© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Schäubles Schattenetat
ESM-Bilanz: Offene Einlageforderungen gegen Deutschland von 181 Milliarden Euro / Mehr Bürgen fallen aus
Wolfgang Philipp

Daß der Gouverneursrat des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Ende April die Hilfe für den Finanzplatz Zypern abgesegnet hat, war nur eine Randmeldung. Die neun Milliarden Euro (plus eine Milliarde Euro vom Internationalen Währungsfonds) sollen den griechischen Südteil der Mittelmeerinsel vor der Staatspleite bewahren und die dortigen Banken mit frischem Kapital versorgen. Schon in diesem Monat soll die erste Tranche ausgezahlt werden – doch der Rettungsfonds ESM ist selbst ein mindestens ebenso windiges Konstrukt wie die zyprischen Finanzgeschäfte.

Wer wissen will, wie es einem Unternehmen geht, muß dessen Jahresabschluß kennen. Der ESM hat kürzlich den ersten seit seiner Gründung vorgelegt: Auf der Passivseite der ESM-Bilanz per 31. Dezember 2012 ist das gesamte von den 17 Euro-Staaten gezeichnete Kapital in Höhe von 700 Milliarden Euro als Eigenkapital (auf Deutschland entfallen 190 Milliarden) ausgewiesen. Davon sind nach einem ersten „Abruf“ von den Mitgliedsstaaten 32,86 Milliarden Euro (von Deutschland 8,69 Milliarden) eingezahlt worden, das sind 4,7 Prozent. Der Rest von insgesamt 667,13 Milliarden Euro ist als Vermögen auf der Aktivseite ausgewiesen, das heißt als Forderungen gegen die Gesellschafter. Gegen Deutschland sind das 181,3 Milliarden Euro. Diese können nach dem zugrunde liegenden ESM-Vertrag jederzeit zur Einzahlung abgerufen werden.

Damit steht fest, daß Deutschland 2012 gegenüber dem ESM insgesamt eine echte Verbindlichkeit von 190 Milliarden Euro eingegangen ist, ohne diese (bis auf den Zahlbetrag) im Bundeshaushalt zu zeigen. Ein Gegenwert steht dieser Verpflichtung nicht gegenüber, denn der gezeichnete „Gesellschaftsanteil“ ist weder veräußerlich, noch kann die Gesellschaft gekündigt werden. Einen Vermögenswert des Bundes stellt diese „Beteiligung“ nicht dar. Der Bundesfinanzminister hätte mithin die 190 Milliarden Euro als Neuverschuldung im Haushalt 2012 ausweisen müssen.

Die Schulden des ESM per 31. Dezember werden mit insgesamt 39,68 Milliarden Euro ausgewiesen, wobei es sich um von ihm selbst gedruckte „Wertpapiere“ handelt, für die der ESM haftet, die er aber dem spanischen Staat ohne sofortige Gegenleistung zur Rekapitalisierung spanischer Banken zur Verfügung gestellt hat (JF 11/13). Wenn der ESM aus diesen Papieren haften muß, wird er zu Lasten der Steuerzahler weitere Abrufe bei den Gesellschafterstaaten tätigen müssen. Darüber hinaus sind Spanien weitere rund 60 Milliarden Euro für den gleichen Zweck zugesagt.

Im Februar 2013, also nach Abschluß des Geschäftsjahres, hat der ESM weitere 1,87 Milliarden Euro nach Spanien für die Rekapitalisierung von Banken überwiesen. Das Gesamtrisiko des ESM in Spanien beläuft sich mithin gegenwärtig (ohne Zinsen) auf 41,33 Milliarden Euro, wovon auf Deutschland 27,1 Prozent (entspricht 11,22 Milliarden Euro) entfallen. Dieser Betrag ist für Deutschland verloren, wenn Spanien wie zu erwarten diese Kredite des ESM nicht zurückzahlen kann. Weitere neun Milliarden Euro wird der ESM nun an den griechischen Teil Zyperns bezahlen.

Das Risiko für Deutschland wird immer größer

Zunächst hieß es, der nur temporäre Euro-Rettungsfonds EFSF (JF 48/12), der in Gestalt einer kleinen Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts existiert, werde 2012 mit dem ESM verschmolzen. Der ESM-Bilanz ist aber zu entnehmen, daß dies weder geschehen ist noch geschehen wird. Vielmehr heißt es jetzt, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität werde liquidiert werden, wenn sie keine weiteren Forderungen mehr gegen andere Euro-Staaten habe und ihren Verpflichtungen nachgekommen sei.

Diese „Abwicklungsphase“ wird sehr lange dauern, denn die EFSF hat im Jahre 2011 bereits langfristige Darlehen in Höhe von insgesamt 16,23 Milliarden Euro an Irland und Portugal gewährt, ihre eigenen Schulden per Ende 2011 betrugen 19,68 Milliarden Euro. 2012 hat die EFSF auch Griechenland hohe Darlehen gewährt. Für die ersten zehn Jahre wurden Griechenland die Zinsen auf die von ihm in Anspruch genommenen Kredite „gestundet“. Außerdem wurde die Laufzeit der von der EFSF an Griechenland im März 2012 gewährten Kredite in Höhe von 25 Milliarden Euro von 15 auf 30 Jahre verlängert. Damit steht fest, daß die Abwicklung der EFSF vor Ablauf dieser 30 Jahre nicht erfolgen kann. Auch die Laufzeit von Darlehen, welche die EFSF an Irland und Portugal gewährt hat, soll um sieben Jahre verlängert werden: Erst dann wird sich herausstellen, ob diese Länder die Kredite zurückzahlen können. Bei rund 767.000 Einwohnern des griechischen Teils Zyperns bedeutet ein ESM-Darlehen von neun Milliarden Euro einen Betrag von 11.734 Euro pro Kopf. Würde Deutschland mit 82 Millionen Einwohnern ein ähnlicher Kredit gewährt, würde dieser knapp eine Billion Euro erreichen. Es ist davon auszugehen, daß die Verlängerungen und Zinsstundungen nur dazu dienen, die Zahlungsunfähigkeit dieser Länder zu kaschieren und die Insolvenz der EFSF zu vermeiden.

Offenbar sollen erst unsere Enkel das Risiko tragen, dann, wenn die derzeitigen Politiker nicht mehr im Amt sind, aber die unvermeidlichen Konsequenzen eintreten. Für alle Risiken der EFSF haftet Deutschland als Bürge primär mit 27,1 Prozent, in Wirklichkeit aber noch weit darüber hinaus, weil andere Mitbürgen – die Hilfsempfängerländer – ausfallen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat daher vorsorglich beantragt, die Haftung Deutschlands zu erweitern, weil Zypern als „Bürge“ der EFSF ausfällt. Wie die EFSF die von ihr selbst aufgenommenen Kredite verzinsen will, wenn sie von Griechenland keine Zinsen erhält, ist eine offene Frage. Die Öffentlichkeit ist daher aufgerufen, die Entwicklung der beiden „Rettungsfonds“ anhand ihrer Jahresabschlüsse genau zu verfolgen, erst dort kann die ganze Wahrheit ans Licht kommen. Der neue Jahresabschluß der EFSF steht übrigens noch aus.

 

Euro-Rettungsfonds ESM

Am 17. Dezember 2010 wurde im Zuge der Euro-Krise auf einem EU-Gipfel beschlossen, den temporären Rettungsfonds EFSF durch einen dauerhaften Rettungsfonds – den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) – zu ersetzen. Er soll „einem Mitgliedstaat finanzielle Unterstützung gewähren, wenn dessen regulärer Zugang zur Finanzierung über den Markt beeinträchtigt ist“. Der ESM übernimmt also die Staatsfinanzierung, wenn der betreffende Euro-Staat als eingeschränkt oder völlig kreditunwürdig angesehen wird. Die Ersteinlage des ESM beträgt 80 Milliarden Euro. Entsprechend seines Anteiles von 27,1 Prozent muß Deutschland eine Einzahlung von knapp 22 Milliarden Euro tätigen. Für 2012 und 2013 kostet das den deutschen Steuerzahler 8,8 Milliarden, 2014 sind weitere 4,4 Milliarden fällig. Hinzu kommen bis zu 168 Milliarden Euro an „abrufbarem Kapital“, etwa für den Fall, daß „gerettete“ Euro-Länder oder Banken nicht zahlen können. Mit dem Geld können sich dann die privaten Geldgeber des ESM schadlos halten, die die eigentlichen Finanziers des ESM-Konstrukts sind.

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