© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Er war nur ein kleines Rädchen
Eckart Michels über den Spion Günter Guillaume
Friedrich-W. Schlomann

Über Guillaume wurde schon viel geschrieben. Das aktuelle Buch indes beschreibt anhand bisher verschlossener Akten recht detailliert die damalige Bonner Atmosphäre und ist zugleich eine interessante Fallstudie der DDR-Spionage. Guillaume wurde 1953 von deren Abteilung II, Referat 4 (SPD) verpflichtet, weil sich jene Kreise für die Ausspähung „als anfälliger erwiesen“.

Nach seiner Einschleusung in die Bundesrepublik war er in der SPD Hessen überaus aktiv. Weitsichtig empfahl Spionagechef Markus Wolf ihm engere Kontake zu Georg Leber vom rechten SPD-Flügel, vielleicht würde dieser Minister und er später sein Assistent. Guillaume stieg dann 1969 tatsächlich zum Hilfsreferenten im Kanzleramt auf. Sein fehlendes Hochschulstudium, so Minister Horst Ehmke, würde durch „dessen Lebenserfahrung und polisches Gespür“ ersetzt. Bedenken des BND und Egon Bahrs wies dieser zurück, Widersprüche im Lebenslauf sah er nicht.

Enttarnt wurde er durch Zufall: Sein Name tauchte in verschiedenen Fällen auf, und entschlüsselte Funksprüche führten zu ihm. Der Verfassungsschutzpräsident informierte Innenminister Genscher und dieser Brandt – jeder indes verließ sich auf den anderen, das Erforderliche zu tun. Die Observation des Spions erfolgte nur sporadisch – aus Personalmangel und Kostengründen! Der Rücktritt Brandts nach Guillaumes Verhaftung war „nur der dramatische Schlußpunkt“, der Bundeskanzler war ohnehin zermürbt durch den ständigen Kampf mit Wehner.

Entgegen der verbreiteten Ansicht, Guillaume habe nahezu unbegrenztem Zugang zu brisanten Informationen gehabt, war er nur ein kleines Rädchen im Kanzleramt, hatte weder Zugriff auf Kabinettssitzungen noch militärische Planungen. Seine Berichte, so Markus Wolf später, konnte man auch bald westdeutschen Zeitungen entnehmen. Wohl las Guillaume auf Brandts Norwegen-Urlaub Regierungsdokumente mit höchster Geheimstufe, doch die DDR-Kurierin fühlte sich (unnötig) beschattet und warf den Koffer mit Guillaumes Kopien verängstigt in den Rhein.

Nach dem späteren Austausch spürte Guillaume enttäuscht das Mißtrauen seiner eigenen Leute und bat dann Markus Wolf, seiner Beerdigung fernzubleiben.

Eckard Michels: Guillaume, der Spion. Eine deutsch-deutsche Karriere. Ch. Links Verlag, Berlin 2013, gebunden, 416 Seiten, 24,90 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen