© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Pankraz,
Hans Belting und der Blick ins Gesicht

Ein Buch über Gesichter, zudem noch ein teurer Prachtband mit vielen Abbildungen, und das ausgerechnet zu Pfingsten, das ja allgemein als Sieg des Wortes über das Bild gilt – muß das sein? Eine Familie, der Pankraz den Band als Gastgeschenk mitbrachte, machte lange Gesichter. „Mir reichen die vielen Visagen jeden Abend im Fernsehen“, sagte der Familienvater.

Pankraz wiegelte eifrig ab. Das Buch („Faces. Eine Geschichte des Gesichts“, C.H. Beck Verlag, München 2013, gebunden, 243 Seiten, 29,95 Euro) sei von Hans Belting geschrieben, einem erstklassigen Kunsthistoriker und Medienexperten, der sich seinem Thema völlig souverän angenähert habe. Gesicht sei ja nicht gleich Gesicht, nicht einmal bei ein und demselben Individuum. Man könne Gesichter „schneiden“, man könne sein Gesicht „verlieren“, es gebe „Epochengesichter“, es gebe „Milieu-Visagen“. All das und noch viel mehr werde bei Belting erörtert.

Natürlich kümmere er sich – schließlich sei er Kunsthistoriker – vor allem um das Verhältnis von Gesicht und Kunst, um Gesichterporträts, also was es bei denen für Moden gab und ob sie überhaupt erlaubt waren, und wenn nicht, warum. Durch die Zeiten ziehe sich ja – immer wieder aufflackernd – eine Geschichte des Bilderverbots, und Bilderverbote seien primär und vor allem Gesichterporträtverbote gewesen. Am Anfang faktisch jeglicher Kunstentwicklung habe ein Gesichterporträt-verbot gestanden. Weshalb sei das so, und habe es stets die gleichen Verbotsgründe gegeben?

 

Zwei Hauptantriebe macht Belting namhaft, einen magischen und einen theologischen. In prähistorischen, „magischen“ Epochen wie etwa während der Zeit der Höhlenmalereien in der sogenannten Cro-Magnon-Kultur glaubten die Menschen, daß die Abbildung eines Lebewesens dem Bildner geistige und physische Macht über das abgebildete Wesen verschaffen würde. Das war als „Jagdzauber“ gegen zu erlegende Tiere hochwillkommen, nicht aber als heimtückische Gesichtermalerei gegen voll akzeptierte Stammesgenossen zum Zwecke der Unterjochung und Gefügigmachung.

Später, in entwickelten theologischen Zeiten, galt das Abbildverbot vor allem gegenüber dem Antlitz Gottes. „Du sollst dir von Mir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen“, spricht Gott im ersten Gebot des Dekalogs , „weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist!“ Deutlicher als diese Lutherübersetzung erhellt aus der lateinischen „Vulgata“, was unter allen Umständen verboten sei: „Non facies tibi sculptile neque omnem similitudinem“, das heißt eine aus Stein gehauene oder aus Holz geschnitzte bemalte Fratze, die der Anbetung dient.

Andere Kulturkreise jenseits des biblischen Einzugsbereichs, Buddhisten und Shintoisten, haben derlei scharfe Verbote zwar nicht ausgesprochen, doch bleibt es eigenartig, daß überall auf der Welt und über lange Zeiten hinweg speziell die Darstellung des menschlichen Gesichts offenbar auf Vorbehalte stieß und selbst größte Künstler zaudern ließ. Keines der großen überlieferten Buddhabilder zeigt individuelle Gesichtszüge, und so auch die zeitgenössischen Herrschergestalten und ihre Begleiter nicht. Überall nur Norm und angestrengte Idealität.

In der klassischen Antike des Abendlands war es kaum anders. Die Schauspieler im Theater schritten auf Kothurn und trugen grelle Gesichtsmasken. Die Ehrenstatuen für erfolgreiche Sportler oder ruhmbedeckte Senatoren halten sich, mag sein, an gewisse individuelle Erscheinungsformen, doch es überwiegt eindeutig das Allgemeine: hier „der“ kecke, jünglinghafte Stafettenläufer oder Speerwerfer, da „der“ bedächtig-entschlossene Senator und Entscheidungsträger. Erst in den allerletzten, bereits vom Vormarsch des Christentums angerührten Dezennien änderte sich das allmählich.

 

Hans Belting hat mit der Kernthese seines Buches recht: Die künstlerische Entdeckung des individuellen Gesichts war eine Folge des Christentums. Im Gesicht des Gekreuzigten, das  die abendländische Kunst zu prägen begann, war keine Verstellung mehr möglich, alle Masken waren gefallen, und dahinter trat mit größter Wahrhaftigkeit die unendliche Passion zutage, die da – stellvertretend für alle Menschen – erlitten wurde, nebst individuellen Furchen und Schmerzenslinien. Höchste, höchst ehrwürdige Allgemeinheit und totale Vereinzelung fielen zusammen.

Von da an wurde das Einzelgesicht des Menschen für viele neuartige Wissenszweige und Kunstrichtungen „interessant“. Physiognomiker etablierten sich, die aus einzelnen Gesichtsfurchen ganze Schicksale herauslasen – und dafür Geld nahmen, ob nun von den Gesichtsinhabern selbst oder von ihren Gegnern. Und in der bildenden Kunst wuchsen, von Rembrandt bis Max Liebermann, Porträtkünstler heran, die es fertigbrachten, die von ihnen Porträtierten gewissermaßn gnadenlos zu entlarven, ohne ihnen doch im mindesten die Würde zu rauben.

Heute ist diese Porträtkunst, auch darin hat Belting recht, dank der neuen Medien erloschen. Keiner der zur Zeit so eifrig auf Ausstellungen herumgereichten „genialen Porträt-Fotografen“ reicht an Rembrandt oder Liebermann heran, was vielleicht weniger an ihnen selbst liegt als an ihrem Handwerkszeug und an ihrer Kundschaft. Auch die raffinierteste Kamera ist an Subtilität einem Rembrandtschen oder Liebermannschen Röntgenblick unterlegen; andererseits täuschen sie, die Superkameras, eine Vollkommenheit vor, die ihre Benutzer, zu ihrem eigenen Schaden, überheblich und oberflächlich werden läßt.

Was aber die Kundschaft betrifft, so muß man mit ihr fast Mitleid haben. Sie ist wegen der aktuellen Bilderfülle, die nichts weiter ist als eine riesige geistige Einförmigkeit, ganz und gar auf bloße Klischee-Erfüllung aus. Über sie hat einstmals schon vorausahnend der junge Hamlet bei Shakespeare geklagt: „Oh ihr! Gott hat euch ein Gesicht gegeben, und ihr macht daraus einen Hintern“.

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