© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Vorboten der homogenisierten Welt
Die Ausbreitung invasiver Arten ist nicht nur eine Folge der Globalisierung / Zusätzliche Bedrohungen
Christoph Keller

Die multikulturelle Gesellschaft ist grandios gescheitert“, erklärte Angela Merkel in ihrer Gastrede auf dem CSU-Parteitag im November 2004. Für diesen Befund lassen sich seither immer mehr Belege finden. Dennoch wird darüber, ob die Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen eine „Bereicherung“ für Europas Nationalstaaten darstellt, in Politik und Sozialwissenschaften weiter heftig gestritten.

Hingegen ist die naturwissenschaftliche Frage, ob „biologische Invasionen“ natürliche Lebensräume „bereichern“, bereits seit langem eindeutig beantwortet: „Invasive Arten“, so resümiert der am Phyletischen Museum in Jena tätige Zoologe Gunnar Brehm seinen Überblick über die Gefährdung von Ökosystemen durch nichtheimische Arten (Naturwissenschaftliche Rundschau, 3/13), bewirken keine Bereicherung, sondern eine Verarmung betroffener Habitate. Nur wer einen „globalen Zoo und einen Botanischen Garten in einer biologisch homogenisierten Welt“ anstrebe, „in dem die biogeographischen Grenzen aufgelöst werden und die biologische Einmaligkeit von Regionen immer weiter schwindet“, der dürfe den Verlust an Biodiversität ignorieren, die sich aus der „Zuwanderung“ fremder Tiere, Pflanzen, Pilze, Bakterien und Viren ergebe.

Brehm, 2002 über die Vielfalt von Nachtfaltern in den Bergregenwäldern Ecuadors promoviert, veranschaulicht die bislang schlimmsten Verheerungen durch invasive Arten an Beispielen aus tropischen Regionen. So ist die Braune Nachtbaumnatter (Boiga irregularis) – einst nur heimisch in Indonesien und Australien – 1945 auf die während des Pazifikkrieges heftig umkämpfte Insel Guam eingeschleppt worden, wo es keine Schlangen gab. Bis heute hat die hinsichtlich Beutespektrum und Anspruch an den Lebensraum äußerst flexible Natter von drei Fledermausarten zwei und von Guams Eidechsenarten fünf ausgerottet.

Die endemischen Vogelarten auf dem US-Militärstützpunkt sind ihr fast vollständig zum Opfer gefallen. Der Eindringling wird zwar rigoros bekämpft und die Austilgung der Nattern-Population ist erwünscht, aber die unerschwinglichen Kosten einer definitiven Extermination veranschlagen die US-Behörden auf mehrere hundert Millionen Dollar. Ähnlich drastische Konsequenzen hat der Import des Hermelins nach Neuseeland, der Aga-Kröte nach Australien und des Kleinen Mungos auf karibische Inseln. Das Hermelin, eingeführt auf Druck der Farmerlobby, sollte die Kaninchenplage eindämmen, dezimierte aber Neuseelands Vogelwelt. Ebenso zur biologischen Schädlingsbekämpfung gedacht war die auf den Zuckerrohrkäfer angesetzte Kröte, die sich selbst als Landplage entpuppte, während der Mungo zwar Ratten und Schlangen zu Leibe rückt, aber sich wie das Hermelin „selbständig“ gemacht hat und die übrige karibische Fauna bedroht.

Der bekannteste tierische Exot in Deutschland ist der Waschbär (Procyon lotor). Die wenigen, 1934 ausgesetzten Exemplare dieses nordamerikanischen Raubtieres haben sich unvorstellbar vermehrt: 2011 soll der deutsche Bestand bereits eine Million Tiere gezählt haben. Auch die Pazifische Auster (Crassostrea gigas), in Japan und Korea beheimatet, nicht so fotogen wie der Waschbär und daher öffentlich kaum präsent, gehört für Brehm gleichwohl zu den spektakulär erfolgreichen Invasoren in deutsche Biotope. Wie neuseeländische Farmer aus Profitgier das Hermelin protegierten, so erwarteten Muschelfischer der Nordseeküste von der Pazifischen Auster höchste Erträge. Seit 1986 wird die Art sogar im Nationalpark Wattenmeer kultiviert, nachdem Biologen der Universität Hamburg mit einem Gutachten grünes Licht gegeben hatten, dem zufolge eine selbständige Vermehrung der Riesenauster auszuschließen sei.

Eine fatale Fehleinschätzung, denn inzwischen, so klagt Brehm, verdränge die Auster großflächig die heimische Miesmuschel. Was sich wiederum störend auf die Nahrungskette des Wattenmeeres auswirke. Denn von Miesmuscheln ernähren sich Eiderenten, deren Bestände kontinuierlich schrumpfen. Zwar sei die Kausalität noch umstritten, aber für die Auster drängt sich der Schädlingsverdacht wohl auf.

Die Invasion fremder Arten ist kein Phänomen, das auf Tiere (Neozoen) beschränkt ist. Auch Pflanzen (Neophyten) dringen auf breiter Front ein. Die in europäischen Küstenregionen mittlerweile omnipräsente, ursprünglich nord­asiatische Kartoffelrose (Rosa rugosa) verdrängt die angestammte Dünenvegetation. Das eingeschleppte nord­amerikanische Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia) schlug reichlich Wurzeln, und die allergischen Reaktionen, die ein Kontakt mit ihm auslöst, könnten viel Geld für medizinische Behandlungen verschlingen.

Invasive Arten stellen für etwa dreißig Prozent der gefährdeten Vogel- und zehn Prozent der gefährdeten Amphibienarten eine zusätzlich Bedrohung dar. Fast kurios, wenngleich für Brehm keinesfalls harmlos, wirken dagegen die aus allen Weltgegenden von Privathaushalten georderten Tiere und Pflanzen, die ihre Besitzer nur kurz erfreuen und dann „entsorgt“ werden, wie etwa der asiatische Tigerpython in Florida.

Für Brehm ist das „Politikum“ biologische Invasionen eine Folgelast des im Zuge der Globalisierung expandierten interkontinentalen Warenverkehrs. Da er primär die gravierenden ökologischen wie ökonomischen Schäden solcher Wanderungen herausstreicht, empfiehlt er eine „effiziente Kontrolle von Invasionswegen“ als probate Abwehrstrategie, zumal er überzeugt ist, „im Prinzip sind Invasionen reversibel“. Das ist zutiefst konservativ gedacht, dürfte jedoch die selbst von Karl Marx bewunderte, der Globalisierung innewohnende gewaltige Kraft der Entortung und Entwurzelung blauäugig unterschätzen.

Das Phyletische Museum Jena zeigt derzeit die Ausstellung „Biologische Invasionen“: www.phyletisches-museum.uni-jena.de

 

Auch von der Alten in die Neue Welt

Die „Alte Welt“ ist nicht nur Empfänger-, sondern auch Entsenderegion von Bioinvasoren: Gänseblümchen, Regenwurm, Löwenzahn und Haussperling sind eher harmlos. Der Europäische Stechginster (Ulex europaeus) oder der Strandhafer (Ammophila arenaria) werden in den USA, Australien und Neuseeland jedoch als extrem problematische Unkräuter wahrgenommen, weil sie den ursprünglichen Charakter der dortigen Küstenlandschaften stark verändern. Der riesige asiatische Tigerpython (Python molurus) hat sich in Florida fest etabliert und bedroht eine Vielzahl von Wirbeltieren. Aktuell warnt das Agrarministerium vor Ostfrikanischen Riesenschnecken (Achatina fulica). Die sind nicht nur so groß und gefräßig wie Ratten, sondern sie können auch Erreger der Hirnhautentzündung übertragen. Die Forstbehörde des „Sunshine State“ macht gegen eines der „Zehn gefährlichsten Unkräuter der Welt“ mobil: das Silberhaargras (Imperata cylindrica), das ganze Landstriche verödet.

www.freshfromflorida.com

www.floridaforestservice.com

Foto: Ostafrikanische Riesenschnecke: Nicht nur so groß und gefräßig wie Ratten, sondern auch Überträger der Erreger von Hirnhautentzündungen

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