© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Musterdeutscher a. D.
ZDF: Nicht Horst Tapperts SS-Vergangenheit ist erschreckend, sondern der weltfremde Umgang damit
Günther Deschner

Muß Horst Tappert, muß „Derrick“ jetzt posthum der Prozeß gemacht werden? Viereinhalb Jahre nach seinem Tod kam nun ein dunkles Geheimnis seiner Vergangenheit ans Licht. Tappert war 1940 als 17jähriger gemustert, zur Wehrmacht eingezogen und als Flugabwehrkanonier ausgebildet worden. 1943 – und darüber hatte er kaum gesprochen und sich auch nie dafür entschuldigt – wurde er Angehöriger bei einer Waffen-SS-Division – so wie damals mehr als 800.000 andere Deutsche und Freiwillige aus dreißig Nationen Europas auch.

Es ist schwer, keine Satire zu schreiben – angesichts der neuesten Alarmmeldungen, die die Medienfront erschüttern. Es begann mit dem niederländischen Privatsender Max: Er brach vor zwei Wochen die Wiederholung von zwanzig Derrick-Folgen ab, als bekannt wurde, daß Tappert vor 70 Jahren der Waffen-SS, dem sogenannten 4. Wehrmachtsteil, angehört hatte. Die Ausstrahlung würde „die Kriegsopfer verhöhnen“, begründete der Sender seine Entscheidung.

Eilfertig gab daraufhin das ZDF – das die 281 Episoden der erfolgreichsten TV-Serie der deutschen Fernsehgeschichte produziert und in 108 Länder verkauft hatte – bekannt, „im Zweiten“ sei eine Wiederholung von Derrick-Folgen nicht geplant.

Nun zog auch Frankreichs TV-Sender France 3 nach und brach die bereits laufende Ausstrahlung der Krimiserie „früher als geplant“ ab. Und es kam noch schlimmer: Laut bayerischem Innenministerium wird dort sogar „erwogen“, Horst Tappert den Titel „Ehrenkommissar der bayerischen Polizei“ abzuerkennen.

Damit nicht genug: Es ist uns schon klar, daß Tappert posthum noch viel mehr zurückgeben muß: den Bambi von 1970, die Goldene Kamera in der Kategorie Beliebtester Krimiheld (erster Platz der Hörzu-Leserwahl), seine diversen Bundesverdienstkreuze, seinen Bayerischen Fernsehpreis von 2003. Und all die ausländischen Trophäen – den niederländischen Fernsehpreis Silberne Tulpe, den Willy-Brandt-Preis der norwegisch-deutschen Willy-Brandt-Stiftung samt dem Grundstück, das ihm die Norweger dazu schenkten, Italiens Fernsehpreis „Telegatto“ und natürlich auch den Telestar und die Platin-Romy, mit denen er 1998 „für sein Lebenswerk“ ausgezeichnet wurde – soweit es schon bekannt war, damals.

„Das Bild der Deutschen  im Ausland repräsentiert“

In Deutschland sahen mehr als zehn Millionen Menschen immer freitags dem Oberinspektor zu. Auch der Erfolg im Ausland war überwältigend. Als Bundespräsident hat Richard von Weizsäcker gesagt, Stephan Derrick habe „das Bild der Deutschen im Ausland am besten repräsentiert“. Ob er das nicht auch zurücknehmen müßte, jetzt wo man endlich weiß, was der Schauspieler, der den „Musterdeutschen“ Derrick so gut verkörperte, für einer war?

Es ist auch nicht ohne Ironie, daß das Zweite Deutsche Fernsehen einem einfachen Ex-Soldaten der Waffen-SS ohne Prüfung des Einzelfalls posthum die Sendezeit kappt, während es den soeben erst aus dem Dienst geschiedenen ZDF-Historiker Guido Knopp jahrzehntelang den „Führer“ pausenlos durch das Programm des Mainzer Staatssenders geistern ließ.

Der zum Skandal aufgebauschte Vorgang um den TV-Star Tappert zeigt auch ungeschminkt, wie weit sich der Wissensstand um Realitäten der deutschen Zeitgeschichte trotz allen „Aufarbeitens“ verdünnt und wie sich das Verständnis vom Programmauftrag des öffentlichen Fernsehens in Richtung einer antifaschistisch grundierten Parteilichkeit verändert hat. Wenigstens in Tapperts 1998 erschienene Autobiographie „Derrick und ich“ hätte man einen Blick werfen müssen, ehe man ihn posthum „abschaltete“.

Darin hat Tappert durchaus vom Krieg erzählt, seinem Einsatz „am Don“, seiner schweren Verwundung (Bauchschuß), vom verlustreichen Rückzug. Die Buchstaben „SS“ und der Divisionsname „Totenkopf“ fallen nicht. Eine Debatte mit Drehbuchautor Herbert Reinecker aber schon. Der hatte für eine neue Folge ein Buch geschrieben, in dem die Verbrechen an bosnischen Muslimen im Jugoslawenkrieg mit deutschen Verbrechen in Rußland verglichen wurden. Tappert: „Die Mordtaten und Vergewaltigungen in Bosnien sind grauenhaft, doch die während des Dritten Reichs eiskalt geplante Vernichtung von Juden steht moralisch noch tiefer.“

Bei Reinecker reagierte    der Sender ganz anders

Als Hausautor Reinecker, dessen SS-Vita dem Sender bekannt war, 2007 starb, würdigte ihn der damalige ZDF-Fernsehspielchef Hans Janke so: „Da hat einer tatsächlich Fernsehen geschrieben, ein Millionenpublikum aufs allerbeste unterhalten und – bleibendes Verdienst – im Spiel vermittelt, was eine demokratische Gesellschaft auszeichnet. Reinecker nämlich hat, wie wenige, Lehren aus der deutschen Vergangenheit gezogen, die auch seine eigene war.“

Zweimal ZDF. Nur sechs Jahre liegen zwischen den Fällen Reinecker und Tappert! Und doch sind es zwei Welten.

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