© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Die wirtschaftende Frau
Die überraschende Aktualität von Helmut Schelskys Aufsatz „Wandlungen der deutschen Familie“ von 1953
Volker Kempf

Deutsche Familien wurden durch Krieg und Vertreibung auseinan-dergerissen. Die Männer waren millionenfach gefallen, gefangen oder kriegsversehrt. Um so mehr hatten Frauen zu leisten. Sinnbild dafür wurden die „Trümmerfrauen“, die die Rolle der Arbeiterin, Mutter und Hausfrau in einem einnahmen. Der Soziologe Helmut Schelsky hatte darüber 1953, vor sechzig Jahren, seine erste umfangreiche Untersuchung vorgelegt, die ihn über Fachkreise hinaus bekannt machte: „Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart“.

Schelsky sah eine „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ aufziehen, die sich durch Schichtdurchlässigkeit auszeichnen sollte. Das „Wirtschaftswunder“ machte diese Diagnose rasch populär. Weniger in Erinnerung geblieben ist, daß Schelsky die weibliche Doppelrolle aus faktischer Berufstätigkeit einerseits, Hausfrau und Mutter andererseits, als Menetekel für die Wunschwelten von Radikalfeministinnen wie Simone de Beauvoir ausmachte. Die Rolle der Frau könne nicht von der Mutterschaft abgelöst und einseitig vom Erwerbsleben her definiert werden. Das werde in praktischer Konsequenz zur Funktionsüberlastung führen. Es würde verkannt, daß die Rolle der Frau durch „Tiefenschichten und Gesetzesabläufe des politischen, sozialen und anthropologischen Geschehens bestimmt“ werde.

Undurchdacht sei auch die Vorstellung, daß wenn der Frau die Zukunft in den modernen großorganisatorischen Sozialstrukturen gehöre, sich dann eine Humanisierung in ihr ausbreite. Erstens hatte Schelsky eigene betriebssoziologische Untersuchungen vorgenommen, nach denen gerade Frauen ihre Geschlechtsgenossinnen als Vorgesetzte am wenigsten akzeptierten. Zweitens würden Frauen an den Sachgesetzen moderner Strukturen, die als inhuman empfundenen würden, kaum etwas ändern können. Frauen würden vielmehr mit den Anforderungen moderner Gesellschaften zusätzlich belastet. Es komme de facto zu „einer ‘doppelten’ Berufstätigkeit’“, wie Schelsky 1961 in seiner Abhandlung über „Die Bedeutung des Berufes in der modernen Gesellschaft“ noch einmal präzisierte.

Zudem bekomme den Kindern eine Doppelbelastung der Mütter am allerwenigsten: „Wir wissen, daß die Schäden, die etwa dem Kleinkind durch die dauernde aushäusige Berufstätigkeit der Mütter zugefügt werden, sehr schwerwiegend und weitreichend sein können. Ganze Apparaturen der Gesellschaft (Child-Guidance-Kliniken, Ärzte, Fürsorge usw.) werden später zur Heilung der so erwachsenen Schäden eingesetzt.“ Für Schelsky waren die neueren radikalfeministischen Überlegungen also voller „utopischer Elemente“, das heißt voller Wirklichkeitsverweigerung und an der „Zerstörung und Umformung einer gegebenen Gesellschaft interessiert“.

Schelsky war die Wirtschaftsstruktur einer modernen Gesellschaft „nicht familienkonform und umgekehrt unsere Familien- und Haushaltsstruktur nicht berufskonform“. Ein Dilemma, das die Frau damals in der Regel dadurch löste, daß sie der Familienarbeit durch Aufgabe ihres Berufes zumindest zeitweise den Vorrang einräumte. Der damit erbrachten wichtigen Leistung für die Familie und auch die Zukunft des Staates wurde mit dem Ehegattensplitting, das Verdienstausfälle in einem bescheidenen Maß kompensieren helfen sollte, Rechnung getragen, so Schelsky.

Wenn heute ein vergleichsweise kleiner Betrag für ein Erziehungsgeld von monatlich 150 Euro zum Zankapfel der Nation wird, während in den Ausbau von Kindertagesstätten und Ganztagsschulen selbstverständlich Milliardenbeträge fließen, dann zeigt das, wie sehr strukturelle Voraussetzungen geschaffen werden, die die Familien wirtschaftskonformer machen sollen. Es fügt sich daher nur einem Trend der Zeit, wenn der Präsident der Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, kürzlich forderte, die Familien seien so weit wirtschaftskonform, daß die Elternzeit auf ein Jahr reduziert werden könnte.

Wird die immer wirtschaftskonformer gemachte Familie in Krisenzeiten aber noch leisten können, was Familien vor über sechzig Jahren mit dem in Trümmern liegenden Deutschland noch an Wiederaufbau von Wirtschaft und christlich geprägter Kultur zu leisten vermochten? An den gestiegenen Scheidungsraten und dem zunehmenden faktischen Zwang zur Erwerbsarbeit von Müttern von Kleinkindern gemessen, ist die Familie in Paralyse begriffen. Wie sehr Vorstellungen von intakten Familien schon außer Kraft gesetzt wurden, darüber lassen die schrittweise nachgegebenen Bestrebungen keinen Zweifel, homosexuelle Paare mit klassischen Familienmodellen gleichzustellen.

Wie der österreischische Sozialhistoriker Michael Mitterauer bereits vor zwanzig Jahren zu den „Entwicklungs-tendenzen der Familie“ feststellte, ein „Verschwinden der Familie“ könne es nicht geben, nur ihre „Umformung“, also Wandlung. Erleidet aber das, was da sich angeblich nur wandelt, also an neue Begebenheiten sich anpaßt, nicht auch einen Funktionsverlust, eine Schwächung und Zerstörung? Immerhin war es das offen formulierte Ziel der 68er, die Familie „zu überwinden“, um so die Voraussetzung „für mehr Gleichheit aller“ zu schaffen. Wo etwas zerstört wird oder zusammenbricht, wird gerade bei Soziologen schnell von einer Wandlung gesprochen und so eine Fehlentwicklung zerredet. Sechzig Jahre nach Schelskys „Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart“ wäre eine Untersuchung über „Zerstörungstendenzen der Familie in der Gegenwart“ an der Zeit.

 

Volker Kempf ist Autor der Biographie „Helmut Schelsky – Wider die Wirklichkeitsverweigerung: Leben, Werk, Aktualität“ (Olzog-Verlag, München 2012)

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