© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Statt Sartre und Camus eine knochige Kehrseite
„Neue Ernsthaftigkeit“: Im New Yorker Kulturbetrieb wird jetzt die postironische Aufrichtigkeit ausgerufen
Andreas Wild

Fortschritt an der Bildungsfront droht. Im westlichen Kulturbetrieb (zumindest in dem von New York), so lesen wir in der Berliner tageszeitung, sei eine neue bahnbrechende Kunstrichtung etabliert worden, nämlich die „New Sincerity“, altdeutsch: „Die neue Ernsthaftigkeit“. Bedeutende Künstlerinnen wie Miranda July oder Lena Dunham, letztere die Erfinderin der TV-Serie „Girls“, gäben sich bereits die größte Mühe, ihre Werke an einer „postironischen Aufrichtigkeit“ auszurichten und ihr Publikum ernsthaft mit aufrüttelnden Perspektiven zu konfrontieren.

Der taz-Reporter Johannes Thumfart ist hellauf begeistert. „An Dunhams unförmigen Titten zeigt sich das Individuum in seiner existentiellen Tragik zwischen dem Sein und dem Nichts. Am knochigen Hintern Julys das Unbehagen in der Kultur“, schreibt er. „Dunham und July, die sich in ihren Filmen selbst spielen, unterziehen die eigene Sexualität einer viel subtileren Entblößung als dies in den Nullern üblich war.“

Und weiter der Rhapsode Thumfart: „Bei der Neuen Ernsthaftigkeit geht es dreckig zu, peinlich, grobmotorisch – niemals aber um den Tabubruch. Die Verballhornung des Körpers (…) ist Ausdruck einer Gesellschaft, in der Aufrichtigkeit das denkbar knappste und daher wertvollste Gut ist. Ihre Authentizität liegt gerade in der Tragik des Künstlers, seinem Lavieren zwischen Momenten der Aufrichtigkeit und ihrer Vermarktung: Symptom einer massenhaften Suche nach dem Richtigen im Falschen.“

So ändern sich halt (laut taz) die Zeiten. Wenn aufgeweckte junge Leute früher über die Tragik der menschlichen Existenz belehrt werden wollten, fuhren sie nach Paris ins Café de Flore, um den Reden der Sartre, Camus oder Lacan zu lauschen. Heute soll es genügen – nach der Empfehlung fünftklassiger Feuilletonredakteure –, den knochigen Hintern irgendeiner fünftklassigen Künstlerin zu besichtigen.

Das ist keine „Tragik“, das ist nicht einmal mehr zum Lachen. Höchstens zum Sichtotlachen. Die neue Ernsthaftigkeit ist bloßes Affentheater.

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