© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Die Angst vor dem Scheitern
Bundestagswahl: Vor dem Parteitag der FDP in Nürnberg wächst in der Partei die Verunsicherung
Christian Schreiber

Auch wenn die FDP bereits weitaus schlechtere Zeiten erlebt hat: Wenn ihre Delegierten am kommenden Wochenende auf dem Bundesparteitag zusammentreffen, dürfte sich trotzdem keine wirkliche Aufbruchsstimmung einstellen. Zwar hat die Partei zuletzt einige Landtagswahlen erstaunlich erfolgreich absolviert, was dazu geführt hat, daß die größten Personaldebatten erst einmal vom Tisch sind und Parteichef Philipp Rösler einigermaßen fest im Sattel sitzt. Doch die politische Stimmung im Land ist weiterhin schlecht für die Liberalen.

Bei der Bundestagswahl 2009 erzielten die Liberale noch 14,6 Prozent, eine Halbierung des Resultats im kommenden Herbst würde man in der Partei mittlerweile als Erfolg ansehen. Auch wenn Außenminister Guido Westerwelle ein Ergebnis von „Neun plus x“ für realistisch hält. Doch die Zahlen der Demoskopen sprechen eine andere Sprache. Maximal fünf Prozent trauen ihnen die Meinungsforscher derzeit zu.

Zwar glaubt innerhalb der Partei kaum jemand, daß die FDP erstmals seit ihrem Bestehen aus dem Bundestag fliegen könnte, doch die Angst ist spürbar, daß der Regierungszug ab September ohne sie weiterfahren wird. Die letzte Chance, sich als Alternative zu einer großen Koalition ins Gespräch zu bringen, bietet sich nun in Nürnberg. Doch die FDP tut das, was sie in den vergangenen Jahren am liebsten tat. Sie streitet sich. Diesmal allerdings um Inhalte.

Röslers Forderung, die Partei möge in Nürnberg eine Zusage zu regional- und branchenspezifischen Mindestlöhnen beschließen, stößt beim Parteinachwuchs nicht auf Gegenliebe: „Wir brauchen keine staatliche Lohnfindung. Die Tarifparteien müssen gestärkt werden“, sagte der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker, der Passauer Neuen Presse. Rösler hatte im Vorfeld des Parteitags an das soziale Gewissen seiner Parteifreunde appelliert. „Uns Liberalen steht es gut an, den Blick auf die Lebenswirklichkeit zu werfen. Dabei sehen wir, daß Löhne von drei Euro nichts mit Leistungsgerechtigkeit zu tun haben“, sagte er Spiegel Online. Offenkundig hat die FDP Angst, daß die Union mit Angela Merkel ihr sozial-liberal gesinnte Wähler abspenstig machen könnte. Daß die Kanzlerin künftig lieber mit den Sozialdemokraten regieren würde, ist jedenfalls ein offenes Geheimnis.

Andererseits versucht sich die Partei erneut als Anwalt des Bürgertums zu positionieren. So fordert die Partei in ihrem vorläufigen Programm eine „Steuerbremse“. Sie will im Grundgesetz verankern, daß nicht mehr als die Hälfte des Einkommens an den Staat abgeführt werden muß. Einem verschärftes Erbschaftssteuerrecht sowie einer Vermögensabgabe und einer Vermögenssteuer steht die FDP sehr kritisch gegenüber, was die Teilnahme an einer sogenannten Ampelkoalition mit SPD und Grünen eigentlich ausschließen würde.

Einzig wirklich spektakulärer Punkt im Wahlprogramm ist die erneute Forderung nach einer Senkung des Solidaritätszuschlags, wenn möglich gar dessen Abschaffung. Ansonsten finden sich allerlei Halbherzigkeiten. Die FDP verzichtet auf griffige Themen, sondern setzt den Schwerpunkt auf gesellschaftliche Punkte wie die „Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften“. Die
Energiewende, die Kanzlerin Merkel durch die Koalitionsgremien peitschte und mit der die FDP ihre Klientel vor den Kopf stieß, wird dagegen ebenso verteidigt wie die milliardenschweren Rettungspakete zur Stabilisierung der Euro-Zone. Dabei verfolgt die Parteiführung die Gründung der „Alternative für Deutschland“ mit großem Unbehagen, versucht aber die neue Konkurrenz, die von der taz bereits als „bessere FDP“ bezeichnet wurde, kleinzureden. Dennoch untersuchte die Parteiführung in einer zwölfseitigen Analyse (siehe unten), ob sich die Liberalen vor der Konkurrenz fürchten müssen. Danach seien die Berührungspunkte innerhalb der FDP „sehr überschaubar“, ein nennenswerter Wählerwechsel sei nicht zu befürchten.

Dies ist eine überraschende Feststellung, ist die FDP doch die einzige der etablierten Parteien, abgesehen von den Linken, in der über die Euro-Rettung vehement debattiert wurde. Gerade der Kreis um den Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler steht vielen AfD-Positionen sehr nahe. Daß sich die FDP-Führung sehr wohl mit dem Thema beschäftigt, zeigt alleine schon die Tatsache, daß mit dem schleswig-holsteinischen Fraktionschef Wolfgang Kubicki während des Bundesparteitags erstmals ein Präsidiumsmitglied ein Treffen von Schäfflers „Liberalen Aufbruch“ besuchen will. Damit soll symbolisch unterstrichen werden, daß Euro-Kritiker auch in der FDP ihren Platz haben. Bisher hatte die Parteiführung jeden offiziellen Kontakt zum „Liberalen Aufbruch“ abgelehnt. Offenkundig geht es ihr nun darum, mögliche Brandherde im Kein zu ersticken. Im Bundestag wächst unterdessen die Unruhe unter den Abgeordneten. Viele fürchten, daß sie sich nach dem 22. September nach einer neuen Aufgabe umsehen müssen.

Die FDP-Führung setzt derweil darauf, daß ihre Wahlergebnisse in der Vergangenheit oft höher waren als die Meinungsumfragen. So könnte das liberale Motto für die kommenden Monate in Ermangelung eines zündenden Wahlkampfthemas auch heißen: „Es ist noch immer gut gegangen.“

Foto. FDP-Chef Philipp Rösler: Mögliche Brandherde in der eigenen Partei sollen im Keim erstickt werden

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen