© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Offensiv waren nur die Flammenwerferzüge
Rolf Büttner offenbart Hintergründe über die chemische Abteilung der Nationalen Volksarmee
Jürgen W. Schmidt

Es ist kein Geheimnis, daß es in der NVA eine spezielle Waffengattung „Chemische Dienste“ gab. Doch ranken sich immer noch Legenden um den angeblichen Besitz von chemischen Kampfstoffen seitens der NVA. Aufgeschreckt durch alarmistische Presseberichte, unternahmen Bundeswehrspezialisten deshalb im Juli 1990 eine überraschende Inspektion in mehreren NVA-Standorten, natürlich ohne die angeblich vorhandenen „Tausende von Tonnen Kampfstoffe“ zu finden, welche hier in desolaten Tanks lagern sollten.

Unter Herausgeberschaft des letzten Chefs Chemischer Dienst der NVA haben sich zwanzig vormalige Offiziere jenes Dienstes zusammengefunden, um eine bemerkenswert objektive und sachliche Geschichte der Entwicklung von Struktur, Gerätschaften und Einsatzprinzipien der chemischen Truppen der NVA zu veröffentlichen. Die chemischen Truppen hatten nicht die Aufgabe, selbst chemische Kampfstoffe zum Einsatz zu bringen. Sie sollten vielmehr die Kernstrahlungs- und chemische Lage beobachten und bei Einsatz von Massenvernichtungsmitteln durch den Gegner die Entgiftung und Entaktivierung durchführen.

Aus strukturellen Gründen waren den chemischen Truppen vereinzelt einige leichte „Flammenwerferzüge“ angegliedert, die einzige reale „Waffe“, über welche die Waffengattung verfügte. Erster Chef Chemischer Dienst der Kasernierten Volkspolizei und späteren NVA war übrigens ein früherer Korpsartilleriechef und Wehrmachtsoberst namens Günter Ludwig, ein Sohn des Chefs des Heereswaffenamtes der Reichswehr und Generals der Artillerie Max Ludwig. Die Schilderung der intern getroffenen Vorbeugungsmaßnahmen beweist übrigens, daß man seitens der NVA die Tschernobyl-Katastrophe keinesfalls so gelassen aufnahm, wie die offizielle DDR-Propaganda vermuten ließ.

Rolf Büttner (Hrsg.): Die „Chemiker“ der NVA und der Grenztruppen der DDR. Verlag Dr. Köster, Berlin 2012, gebunden, 258 Seiten, Abbildungen, 29,80 Euro

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