© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Das Schreckliche schön dargestellt
Ehrenrettung des Wagner-Jahres: Mit der „Götterdämmerung“ schließt der „Ring“ des Staatstheaters Cottbus nach zehn Jahren
Sebastian Hennig

Es ist bezeichnend, daß die beeindruckenden Aufführungen von Wagners Werken in diesem Jubiläumsjahr jene sind, die szenisch oder konzertant erfolgen (JF 17/13), und nicht die üppigen Inszenierungen, in denen die Theatermaschine zumeist aus vollen Rohren ins Blaue schießt. Ein steiler Höhepunkt sowohl in musikalischer wie darstellerischer Hinsicht wurde vom Staatstheater Cottbus mit einer halbszenischen Darbietung erreicht.

Der Intendant des Hauses, Martin Schüler, inszenierte 2003 „Rheingold“, wobei das Orchester auf der Bühne saß und fast alle Partien mit Ensemble-Mitgliedern besetzt waren. Die Hundertjahrfeier des Jugendstil-Theaters 2008 forderte die Weiterführung heraus. 2011 hatte dann bereits „Siegfried“ Premiere. Und nun kurz vor dem 200. Geburtstag Wagners wurde der Cottbuser „Ring“ mit der „Götterdämmerung“ gerundet.

Die Aufführung war für Cottbus ein phantastischer Erfolg und für die deutschen Bühnen insgesamt eine Ehrenrettung dieses so schäbig begangenen Wagner-Jahres. Leider kann eine zusammenhängende Vorstellung der Tetralogie dort aus technischen Gründen nicht realisiert werden.

So wie das Philharmonische Orchester des Staatstheaters in der Absicht des Intendanten und Regisseurs auf der Bühne als antiker Chor figuriert, wird der Zuschauer und Zuhörer im Nu in ein staunendes Kind zurückverwandelt. Denn unter Theatersnobs scheint sich dieses Ereignis noch nicht herumgesprochen zu haben. Die Akustik ist makellos. Das Orchester unter der Leitung des knabenhaft wirkenden Amerikaners Evan Christ schafft einen staunenswert runden Klang, der kleine Patzer in der Homogenität völlig untergehen läßt. Selbst das Blech, das in den mittleren Orchestern beim Wagner-Repertoire oft in ein räudiges Gebell verfällt, tönt hier wohl und voll.

Der Siegfried (Craig Bermingham) läßt sich vorab als indisponiert ankündigen. Er hat eine fabelhaft schöne Stimme, die etwas an Klaus Florian Vogt erinnert, und er weiß diese mit Gefühl und Modulation zu gebrauchen. Er ist eine Naturbegabung, keiner der groben Vokalsportler, wie sie sich landauf, landab über die Bühnen schreien. Daß sein Beitrag im Internettrailer des Theaters die gleichen technischen Mängel aufweist, läßt den Hinweis auf die Tagesverfassung nicht recht glaubwürdig erscheinen. Er ist ein Meister der Übergänge und Wandlungen, aber wenn ein Ton länger zu halten ist, wird der oft buchstäblich ermeckert. Das ist bemerkbar, aber es schmeckt nicht vor.

Nein, kein Wermutstropfen verbittert diesen Abend. In Cottbus wird der Mut Wagners geteilt, das Schreckliche schön darzustellen. Sabine Paßow ist eine Brünnhilde mit Leib und Stimme. Das gleiche gilt für Hagen (Gary Jankowski), Gutrune (Gesine Forberger) und Gunther (Andreas Jäpel). Zu den ergreifendsten Szenen gehört der Dialog zwischen Brünnhilde und Waltraude, deren Not von der gebürtigen Südtirolerin Marlene Lichtenberg mit wunderbarer Anmut dargestellt wird. Von der Rangbrüstung herab singend, kündigt sie ihr Kommen. Ein Siegfried mit Topfhelm schleift seine Geliebte an den Haaren einem anderen Mann zu. Selten ist diese Szene mit dieser urtümlich intimen Brutalität dargestellt worden. Eine subtile Lichtführung auf die Szene läßt einen die Abwesenheit einer Kulisse vergessen. Die silbernen Brustpanzer und Helme werden in der Marmorverkleidung des Zuschauerraums reflektiert.

In dem Licht erklärt sich der Sinn des Werks

Als Siegfried zum Rhein fährt, läßt er sich mit einem Seil aus der Loge herab. Die Mannen stürmen durch die Saaltüren auf die Bühne, während die Frauen von den Seitenbalkonen auf die Szene blicken. Die gutmütig-wilde Manneskraft, die sich in den rassigen Slawen-schädeln der Mitglieder des slowakischen Opernchors „Cantica Istropolitana“ aus Preßburg kundgibt, vermag kein Maskenbildner besser auszuformen, als es durch die Natur bereits geschehen ist. Es gibt Theater von Menschen für Menschen, voller Schönheit und Glanz.

In diesem Licht klärt sich auch der Sinn des Werks. Wagners Forderung, die Bühne zu einer Stätte sittlicher Erziehung werden zu lassen, wurde hier einmal ernst genommen. Schicht für Schicht lösen sich die Schalen um den scharfen grünen Kern dieses Werks. Die Inszenierung löst sich völlig in der Dramatik von Musik und Handlung auf, ohne originelle Rückstände. Alles ist derb und sinnlich, aber nicht übertrieben. Die Bewegungen sind sängerfreundlich und befinden sich im Einklang mit dem musikalischen Fortgang. Wieviel unfreiwillige Komik ist möglich, wenn sich Siegfried von Brünnhilde anfangs verabschiedet, und wie übermütig, herzlich und innig wurde das hier dargestellt.

Während des Trauermarsches wirft sie sich auf Siegfrieds Leichnam. Dann erscheint der Wanderer Wotan als stumme Rolle, zieht den Hut und läßt sich neben der Tochter auf die Knie nieder. Als er die lederbehandschuhte Rechte zu ihr ausstreckt, weicht sie kopfschüttelnd zurück. Denn die alten Götter sind gerichtet: „Alles weiß ich, alles ward mir nun frei.“ Wie selten doch kann das Publikum diese Worte Brünnhildes am Schluß einer Vorstellung teilen. Das bürgerliche Witwenkostüm mit engem Rock, Kappe und Schleier gibt ihrer Figur die finale Würde. Den Rheintöchtern, die selbst schon von der Gier Alberichs angekränkelt scheinen, verweigert sie den Ring vorerst noch. Denn: „Das Feuer, daß mich verbrennt, reinige vom Fluch den Ring.“

Wenn die Naturwesen jubelnd den Ring emporrecken, kommen die Zeilen aus dem Gedicht „Die Not“ in den Sinn, das Wagner im Revolutionsjahr 1849 verfaßte. Darin heißt es: „Denn über allen Trümmerstätten / blüht auf des Lebens Glück: / Es blieb die Menschheit frei von Ketten, / und die Natur zurück. (…) Der Freiheit Morgenrot – / entzündet hat’s – die Not!“ Und ein ergriffenes Publikum applaudiert stehend.

Die nächsten Vorstellungen der „Götterdämmerung“ am Staatstheater Cottbus, Großes Haus am Schillerplatz, finden erst in der kommenden Spielzeit am 2. Februar, 1. und 16. März 2014, jeweils um 16 Uhr, statt. Kartentelefon: 03 55 / 78 24 24 24

 www.staatstheater-cottbus.de

Craig Bermingham (Siegfried) und Sabine Paßow (Brünnhilde): Urtümlich intime Brutalität

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