz zum Französischen „keine zusammengeschwemmte Mischlingssprache“, nur sehr schleppend in Gang gekommen – Preußens Königin Luise sprach gar davon, man sei „eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen“.

So war es denn auch Spanien, das zuerst gegen Napoleon aufstand; nicht aus ökonomischen Gründen durch die Kontinentalsperre, sondern aus glühendem Patriotismus. Das alles sei elementar für das Verständnis der deutschen Erhebung, doch zwangsläufig fast vergessen, nun, da man Napoleon als eine Art verhinderten Gründungsvater der „Vereinigten Staaten von Europa“ inthronisieren wolle.

Über die Möglichkeit des Menschen, sich am Ästhetischen aufzurichten, sprach danach der emeritierte Professor für Alte Geschichte Michael Stahl. Sein umfassendes Referat „Die Nationen fallen, aber sie erheben sich an den Denkmälern der Kunst und Wissenschaft wieder – Karl Friedrich Schinkel und die ästhetische Erziehung der Deutschen“ zielte auf die Darstellung einer politischen Philosophie und dezidierten Programmatik im Wirken des preußischen Königsarchitekten.

Stahl zufolge sei der tiefere Sinn dabei die Etablierung eines „Dritten Wegs“ jenseits der ausgetretenen politischen Wege gewesen: eben der Bildung, die vor allem Selbsterziehung sei. Dabei sei die Ästhetik insbesondere der Bauten ein unbewußtes „Signum gelingenden Lebens und Movens zu ihm zugleich“ – die Deutsche Klassik also der geistige Humus der deutschen Nationwerdung. Letztlich bestätige die pervertierte (Post-)Moderne dies nur, indem sie das Schöne in der Geschichte getötet habe.

Den Abschluß des nationalen Bildungsnachmittags vor rund 120 Zuhörern bildete der Exkurs des Historikers Karlheinz Weißmann über „1813 – 1913 – 2013. Die gelungene Rezeption eines Mythos und der fehlende Mut zur Geschichte“. Ihn amüsierte es sehr, daß als eine der wenigen Würdigungen des Völkerschlacht-Jubiläums ausgerechnet ein historischer Roman namens „1813 – Kriegsfeuer“ von einer Leipziger Autorin erschienen sei, der auf allgemeinverständlichem Niveau Hintergrundwissen über die Erhebung gegen Frankreich transportiere. Nur ein weiteres Symptom dafür, daß die DDR ein deutlich unverkrampfteres Verhältnis zu 1813 als Schlüsseljahr der deutschen Geschichte hatte?

Die damaligen Würdigungen des Freiheitskampfes seien in der heutigen Bundesrepublik jedenfalls „schlechthin unvorstellbar“. Nicht ohne historischen Grund: So sei beispielsweise der Oberschlesische Selbstschutz eine Wiederbelebung der befreiungskriegerischen Ideale gewesen. Es sei daher in der Bundesrepublik ausdrücklich darum gegangen, die „Erinnerung daran, was man sein könnte“, zu unterdrücken – eben jenes „wirkmächtige Bild der Vergangenheit“.

Gegen dieses Schweigen arbeitet das IfS an, und das 22. Berliner Kolleg lieferte einen gewichtigen Beitrag dazu.

Institut für Staatspolitik, Büro Berlin, Telefon/Fax: 030 / 75 54 98 78

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