© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Abendmahl unterm Regenbogen
Hamburg: Der evangelische Kirchentag bot erneut eine reichliche zivilgesellschaftliche Vielfalt
Thorsten Brückner

Eine neue Welt, die den Himmel verspricht, eine neue Zeit, die das heute vergißt“. Schon das erste Lied des Tages machte dem Besucher klar, was auf dem diesjährigen Kirchentag im Zentrum spiritueller Sinnsuche stand. Zuvor hatte bereits eine Gruppe alternativ gekleideter Männer mittleren Alters am Eingang des Hamburger Kongreßzentrums die Chance genutzt, ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen: „Militärseelsorge abschaffen“, stand groß auf ihren mitgebrachten Schildern. Von der Kritik eines vorbeischlendernden Kirchentagsbesuchers zeigten sie sich unbeeindruckt: „Das hat uns der Herr Jesus so geboten.“

Der „Markt der Möglichkeiten“ wurde auch in diesem Jahr seinem Namen wieder vollends gerecht. Alles schien möglich zu sein auf dem Kirchentag, der in diesem Jahr das Motto „Soviel du brauchst“ trug. So tummelte sich in der Messehalle, die in ihrem Siebziger- Jahre-Charme eher an die Ankunftshalle eines mittelamerikanischen Flughafens erinnerte, allerlei Bizarres und Alternatives. Zu Peinlichkeiten kam es immer nur dort, wo ausländische Kirchentagsbesucher die Grundzüge des deutschen Toleranzprotestantismus noch nicht verinnerlicht hatten.

So bemühte sich ein Schwarzafrikaner am Stand der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK), einem Standmitarbeiter die biblische Haltung zur Homosexualität näherzubringen. Der kirchliche Homo-Aktivist hatte für soviel geistliche Rückständigkeit nur ein unverständiges Kopfschütteln übrig.

Die Lebensschützer der Aktion Lebensrecht für alle (Alfa) genossen auf dem Kirchentag dagegen Paria-Status. Trotz einer offiziellen Genehmigung im Vorfeld verbot ihnen die Kirchentagsleitung kurzerhand, mitgebrachte Plastikembryos zu verteilen. Dies würde die Gefühle von Frauen verletzen, die bereits abgetrieben hätten, so die Begründung. Auch von den Schwangerschaftskonfliktberatern der evangelischen Landeskirche, die ihren Stand direkt gegenüber hatten, schlug ihnen eiskalte Ablehnung entgegen. Es könne ihm nicht zugemutet werden, neben diesen Lebensschützern zu stehen, beschwerte sich einer der Konfliktberater über die Standzuteilung. Die Reaktionen der Besucher seien jedoch überwiegend positiv gewesen, versicherte eine Alfa-Mitarbeiterin der JUNGEN FREIHEIT.

„Kampf gegen Rechts“ in christlichem Gewand

Daneben war die allseitige Harmonie wohl nur noch vom Nahostkonflikt getrübt. Israel- und Palästinafreunde warben an mehreren Ständen wohlweislich in verschiedenen Gängen für ihre jeweiligen Positionen. Zivilgesellschaftliches Engagement in christlichem Gewand wurde auch 2013 auf dem Kirchentag großgeschrieben. Ein Planspiel „Ist das schon rechts – Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft“ erfreute sich regen Andrangs. Bei Wartezeiten von bis zu eineinhalb Stunden war es dem geneigten Kämpfer „gegen Rechts“ nur schwer möglich, einen der begehrten Plätze zu ergattern. Die Evangelische Jugend von Westfalen ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, ein Zeichen „für Toleranz und Vielfalt gegen Rassismus und Einfalt“ zu setzen. Unter dem Motto „Wir können bunt – lieber nackt als Nazi“ zogen sich einige jugendliche Kirchenmitglieder für ein Plakat aus und hüllten sich in Regenbogenfahnen.

Die Originalität der diversen Podiumsveranstaltungen, zu der namhafte  Politiker und Kirchenführer wie die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann oder Bundestagsvizepräsident Wolfang Thierse (SPD) kamen, erschöpfte sich meist bereits im Titel. Veranstaltungen wie „Es soll kein Armer unter euch sein“ oder „Welchen Lohn braucht Inklusion“ lieferten Erwartbares. Eine arbeitslose Historikerin trug die Gründe für ihre Erwerbslosigkeit vor: „Ich bin alt, Frau und Migrantin – also gleich dreifach benachteiligt.“

Auch das Thema Ökumene wurde kontrovers diskutiert. Kontrovers allerdings nur auf der Basis, daß sich alle Diskussionsteilnehmer einig waren, daß die katholische Kirche mit ihren verkrusteten Strukturen die Blockiererin auf dem Weg hin zu mehr Ökumene sei. Die Münsteraner Theologin Dorothea Sattler verband diese scheinbare Tatsachenbeschreibung auch mit einer klaren Forderung an die EKD: „Es darf nicht sein, daß wir uns in der Frage des Frauenpriestertums mit pluralen Positionen zufriedengeben.“ Es könne nicht sein, daß man die Position der katholischen Kirche in dieser Frage einfach toleriere, entrüstete sich die Wissenschaftlerin. Auf anderen Feldern hingegen wurde mit Toleranz nicht gegeizt. Der Höhepunkt am Freitag abend, das „Feierabendmahl unterm Regenbogen“ auf dem Hansaplatz, wurde von Hunderten Kirchentagsteilnehmern besucht.

Regenbogen: Schutzzeichen Gottes für Homosexuelle

 Stargast der Veranstaltung war der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion Volker Beck. In seiner Rede übte Beck scharfe Kritik an den Demonstrationen gegen die Homo-Ehe in Frankreich. Diese seien „Demonstrationen der Intoleranz“. Wirklich erschreckend sei aber, daß diese Kundgebungen mittlerweile zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Lesben und Schwule eskaliert seien. „Das ist ein Rollback, den ich in einem europäischen Land nicht erwartet hätte“, zeigte er sich schockiert. Bei dem alternativen Gottesdienst wurde selbst der Regenbogen, das Zeichen der Homosexuellenbewegung, biblisch verbrämt. „Der Regenbogen ist ein Schutzzeichen Gottes gegen Diskriminierung und Respektlosigkeit“, bemühte sich eine Rednerin die Ereignisse nach der Sintflut mit einem Versprechen Gottes an die Homosexuellenbewegung zu verknüpfen.

Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs wurde in ihrer Predigt noch deutlicher: „Gott ist Liebe, und Liebe befreit zu Sinn und Sinnlichkeit.“ Neben reichlich schriller Darbietungen gab es bei der Veranstaltung jedoch auch allerlei nachdenklich machendes. Schwule und Lesben gaben auf der Bühne Zeugnis ihrer Lebensschicksale und erzählten von der Alltagsdiskriminierung, der sie noch bis vor wenigen Jahren ausgesetzt gewesen seien. Ein lesbisches Pärchen, sichtlich befremdet von den bunten Aufführungen, hielt sich still im Arm.

Die Abendmahlsfeier sollte schließlich nach dem Willen der Organisatoren Kreuz und Regenbogen miteinander vereinen. Auf großen Tischen wurden Berge von Brot und dutzende Kelche mit Traubensaft aufgestellt. Eingerahmt von zwei Kerzen, stand jeweils ein großes Holzkreuz auf den vier Tischen, die in Regenbogenfahnen gekleidet rund um den Hansaplatz gruppiert waren. Nicht einmal der Versuch wurde unternommen, diesem zentralen Element christlichen Glaubens einen Funken Würde zu verleihen.

 Auf den Fladenbroten, die von bunt gekleideten Frauen in Clownskostümen verteilt wurden und von denen sich die Teilnehmer je nach Kohldampf ihre Portion abrupfen konnten, lagen bunte Regenbogenbänder, die sich die Teilnehmer gegenseitig um die Handgelenke banden. Der einbrechenden Kälte wußte man zu vorgerückter Stunde dann ebenfalls zu begegnen. „Wir laden euch jetzt alle ein, euch gegenseitig in die Arme zu nehmen und euch zu wärmen“, schallte es von der Bühne. Spätestens jetzt ergriffen die meisten neugierigen Kirchentagsbesucher ohne homosexuellen Hintergrund eiligst die Flucht.

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