© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

CD: Nick Cave
Pathos und Komik
Georg Ginster

Nick Cave gehört zu jener Heerschar von Musikern, die einst den Urknall des Punk durchlebten, um von ihm ausgehend höchst unterschiedliche Musikerkarrieren einzuschlagen. Der rote Faden der seinen ist eine Band, die seit dreißig Jahren besteht und in dieser Zeitspanne trotz eines unablässigen Kommens und Gehens der Mitwirkenden ihre Firmenphilosophie bewahren konnte: Nick Cave & The Bad Seeds bieten ihren Hörern das Gefühl, etwas Bedeutungsvolles zu erleben, das weit über die Musik hinausreicht.

Caves Originalität liegt in seinen Texten, die einer Dreigro-schenoper des Punk entlehnt zu sein scheinen, er erzählt mit theatralischem Pathos verschlüsselte und mit biblischen Metaphern aufgeladene Balladen über archetypische Figuren mit einer Selbstverständlichkeit, als interpretierte er bloß altvertraute Legenden neu. Musikalisch hingegen lag er dem Mainstream stets näher, als es seinen Hörern recht sein konnte, und je älter er wurde, desto mehr verlor er die Scheu, dies auch offen zu zeigen. Der romantische Dämon war in ihm nie so mächtig, daß er zu den Evergreens der Popkultur von Louis Armstrong bis zu Bob Dylan in seinen Cover-Versionen oder heimlichen Paraphrasen auf eine glaubwürdige ironische Distanz hätte gehen können.

Nun, auf seiner neuesten CD, „Push the Sky Away“ (Bad Seed Ltd./Rough Trade), versteht er es, mit maßgeblicher Unterstützung durch Warren Ellis, seinen Partner auch in dem aggressiv-brachialen Projekt Grinderman, dem Abgleiten in den verlockenden, süßlichen Kitsch ganz ohne eruptive Überraschungsmomente zu entgehen. Ihr durchgängig langsames Tempo ist nicht neu, die Hörer kennen es von „The Boatman’s Call“, doch jetzt gelingt es Cave, nicht mehr nur erbaulich dahinzuplätschern, sondern drängende Unruhe auch und gerade in den Momenten äußerster Entschleunigung, wie insbesondere dem Titelsong, wachzurufen. Seine eigentliche Mission ist damit enthüllt: den Blues und die Rock-Ballade so weit zu entschlacken, daß dem Bedürfnis nach ihnen die Nostalgie fremd sein kann.

Allerdings darf von Cave als Mitfünfziger wohl nicht mehr erwartet werden, daß er auch noch an seinem affektierten Bühnengehabe arbeitet. Welche Komik diesem innewohnt, kann auf Youtube anhand eines Fernsehauftritts der Wiener Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune nachvollzogen werden, die mit „Foi net um“ nicht nur einen seiner älteren Songs, sondern zugleich seinen Habitus getreulich nachempfindet.

Diese Cover-Version ist der Einstieg in das dritte Album der aus vier Moderatoren des österreichischen Hörfunksenders FM4 bestehenden Band, das mit seinem Titel, „Loss Mas Bleibm“ (Trikont), wie auch in der Gestaltung des CD-Covers die letzte Studio-LP der Beatles parodiert.

Zu den besonderen Stärken der Neigungsgruppe gehört das Vermögen, Klassiker der Popgeschichte in Sprache (bzw. Dialekt), Arrangement und Stimmung mitunter bis zur Unkenntlichkeit dem schwarzhumorigen Wiener Ambiente einzuverleiben. Auf dieser CD sind neben Cave etwa Nirvana und Velvet Underground an der Reihe. Hier ist noch reichlich zu tun, und daher wäre es bedauerlich, wenn die Band ihrer Ankündigung, den Betrieb einzustellen, tatsächlich treu bleiben sollte.

Nick Cave & The Bad Seeds, Push the Sky Away Bad Seed Ltd./Rough Trade, 2013

www.rough-trade.net

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