© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Der Charme des Neuen ist verflogen
Piraten: Einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung zufolge hat die Partei ihren Zenit überschritten / Noch besteht aber die Chance zu überleben
Christian Schreiber

Irgendwie waren die Piraten schon immer anders. Während es die politische Bundestagsprominenz zu ihren Parteitagen in die großen deutschen Städte – bevorzugt die Hauptstadt Berlin – verschlägt, versammeln sich die Mitglieder der Protestpartei nun in Neumarkt in der Oberpfalz (siehe Vorbericht auf dieser Seite). Vor einem halben Jahr wäre das mediale Interesse beachtlich gewesen, hätten die Politneulinge zum Entern des Bundestags klar Schiff machen wollen. Damit es vorbei.

Interne Streitigkeiten, dürftige parlamentarische Auftritte und zurückgehendes Interesse haben die Partei in den Umfragen auf knapp drei Prozent gedrückt. In der veröffentlichten Meinung gilt ein Einzug in den Bundestag als unrealistisch, die Partei als gescheitert.

Ungesundes Wachstum und jede Menge Glückritter

Doch eine Studie der der IG Metall nahestehenden Otto-Brenner-Stiftung zeigt ein anderes Bild der Partei und ihrer Perspektiven. Ihre Themen, die sie in die Parlamente spülten, seien immer noch da, von daher sei ein Abgesang auf die Piraten verfrüht. Im Auftrag der Stiftung haben sich die Politologen Alexandra Hensel und Stephan Klecha auf Ursachenforschung begeben.

Mit digitaler Teilhabe der Basis und ihrer Forderung nach transparenten politischen Prozessen konnten sich die Piraten als Repräsentanten junger Menschen profilieren und jede Menge Unzufriedene einsammeln. Doch der Höhenflug ist vorüber.

Ein Hauptpunkt, warum die Partei aus der Erfolgsspur geraten ist, sehen die Autoren darin, daß die politische Schonfrist vorbei ist. „Allerdings ließen der Charme des Neuen, der Reiz des Anarchischen und die mediale Nachsicht im Umgang mit Mängeln der Partei im Laufe des Jahres 2012 bereits erkennbar nach.“ Diese Erkenntnis deckt sich mit Analysen (JF 9/13), die darauf hinwiesen, daß gerade Medien wie der Spiegel den Neueinsteiger zuerst extrem wohlwollend und anschließend überaus kritisch begleitet haben.

Die Piraten Deutschlands sind Teil einer internationalen Bewegung, die sich bevorzugt aus Vertretern der neuen Internetgeneration bis hin zu organisierten Hacker-Szenen rekrutierte.

 Galt Schweden anfangs als Keimzelle dieser Szene, so gingen die Wahlergebnisse auch dort nach anfänglichen Erfolgen zurück, so daß Deutschland aufgrund der teils spektakulären Erfolge bei Landtagswahlen zum Zentrum der internationalen Piraten wurde. „Als primäre inhaltliche Ziele forderten die Piraten die Freiheit des Wissens und der Kultur, die Wahrung der Privatsphäre, einen gläsernen Staat und die Transparenz politischer und administrativer Prozesse. Dabei waren es vor allem die schwelenden Konflikte um digitale Bürgerrechte und das Urheberrecht, welche zur deutschen Parteigründung motiviert hatten“, heißt es. Die Forscher beschreiben die Partei in ihrer Anfangszeit als relativ geschlossenen Zirkel mit schleppendem Mitgliederwachstum.

Diese Situation sollte sich 2009 ändern. Die Mitgliederzahl wuchs auf mehr als 11.000. Spätestens seit dem Überraschungserfolg bei der Bundestagswahl 2009 (zwei Prozent) wurden die Piraten auch für politische Quereinsteiger mit Karriereabsichten interessant.

In dieser Entwicklung sieht die Studie auch die Ursache für viele der späteren Probleme, weil es der Partei nicht gelungen sei, „radikale Minderheiten“ und „notorische Querulanten“ herauszuhalten, zudem habe eine „inhaltliche Pluralisierung“ stattgefunden.

Der Durchbruch gelang dann im Spätsommer 2011 in Berlin. Dort sei die Partei weniger exotisch, sondern quasi Teil eines soziokulturellen Milieus gewesen. Durch die 8,9 Prozent und 15 Abgeordneten wurde die Partei zu einem ernstzunehmenden politischen Faktor.

Laut Studie wurde damit aber auch die letzte Stufe der Entwicklung der Partei eingeleitet, die Experten als „ungesundes Wachstum“ bezeichnen. Von rund 12.000 Mitgliedern vor der Berlin-Wahl stieg die Zahl bis Ende 2012 auf 34.000 an. Die Folge war der Einzug in drei weitere Parlamente im Frühjahr 2012 (Saarland 7,4 Prozent, Schleswig-Holstein 8,2 und Nordrhein-Westfalen 7,8 Prozent). Für viele war der Bundestagseinzug nur noch eine Frage der Zeit.

Interne Querelen nehmen überhand

 Als Fazit läßt sich aus der Studie herauslesen, daß es der Partei nicht gelungen ist, eine gefestigte Struktur zu finden. Nahmen 2006 am Bundesparteitag ganze 52 Personen teil, so waren es 2012 mehr als 2.000. Viele neue Parteigänger trieb zudem die Aussicht auf Mandate und Posten. Im krisengeschüttelten Landesverband Nordrhein-Westfalen hatten 56 Mitglieder Anspruch auf die Spitzenkandidatur erhoben.

Ausgerechnet die ursprüngliche Stärke der Partei, die breite Öffentlichkeit in Entscheidungsprozesse mit einzubinden, wurde in dieser Phase zu ihrer entscheidenden Schwäche. Über soziale Netzwerke (Facebook, Twitter) sei es zu Beschimpfungsorgien gekommen, die der Partei massiv geschadet hätten. Zudem sei die Stimmung auch in den Landtagsfraktionen häufig schlecht gewesen, was schließlich zu einer Entzauberung der Partei geführt habe.

Die Autoren sehen einen Hauptgrund in der recht schnellen Abwendung der Wähler darin, daß es der Partei nicht gelungen sei, eine Kernwählerschaft zu etablieren. Politisch sei das Projekt eher vage geblieben. Sympathisch sei die Partei vor allem gewesen, weil sie Protestwähler im „demokratischen Spektrum“ gehalten, also gerade nicht als „Anti-System-Alternative“ aufgetreten sei. Diese Zustimmung sei im Laufe der Zeit allerdings durch die internen Querelen wieder gewichen, zudem hätten die etablierten Parteien auf die Erfolge der Piraten reagiert und versucht, die Themenfelder ebenfalls zu besetzen.

Als Manko stellt die Studie ebenfalls heraus, daß es der Partei nicht gelungen ist, dauerhaft wahlentscheidende Themen zu bearbeiten. Aussagen zur Wirtschafts- und Europapolitik seien stets vage geblieben: „Selten gelingt es der Piratenpartei, in laufende gesellschaftliche Debatten wirksam einzugreifen, gar die politische Agenda zu beeinflussen oder zu steuern. Im besten Falle reagiert sie auf laufende Diskussionen, doch vielfach erst verzögert und dann kaum wahrnehmbar.“

Trotz aller derzeitigen Probleme, dem Scheitern bei der Landtagswahl in Niedersachsen im Januar (2,1 Prozent) kommen die Autoren aber zu dem Schluß, daß ein Comeback der Partei durchaus möglich ist. „Ein Potential ist eindeutig vorhanden. Schließlich haben die Piraten in vier sehr unterschiedlich strukturierten Bundesländern den Sprung über die Sperrklausel geschafft.“

Entscheidend sei, daß es der Partei gelinge, die internen Auseinandersetzungen zu beenden und ein klares Profil zu gewinnen: „Sie könnte sich tatsächlich als liberale oder möglicherweise auch linksliberale Kraft etablieren, wenn zugleich der Niedergang der FDP anhält und das vorhandene gesellschaftliche Potential für eine liberale Partei nicht anderweitig absorbiert werden kann.“

www.otto-brenner-stiftung.de 

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