© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

„Unsinnig und existenzbedrohend“
Ausflugsschiffahrt: Bundesregierung verschärft Sicherheitsauflagen / Tiefliegende Fenster müssen ab 2014 Scheiben aus Panzerglas haben
Christian Schreiber

An der Waterkant gilt die oft mittelständisch organisierte Branche als „geradezu unfallfreies Geschäft“. Die Rede ist von den beliebten Ausflugsschiffen auf der Nord- und Ostsee. Sie erfreuen sich bei Küstenbewohnern und vor allem den zahlreichen Touristen großer Beliebtheit. Doch damit könnte es schon bald vorbei sein. Beziehungsweise könnte sich der Wettbewerb erheblich „verschlanken“, um es im Polit- und Manager-Sprech zu formulieren.

Denn das Bundesverkehrsministerium hat sich entschlossen, ohne Not die „Internationale Freibordverordnung“ (LLC 66/88) auch für die Ausflugsschiffe neu zu schreiben. Dabei handelt es sich um eine Regelung, die eigentlich für Schiffe auf großer Auslandsfahrt gilt. Mit der jetzigen Novellierung wird das deutsche wesentlich schärfer als das EU-Recht. Die Betreiber müssen nun nach einer gewissen Übergangszeit neue Sicherheitsauflagen erfüllen. „Sie sind der Tod der Ausflugsschiffahrt“, klagte Ansgar Stalder, Chef der Kieler Schlepp- und Fährgesellschaft in der Norddeutschen Rundschau. Für viele Reedereien seien die Umbaukosten einfach zu hoch.

Ab dem kommenden Jahr müssen die Schiffe mit tiefliegenden Fenstern sogar Scheiben aus Panzerglas haben. Alternativ können auch Bullaugen eingesetzt oder aber Seeschlagblenden montiert werden. Automatische Sprinkleranlagen werden ebenfalls Pflicht, und die Anforderungen für den Fall eines Wasser­einbruchs wurden deutlich erhöht. Die Folge: Viele Ausflugsdampfer werden in dieser Saison wohl zum letzten Malfahren. Zurückbleiben werden die, die sich die hohen Investitionen – Experten sprechen von hohen fünfstelligen Beträgen pro Schiff – leisten können. Bernd Appel, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Nautischen Vereins erklärte resigniert: „Künftig gelten Sicherheitsstandards wie auf Hochseeschiffen. Das ist unsinnig und existenzbedrohend.“

Mittelständische Einzelkämpfer werden diesen Existenzkampf wohl nicht gewinnen können. Größere Reedereien wie die Adler-Schiffe auf Syslt dagegen schon. „Wir sind nicht begeistert, aber es hätte noch schlimmer kommen können“, meinte deren Chef Sven Paulsen in der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung. Paulsen saß für den Verband der Reeder mit am Verhandlungstisch und sagte anschließend einigermaßen zufrieden: „Wir haben die Umrüstung erstritten. Ohne diesen Kompromiß wäre ein großer Teil der Ausflugsflotte 2018 komplett ausgemustert worden.“ Derzeit verkehren etwa 70 Ausflugsschiffe an Nord- und Ostsee. Hätte die Bundesregierung eine Umrüstung nicht zugelassen, wären rund 40 von ihnen aus dem Verkehr gezogen worden.

Die Adler-Schiffe unterhalten derzeit 20 Ausflugsdampfer, davon sind 13 von den Umrüstungsmaßnahmen betroffen. Paulsen beziffert die anfallenden Kosten auf möglicherweise mehr als zwei Millionen Euro. Der Deutsche Nautische Verein will weiterkämpfen, um den Wettbewerb zu erhalten. Im Gespräch ist eine Sonderregel, wonach die Schiffe nur bei gutem Wetter auslaufen dürfen. Denn auch die Touristen werden betroffen sein. „Bauen wir um, steigen die Fahrpreise. Das ist klar“, sagt Adler-Chef Paulsen.

Wollte sich CSU-Ressortchef Peter Ramsauer maritime Meriten verdienen, hätte er in einem anderen tatsächlich internationalen Fahrwasser viel für die Sicherheit zu tun: Auf Nord- und Ostsee wächst der Schiffsverkehr, allein in der Ostsee werden 400.000 Schiffsbewegungen pro Jahr registriert – darunter immer mehr Öltanker, die in russischen Häfen beladen werden. Sie sind oft von deutschen Sicherheitsstandards weit entfernt. Die Kadet-Rinne nahe der Vogelparadiese und Strände Mecklenburgs und Vorpommerns ist inzwischen einer der meistbefahrenen Seewege Europas. Doch erst ab 2015 sollen Doppelhüllen für alle Tanker Pflicht sein. Und die zunehmende Gefahr durch immer mehr Windparks ist offensichtlich dabei noch gar nicht einkalkuliert.

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