© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

„Taten statt Worte“
NSU-Prozeß II: Die Bundesanwaltschaft hält Beate Zschäpe für eine zentrale Figur der mutmaßlichen Terrorzelle und wirft ihr eine Beteiligung an den Morden vor
Marcus Schmidt

Der Prozeß in München wird mit Enttäuschungen enden. Kaum vorstellbar, daß sich die übergroßen Erwartungen an das von vielen als „Jahrhundertprozeß“ gewertete Verfahren gegen Beate Zschäpe und die vier mitangeklagten mutmaßlichen Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) am Ende alle erfüllen werden.

Viele bislang ungeklärte Fragen im Zusammenhang mit der dem NSU zugeschriebenen Mordserie kann nur Zschäpe beantworten – doch die wird  sich nach Angaben ihrer Anwälte während des Prozesses nicht zur Sache äußern. Für die Angehörigen der Opfer, die sich erhoffen, mehr über die Beweggründe der mutmaßlichen Mörder zu erfahren, könnte daher selbst eine Verurteilung Zschäpes unbefriedigend bleiben. Aber auch für die Bundesanwaltschaft muß der Prozeß nicht so verlaufen, wie es sich die Mannschaft um Generalbundesanwalt Harald Range vorstellt und wie es weite Teile der Öffentlichkeit derzeit erwarten.

Denn Range ist aufs Ganze gegangen und klagt Zschäpe als Mittäterin an, statt sie wegen Beihilfe zur Verantwortung zu ziehen – das birgt Risiken. Konkret wirft die Bundesanwaltschaft in der 488 Seiten starken Anklageschrift, die der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, Zschäpe vor, sich als Gründungsmitglied des aus ihr sowie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bestehenden NSU an der Ermordung von neun aus dem Ausland stammenden Gewerbetreibenden und einer Polizistin beteiligt zu haben. Auch eine Beteiligung an den versuchten Morden durch die zwei dem NSU zugeschriebenen Sprengstoffanschläge in Köln wird der 38jährigen zur Last gelegt. Die Bundesanwaltschaft geht zudem davon aus, daß Zschäpe an den 15 Raubüberfällen beteiligt war.

Zschäpe gilt der Anklage als Mittäterin

Allein verantwortlich gemacht wird sie für die Brandstiftung in der Wohnung des Trios in Zwickau. In diesem Zusammenhang wirft ihr die Anklage neben besonders schwerer Brandstiftung versuchten Mord an einer Nachbarin und zwei Handwerkern vor.

Auch wenn Zschäpe nicht vorgeworfen wird, bei einem der neun mit einer Waffe vom Typ Ceska verübten Morde dabeigewesen zu sein oder gar selbst den Finger am Abzug gehabt zu haben, gilt sie der Bundesanwaltschaft als Mittäterin. Denn nach Ansicht der Behörde haben Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe stets als Einheit gehandelt. Gemeinsam hätten sie nach ihrem Untertauchen am 26. Januar 1998 den Entschluß gefaßt, den Nationalsozialistischen Untergrund zu gründen. Ziel dieses Zusammenschlusses sei es gewesen, integrierte Ausländer – vorzugsweise im fortpflanzungsfähigkeit Alter – zu ermorden, um diese Bevölkerungsgruppe zu verunsichern und schließlich zum Verlassen Deutschlands zu bewegen. Um Angst und Schrecken zu verbreiten, seien die Opfer ganz bewußt in Alltagssituationen an ihrem Arbeitsplatz mit gezielten Kopfschüssen regelrecht hingerichtet worden. Das Tatmotiv leiten die Ankläger aus der rassistisch-völkischen NS-Ideologie des Trios ab, das sich seit Mitte der neunziger Jahre in der rechtsextremistischen Szene Thüringens radikalisiert habe.

Die Anklage glaubt auch erklären zu können, warum Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sich während der Mordserie nicht zu ihren Taten bekannten und erst nach dem Auffliegen des NSU und dem Tod von Mundlos und Böhnhardt von Zschäpe die vorbereiteten DVDs mit dem Bekennervideo in Umlauf gebracht wurden. Zum einen habe dies dem von den drei verfolgten Konzept „Taten statt Worte“ entsprochen, zum anderen sollte so der Fahndungsdruck vermindert werden.

Als Beleg dafür, daß die neun ausländischen Kleinunternehmer und die Polizistin Michèle Kiesewetter von Böhnhardt und Mundlos ermordet wurden und die beiden Männer auch für die beiden Sprengstoffanschläge in Köln und die ihnen zur Last gelegten Banküberfälle verantwortlich sind, wird die Anklage im Laufe des Prozesses zahlreiche Indizien präsentieren. Neben Zeugenaussagen sind dies vornehmlich Beweisstücke, die im Brandschutt der Wohnung des Trios in der Zwickauer Frühlingsstraße gefunden wurden, sowie die sogenannte Paulchen-Panther-DVD.

Für die Besonderheiten des Polizistenmordes in Heilbronn, der dem Trio von den Ermittlern ebenfalls zugeschrieben wird, der aber nicht in die sogenannte Ceska-Serie paßt, da andere Waffen verwendet wurden und das Opfer nicht ausländischer Herkunft war, wird vor Gericht ebenfalls eine Erklärung präsentiert. Demnach haben Böhnhardt und Mundlos bei dem Anschlag auf die Polizistin Kiesewetter und ihren Kollegen, der schwerverletzt überlebte, bewußt andere Waffen verwendet, um keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit der gegen Ausländer gerichteten Ceska-Serie zu geben. Mit der Tat sollte der Staat und das von den drei abgelehnte System direkt bekämpft werden, behaupten die Ankläger.

Zschäpe weist die Bundesanwaltschaft, die sich unter anderem auf Aussagen der Mitangeklagten Holger G. und Carsten S. beruft, die sich beide mittlerweile in einem Zeugenschutzprogramm befinden, eine zentrale Rolle innerhalb des Trios zu. Ihr sei die wichtige Aufgabe zugefallen, die häufige Abwesenheit von Böhnhardt und Mundlos während der Erkundungstouren sowie während der Taten „abzutarnen“. Zudem habe sie das Geld aus den Banküberfällen verwaltet.

Vermutungen statt belastbare Indizien

Aus Sicht der Ankläger mag die Argumentation insgesamt schlüssig sein. Doch lassen sich diese Vorwürfe im Laufe des Prozesses auch beweisen? Die Verteidiger werden mit allen Mitteln versuchen, die Anklagepunkte in Zweifel zu ziehen. Denn in ihren Augen ist die Anklage keineswegs so eindeutig.  Es gibt zwar viele Indizien, die sich zu dem von der Behörde entworfenen Bild zusammenführen lassen – in den Augen der Verteidiger läßt sich aber auch eine andere Geschichte erzählen. „Muß die einzige Überlebende allein wegen des Zusammenlebens von den Tötungen gewußt und sie vor allem gebilligt haben“, fragt etwa die Gerichtsreporterin des Spiegel, Gisela Friedrichsen, und benennt damit die Schwachstelle der Anklage. Denn für die Behauptung, Zschäpe habe von den Morden gewußt und diese gebilligt oder gar mit angestoßen, fehlen Beweise. An manchen Stellen glaubt man der Anklage förmlich den Druck anzumerken, unter dem die Bundesanwaltschaft stand. Dann wirkt die Beweisführung mitunter, als sei sie eher auf Vermutungen gestützt denn auf belastbare Indizien.

Wie auch immer sich der Prozeß entwickeln wird: Eins scheint klar – es wird Überraschungen geben. Das muß nicht unbedingt bedeuten, daß sich die von der Anklage präsentierte Sicht der Dinge am Ende tatsächlich als teilweise falsch herausstellt. Gänzlich ausgeschlossen ist dies indes nicht.

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