© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Konjunktur für Protestparteien
Nigel Farage macht es vor
Dieter Stein

Sorgenvoll wird die CDU-Vorsitzende Angela Merkel am vergangenen Freitag die Agenturmeldungen aus Großbritannien gelesen haben: Ihr Amtskollege David Cameron, der in London wie die Kanzlerin mit einem liberalen Koalitionspartner regiert, erlebte bei den englischen Kommunalwahlen ein Debakel. Die EU-kritische United Kingdom Independence Party (UKIP) erreichte mit einem Viertel der Stimmen ein Rekordergebnis. Tories und Liberaldemokraten erlitten empfindliche Verluste.

Die Kanzlerin wird angespannt über den Kanal, weil sich mit der „Alternative für Deutschland“ (AfD) hierzulande seit drei Monaten rasant eine Partei formiert, die der UKIP nacheifern könnte. Die UKIP hat für ihren Durchbruch indes einen langen Atem beweisen müssen. 1993 von EU-Gegnern gegründet, reüssierte die Partei erstmals bei der Europawahl 2004, wo sie 16 Prozent der britischen Stimmen errang.

Star der UKIP ist Nigel Farage, der mit seinen furiosen Reden im Europaparlament rasch Kultcharakter erlangte. Legendär sind seine Wortgefechte mit dem bornierten heutigen Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD). Seine Interventionen sind stets geschliffen formuliert, mit Sarkasmus und Witz gewürzt und bei den Brüsseler Bürokraten gefürchtet.

Die britischen Konservativen haben sich lange bemüht, die UKIP als Partei seniler Rentner, durchgeknallter Veteranen und populistischer Spinner lächerlich zu machen. Farage, der 2004 in einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT (JF 26/04) erklärte, es sei „Zeit für eine Alternative“ zum EU-begeisterten Establishment, begründete dies in seiner typischen Einfachheit: „Weil wir meinen, Großbritannien sollte nicht von einigen Büros in Brüssel, sondern vom Parlament in London regiert werden.“ Die EU sei „bürokratisch, undemokratisch, korrupt“. Farage, in zweiter Ehe mit einer Deutschen verheiratet, meinte, die Landsleute seiner Frau täten ihm „wirklich leid“, weil sie von ihrer „politischen Klasse einfach in dieses Projekt“ (den Euro) geführt und dabei nie um Zustimmung gefragt wurden. Doch meinte er damals ahnungsvoll: „Ich vermute, eines Tages wird die deutsche Regierung zu Hause noch einmal ganz erheblichen Ärger bekommen.“

Cameron ist zu einem von der UKIP Getriebenen geworden. Die Ankündigung der Tories, bis 2017 eine Volksabstimmung über Verbleib oder Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU durchzuführen, verschaffte keine Entlastung, sondern der UKIP zusätzlichen Aufwind. Inzwischen ist die Überheblichkeit der Tories Respekt gewichen. Deutsche Parteigründer, die der UKIP nacheifern wollen, sollten aufmerksam verfolgen, daß diese erst Breitenwirkung erzielte, als sich ihr EU-kritisches, marktwirtschaftliches Profil programmatisch um die Ablehnung von Masseneinwanderung und eine konservative Familienpolitik ergänzte.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen