© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Zwischen Schweigen und Selbstdarstellung
Rechtsextremismus: Szeneaussteiger gehen ganz unterschiedlich mit dem Bruch mit ihrer politischen Vergangenheit um
Felix Krautkrämer

Heidi R. ist glücklich. Seit sie aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen ist, sei sie ein anderer Mensch, schrieb die 21 Jahre alte Berufsschülerin im evangelischen Magazin Chrismon. Sie fühle sich frei und könne denken und sagen, was sie wolle. Früher hätte sie es sich selbst verboten, mit ausländischstämmigen Mitschülern zu reden.

Heute dürfe sie mögen, wen sie wolle. Ihr Leben sei dadurch viel leichter und bunter. Zwar gehe sie auch heute noch zu rechten Demonstrationen und Veranstaltungen, allerdings stehe sie nun auf der anderen Seite, bei „den Linken“ und der Antifa. „Mit wieviel Wohlwollen mir diese Menschen trotz all meiner schlimmen Taten begegnen, wieviel Offenheit und Solidarität sogar von den ‘Linken’ kommt, das überrascht und überwältigt mich“, schwärmt Heidi R. von ihrem neuen Leben. Und weil sie etwas von diesem Gefühl weitergeben möchte, hat die junge Frau gemeinsam mit ihrem Verlobten die Aussteigerhilfe Bayern gegründet. Mit dieser werden „AussteigerInnen aus der rechtsextremistischen Szene“ betreut, da diese Aufgabe nach Ansicht der Initiatoren nicht einem Geheimdienst überlassen werden sollte. Bei der Zusammenarbeit setzt der Verein auf das Aussteigerprogramm Exit Deutschland, das 2000 von dem Kriminalisten Bernd Wagner sowie dem früheren Rechtsextremisten Ingo Hasselbach gegründet wurde.

Knapp 500 Rechtsextremisten will Exit schon aus der Szene geholt haben. Dafür ist offenbar viel Geld notwendig. Laut Wagner liegt der Finanzbedarf bei jährlich 350.000 Euro. Bislang wurde das Programm vom Arbeitsministerium gefördert. 560.000 Euro, darunter vor allem EU-Gelder, flossen seit 2009 so an Exit, das sich daneben auch durch Spenden finanziert. Doch da die Förderung Ende April auslief, schlugen Wagner und seine Unterstützer, darunter die linke Amadeo-Antonio-Stiftung sowie das Internetportal „Mut gegen rechte Gewalt“ Alarm. „Wir haben die Beate Zschäpes aus der Szene geholt“, rühmte sich Wagner in einem Artikel auf Spiegel Online. Viele, die sich an ihn gewendet hätten, seien militant. „Da sind einige dabei, die haben schon Rohrbomben gebaut und waren auf dem besten Weg in den Terrorismus.“ Dank Exit seien die potentiellen Rechtsterroristen heute wieder in die Gesellschaft integriert.

Wagners Hilferuf hatte Erfolg. Nachdem sich die schwarz-gelbe Bundesregierung auf eine weitere Unterstützung des Aussteigerprogramms verständigt hatte, übernimmt nun das Bundesfamilienministerium die Förderung. Die Rede ist von 160.000 Euro pro Jahr. Zusätzlich überlegen derzeit einige Bundesländer, ob und wie sie Exit finanziell unter die Arme greifen können, und das, obwohl einige von ihnen bereits selbst über staatliche Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten verfügen. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz bietet ein solches an. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Laut Bundesregierung nutzten in den Jahren 2010 und 2011 jeweils rund zwanzig Personen das Aussteigertelefon des Verfassungsschutzes. Über die Kosten für das Programm schweigt sich die Regierung aus.

Befürworter der Aussteigerprogramme betonen immer wieder die Wichtigkeit solcher Einrichtungen. Ohne deren Hilfe seien Ausstiegswillige den erheblichen Schwierigkeiten, die ihre Entscheidung mit sich bringt, alleine ausgesetzt. Etwa der Bedrohung durch ehemalige Kameraden oder Problemen bei der Berufssuche.

Generell lassen sich die ausgestiegenen früheren Rechtsextremisten in zwei Gruppen einteilen. Da sind zum einen diejenigen, die sich ohne großes Aufsehen von der Szene lösen, sei es aus privaten, wirtschaftlichen oder politischen Gründen. Ihr Ausstieg wird oftmals nur vom eigenen Freundes- und Verwandtenkreis bemerkt.

Beck-Verlag mußte  Buch einstampfen

Die andere Gruppe wählt den Weg des öffentlichen Ausstiegs. Als Geläuterte reisen sie fortan durch die Republik, bieten sich als Rechtsextremismusexperten an, betreiben in Schulen, Medien sowie auf Veranstaltungen Selbstkritik und warnen vor den ehemaligen Kameraden. Gerade bei letzteren ist mitunter der Hang zu beobachten, die eigene frühere Position in der rechtsextremen Szene überhöht darzustellen. So erhält die Distanzierung vom einstigen Gedankengut eine größere Bedeutung und die Geschichten aus der Vergangenheit wirken glaubwürdiger. Daß es einige der Aussteiger mit der Wahrheit jedoch nicht ganz so genau nehmen, zeigen immer wieder Fälle, in denen sich die geschilderten Erlebnisse der einstigen „Szenegrößen“ im nachhinein als zumindest in weiten Teilen erfunden herausstellen.

So fielen zum Beispiel die beiden Journalisten Christoph Ruf und Olaf Sundermeyer auf die Geschichte des Aussteigers Uwe Luthardt aus Thüringen herein, nach der der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen Gansel angeblich in vertrauter Runde auch mal das Lied „Eine U-Bahn bauen wir – von Jerusalem bis nach Auschwitz“ anstimme. Ruf und Sundermeyer veröffentlichten das Interview mit Luthardt in ihrem im Beck-Verlag erschienen Buch „In der NPD. Reisen in die National Befreite Zone“. Gansel konnte jedoch nachweisen, daß die Geschichte frei erfunden war. Der Beck-Verlag mußte die Kosten des Rechtsstreits übernehmen und die erste Auflage des Buchs einstampfen.

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