© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

Keine Fingerabdrücke, keine Spuren
Das dunkle Netz: Im Internet boomt ein digitaler Schwarzmarkt für Drogen, Waffen und sogar Auftragskiller
Ronald Berthold

Die Freiheit des Internets hat eine furchtbare Schattenseite. Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, hat sich im „World Wide Web“ ein digitaler Schwarzmarkt etabliert, der die Dimensionen bisheriger Kriminalität sprengt. Hier können sich Verbrecher alles beschaffen, was sie zur Verrichtung ihrer Untaten brauchen: Auftragsmörder, Waffen, Sprengstoff. Das Angebot von Drogen und gestohlenen Kreditkarten wirkt dabei schon fast harmlos.

Kriminelle bieten seit Jahren im Schutz der virtuellen Anonymität für ihre Klientel nicht nur illegale Produkte. Gezahlt wird oft in Bitcoins, einer speziellen Internetwährung. Was früher noch heimlich und unter größter Vorsicht in dunklen Gassen oder Hinterzimmern geschah, kann heute bequem vom heimischen Laptop erledigt werden. Die Maschinenpistolen oder Giftmischungen kommen dann frei Haus. Und die Polizei ist gegen diese Verbrechensbörse nahezu machtlos.

Google listet die dunklen Kaufhäuser nicht, und mit einem normalen Browser, wie dem Internet-Explorer, kann auch niemand auf diese Seiten gelangen. Dennoch ist es für Verbrecher und Junkies einfach, dort einkaufen zu gehen. Alles, was sie brauchen, ist die Verschlüsselungssoftware „Tor“, die einst von der US-Navy entwickelt wurde, um abhörsicher im weltweiten Netz kommunizieren zu können.

Dieses Programm kann heute jeder problemlos im Netz herunterladen. Es bietet einen eigenen Browser und leitet den Internetzugang des Nutzers über diverse Server im Ausland, ohne daß deren Eigentümer davon wissen. Eine Rückverfolgung der an den illegalen Geschäften tatsächlich Beteiligten durch die Strafverfolgungsbehörden ist somit ausgeschlossen. Die Täter, sowohl die Verkäufer als auch die Käufer, können völlig unbehelligt ihren abartigen Geschäften nachgehen. Ihre wirklichen IP-Adressen werden nicht benutzt und daher auch nirgendwo gespeichert.

Die Verschlüsselungssoftware wird für den dunklen Handel mißbraucht. Daß sie auch ihr Gutes hat, zeigt die Realität in totalitären Staaten. Um nicht politisch verfolgt zu werden und um zu verhindern, daß die Regime ihre Pläne ausforschen, kommunizieren viele Dissidenten in Diktaturen über dieses Programm. Durch die zwischengeschalteten Server läuft das Internet zwar deutlich langsamer, aber es ist sicher.

Und das machen sich die illegalen Internetplattformen zunutze. Sie sind strukturiert wie normale Online-Kaufhäuser. Eines von ihnen ist der sogenannte „Black Market Reloaded“. Es wirbt gleich auf seiner Homepage mit dem Spruch „Einkaufen wie bei Amazon“. Und damit hat es leider recht. Die Kalaschnikow wird einfach in den Einkaufswagen gelegt, und dann geht es ab damit zur Kasse.

Kreditkarte war gestern. Um beim Bezahlen keine Spuren zu hinterlassen, tauschen die Kriminellen ihr Geld vorher in Bitcoins um. Dies ist völlig legal und wird auch von Online-Banken angeboten. Denn auch auf erlaubten Seiten wie Sex-Kontaktbörsen wird mit Bitcoins gezahlt. Diese virtuellen Münzen werden über „Tor“ auf Online-Konten der dunklen Webseiten eingezahlt. Und schon kann jeder schwere Junge problemlos shoppen gehen. Darf es vielleicht ein Auftragskiller sein? Kein Problem. Es läuft alles klinisch rein: Kein Treffen, kein Telefonat, keine Fingerabdrücke, keine DNS-Spuren.

Die Preise schwanken je nach Opfer: Ein Familienangehöriger kann schon für 20.000 Euro aus dem Weg geräumt werden, der Mord an einem Politiker kostet 100.000 Euro. Wie bei Ebay werden diese Dienste angeboten und abgewickelt. Nach abgeschlossenem Geschäft kann der Verbrecher seinen angeheuerten Mörder bewerten. Spätere Kunden wissen dann, wie zuverlässig er arbeitet.

Das Geschäft boomt. Experten schätzen, daß auf den virtuellen Schwarzmärkten Monat für Monat horrende Summen umgesetzt werden. Allein bei „Silk Road“, vorwiegend auf Rauschgift spezialisiert, wechseln demnach monatlich 1,9 Millionen Dollar den Besitzer.

Einmal ist immer das erste Mal. Wer neu im dunklen Netz unterwegs ist und vielleicht mit dem Kauf synthetischer Drogen anfangen will, kann sich vorher informieren. In Blogs im normalen Netz, die auch Google veröffentlicht, wird genau erklärt, wie man sich risikolos die furchtbarsten Dinge besorgen kann. Auf Youtube gibt es sogar lange Videos, die ausführlich zeigen, wie der Käufer den Schwarzmarkt findet und alles richtig macht, um dort unerkannt zu bleiben. Damit diese Einträge nicht gelöscht werden, distanzieren sich die Autoren von den illegalen Plattformen. Allerdings rühren sie mächtig die Werbetrommel und ziehen so immer mehr Gestalten mit dunklen Absichten an – auch jene, die womöglich ohne Internet nicht in die Kriminalität abgdriftet wären.

Wer früher Hemmungen hatte, mit Berufskillern in Kontakt zu treten, kann dies nun feige über das Internet tun. Und niemand braucht mehr jemanden aus der Halbwelt zu kennen, um an einen gefälschten Ausweis oder eine scharfe Waffe zu kommen. Gelegenheit macht Verbrecher.

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