© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

„Mir reichte es, ich wollte raus“
Stefan Rochow war lange Jahre ein führender NPD-Funktionär, dann stieg er aus. Nun hat er ein Buch darüber geschrieben
Moritz Schwarz

Herr Rochow, trägt die NPD Mitverantwortung für die mutmaßliche Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“?

Rochow: Offenbar gehören einzelne NPD-Kader in Thüringen zu deren Unterstützern, der Bundesvorstand aber hatte zu meiner Zeit und nach meinem Wissen keinen Kontakt mit dem NSU.

Offiziell lehnt die NPD Gewalt ab. Ist das glaubwürdig?

Rochow: Ja, und das aus Überzeugung, nicht etwa nur aus taktischen Gründen.

Wirklich? 2004 etwa wurde mit Thorsten Heise ein militanter vorbestrafter Neonationalsozialist in den Vorstand gewählt.

Rochow: Ja, aber auch er hat sich in meiner Gegenwart nie positiv über Gewalt geäußert, auch nicht quasi „abends beim Bier“. Natürlich weiß ich nicht, was mancher heimlich gedacht haben mag, aber das ist Spekulation. Offiziell war glasklar: Gewalt ist nicht unser Weg.

Hat man sich mit „klammheimlicher Freude“ aber etwas wie den NSU gewünscht?

Rochow: Es wurde nie über so etwas gesprochen. Und ich bin ehrlich aus allen Wolken gefallen, als der NSU aufflog. Nein, ich glaube, daß es keinerlei Bezug der Parteiführung zum NSU gab.

Dann ist die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen NSU und NPD-Verbotsverfahren also willkürlich?

Rochow: Der NSU wurde von interessierten Kreisen wohl nur benutzt, um das Verfahren, das ja schon länger gefordert wurde, in Schwung zu bringen.

Das müßte Ihnen doch gefallen, schließlich sind Sie heute ein strikter Gegner der NPD.

Rochow: Als liberaler Mensch glaube ich nicht an die Wirksamkeit von Verboten. Es nützt auch nichts: Problem ist die Ideologie, nicht die Partei.

1998 traten Sie der NPD bei, rasch gelang Ihnen der Aufstieg in den Bundesvorstand.

Rochow: Denn gutes Personal ist in der NPD dünn gesät. Es ist erschreckend, wie niedrig, vor allem auf den unteren Ebenen, das intellektuelle und charakterliche Niveau vieler Mitglieder ist.

Zum Beispiel?

Rochow: Als es uns 2004 gelang, in den sächsischen Landtag einzuziehen, entpuppten sich die meisten unserer Abgeordneten als großes Problem: Bis auf Ausnahmen waren sie, deutlich gesagt, Arbeitsverweigerer, die zwar Diäten bezogen, aber nichts dafür taten. Die parlamentarische Arbeit wurde fast gänzlich von den Fraktionsmitarbeitern geleistet. Im Plenum konnte das überdeckt werden, weil sie dort nur die Reden zu verlesen hatten, die ihnen die Fraktionsmitarbeiter schrieben. In Ausschußsitzungen aber, wo sie auf sich allein gestellt waren, wurde das Trauerspiel sichtbar.

Sie schildern die NPD als ausgedünnt, pleite, geistig und charakterlich überwiegend unterentwickelt – gleichzeitig aber als hochgefährlich. Wie paßt das zusammen?

Rochow: Die NPD ist der politische Arm einer gefährlichen Bewegung. 

Keiner wirft Grünen, SPD und Linken wegen derer – allerdings unterschiedlich ausgeprägter – Verflechtung mit dem Linksextremismus vor, deren politischer Arm zu sein.

Rochow: Dennoch halte ich die NPD wegen ihrer Ideologie für gefährlich. Die Grenzen zwischen Funktionsträgern der NPD und Führungskadern in den Freien Kameradschaften sind fließend. Manche Kader sind auch beides. Und ich warne, daß über die Partei Gelder in Projekte der Freien Kameradschaften fließen.

So wie das auf der anderen Seite im Zuge des „Kampfes gegen Rechts“ Alltag ist.

Rochow: Das kann ich nicht leugnen. Wenn ich dies bei der NPD kritisiere, werde ich die Fälle auf der anderen Seite nicht verteidigen. Ich halte die heutige Form der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus für problematisch.

Geben Sie uns bitte ein Beispiel für solch eine Finanzierung via NPD.

Rochow: Etwa wenn NPD-Abgeordnete ihre Bürgerbüros in Liegenschaften von Führern Freier Kameradschaften einmieten und diese so mitfinanzieren.

Ein anderes Problem der Partei, das Sie in Ihrem Buch schildern: Die NPD sei die Geisel ihres nationalsozialistischen Flügels.

Rochow: Ich selbst rechnete mich dem nationalrevolutionären Flügel zu und glaubte, der alte, auf den Nationalsozialismus fixierte Flügel der Partei werde eines Tages verschwinden. Ich glaubte damals, aus der NPD lasse sich eine moderne nationalistische Partei machen.

Was haben Sie darunter verstanden?

Rochow: Der Grund für mein politisches Engagement war nie, daß ich im Leben zu kurz gekommen war, oder der reine Haß auf Ausländer, obwohl ich den später als Parteifunktionär leider zur Genüge geschürt habe. Sondern, weil ich etwas für mein Land tun wollte, weil ich Ungerechtigkeiten beseitigen und denen auf die Finger hauen wollte, die das Gemeinwohl nicht scherte. Das Soziale an der NPD zog mich an.

Sie betrachteten sich damals als „nationalen Sozialisten“, wie Sie schreiben.

Rochow: Ja, worunter ich aber etwas ganz anderes verstand als unter Nationalsozialist. Viele glauben, das Soziale sei bei der NPD nur aufgesetzt. Ein fundamentaler Irrtum! Zwar wird es auf rassistische Weise interpretiert, aber es gehört absolut elementar zur Parteiprogrammatik.

Also ist die NPD eine linke Partei, wie Horst Mahler sagt?

Rochow: Auf jeden Fall!

Sie sahen sich folglich nicht als Rechten?

Rochow: Nein, eigentlich sah ich mich als Linken. Nur nannte ich mich in Abgrenzung zu den roten Linken nicht so, sondern eben „nationaler Sozialist“. Ich beschäftigte mich mit dem Nationalbolschewismus, las Ernst Niekisch und identifizierte mich, wenn überhaupt, dann mit dem linken Strasser-Flügel der NSDAP. Doch irgendwann wurde mir klar, daß der Hitlerismus aus der Partei nicht verschwinden würde. Im Gegenteil, mit dem Einzug der NPD in den Schweriner Landtag erhielt der nationalsozialistische Flügel sogar eine eigene Fraktion, der es – anders als in Dresden – nicht um Sacharbeit ging, sondern nur um Provokation.

Zu dieser Zeit begannen Sie, sich mit dem Gedanken an einen Ausstieg zu tragen.

Rochow: Das war ein jahrelanger Prozeß, dessen Beginn ich heute daran festmache, daß ich 2005 zufällig den greisen Papst Johannes Paul II. im Fernsehen den Ostersegen spenden sah. Die Szene rührte mich eigentümlich an, obwohl ich als Nationalist die Kirche als Feind betrachtete. Dann kam die Wahl Benedikts XVI., und mein Interesse wuchs. Ich besorgte mir seine Bücher und merkte, daß sie mir etwas zu sagen hatten. Damals lernte ich meine heutige Frau kennen, eine Christin, mit der ich über mein Eintauchen in diese neue Welt sprechen konnte. Zugleich wurde mein Gefühl der Leere immer deutlicher, und ich entfremdete mich der Partei immer mehr.

Inwiefern?

Rochow: Die erste große Enttäuschung war wie gesagt, als ich merkte, daß es den frischgebackenen Abgeordneten in Dresden nur um die eigene Versorgung ging. Beim Diäten- und Sonderzulagenabgreifen waren sie ganz groß. Mich widerte das an, schließlich hatte die Partei den Bürgern versprochen, „den Bonzen auf die Finger zu hauen“, und jetzt verbonzte sie selbst. Brave NPD-Mitglieder spendeten aufopferungsvoll und oben stopften sich so manche damit die Taschen voll. Ich glaube allerdings nicht, daß dieses Problem bei der NPD größer ist als bei anderen Parteien. Aber wir waren doch mit dem Versprechen angetreten, es besser zu machen! 2006 dann die nächste Enttäuschung mit der neonationalsozialistischen Fraktion in Schwerin. Das Faß zum Überlaufen brachte, daß mich einige in der Partei zu mobben anfingen, als bekannt wurde, daß meine zukünftige Frau ein halbtürkisches Kind mit in die Ehe brachte. Solche Kinder gelten in der NPD als Bastarde, die besser abgetrieben hätten werden sollen. Weil ich aber zu dem Kind stand, statt mich wie verlangt von der Mutter zu trennen, gaben mir einige nicht mehr die Hand. Mir reichte es, ich wollte raus!

Das erinnert an den Fall der Ruderin Nadja Drygalla, der wegen ihrer Liebe zu einem Ex-NPD-Mann nahegelegt wurde, die Olympischen Spiele besser abzubrechen.

Rochow: Auch das halte ich für falsch.  

Es verwundert allerdings, daß Sie 16 Jahre brauchten, um zu realisieren, daß die NPD überwiegend eine rassistische und neonationalsozialistische Partei ist.

Rochow: Ich wundere mich heute selbst – aber ich hatte mich verrannt. 

Ihr Buch läßt einen jedoch ratlos zurück.

Rochow: Inwiefern?

Man hätte sich eine objektive Bestandsaufnahme gewünscht, doch sie wirkt ebenso einseitig wie Ihr Einsatz für die NPD.

Rochow: Das höre ich zum ersten Mal.

Ihrem NPD-Nationalismus damals stellen Sie heute „die europäische Idee“ entgegen – als gäbe es nichts dazwischen.

Rochow: Ich bekenne mich durchaus zu einem gesunden Patriotismus und fände es absurd, Deutschland zu hassen oder mich von meinem Volkstum zu lösen.

Nichts davon schreiben Sie im Buch, dort entsteht der Eindruck, als hätten Sie mit der NPD auch die Nation entsorgt, nach dem linken Motto: Nation ist gleich Nazi.

Rochow: Solche Ansichten halte ich für Unsinn. Allerdings, Volk und Vaterland sind heute nicht mehr die entscheidenden Werte für mich. Und in der Tat glaube ich, daß der Nationalstaat ein überholtes Modell ist und unsere Zukunft in der europäischen Einigung liegt.

Ausführlich schildern Sie die Ausgrenzung durch das rassistische Denken der NPD. Sie unterschlagen jedoch, daß NPD-Mitgliedern selbst die gleiche Ausgrenzung widerfährt, etwa wenn Kinder ihre Schule verlassen müssen, weil ihr Vater Parteimitglied ist, oder aus dem gleichen Grund beim Arzt nicht behandelt werden. Sogar die „taz“ hat sich schon gefragt, ob manche der Anti-Rechts-Methoden nicht eigentlich denen des Dritten Reichs gleichen. Bei Ihnen aber zunächst kein Wort darüber.

Rochow: Moment, ich schreibe ein ganzes Kapitel dazu!

Ganz am Schluß, quasi in eigener Sache, als Sie klagen, keine Arbeit zu bekommen.

Rochow: Daß dies nur am Ende vorkommt, liegt daran, daß es nicht Thema des Buches ist. Ich glaube aber, ich mache sehr deutlich, daß ich Ausgrenzung nicht nur in eigener Sache für falsch und aus demokratischer Sicht für unwürdig halte. Wenn ich etwa auch an die Hetzjagden auf NPD-Demonstranten denke, an die haßverzerrten Gesichter mancher Gegendemonstranten und daran, wie Vertreter demokratischer Parteien und gesellschaftliche Repräsentanten wegsahen, wenn echte oder vermeintliche NPDler verprügelt wurden, dann ist das ein Bild der Demokratie, mit dem ich mich auch heute nicht identifizieren kann.

Sie stellen dar, wie Sie Fehler der NPD lange für Auswüchse hielten und nicht begriffen, daß sie systemimmanent sind. Man gewinnt bei Lektüre Ihres Buches den Eindruck, Sie wiederholen genau diesen Fehler, diesmal in bezug auf die etablierten Parteien und den politisch korrekten Konsens.

Rochow: Nein, ich glaube tatsächlich, daß diese Gesellschaft grundsätzlich besser ist als jene, die die NPD anstrebt, auch wenn ich selbstverständlich zugebe, daß es keine perfekte Gesellschaft gibt.

Warum finden Sie keine Arbeit?

Rochow: Da man mir auf dem Arbeitsmarkt nach meinem Schlußstrich keine Chance gab, habe ich mich – da Hartz IV für mich keine Lösung ist – selbständig gemacht. Zwar will mir keiner absprechen, daß ich meinen Ausstieg ernst meine, aber ich bekam immer wieder Absagen mit der Begründung, eine Einstellung oder Mitgliedschaft würde das Unternehmen oder den Verein doch in eine sehr peinliche Lage bringen.

Macht Sie das nicht nachdenklich?

Rochow: Natürlich. Zwar stimmt, ich war Neonazi, ich war Täter, nicht Opfer. Aber ich habe mich weiterentwickelt, bin umgekehrt. Aber die Antwort der Gesellschaft darauf scheint zu sein: „Einmal Neonazi, immer Neonazi!“ Für mich ist das das gleiche totalitäre Muster wie das aus dem ich komme. Eines aber gibt mir Hoffnung: Wenn Menschen mich persönlich kennenlernen, verschwindet ihr Erschrecken vor meiner Vergangenheit, und sie äußern mitunter gar Hochachtung davor, daß ich das geschafft habe.

 

Stefan Rochow galt lange als der wohl „wichtigste Nachwuchsfunktionär“ (Welt) der NPD. Von 2003 bis 2007 war er Mitglied im Bundesvorstand und Bundesvorsitzender der Jugendorganisation der Partei „Junge Nationaldemokraten“, außerdem stellvertretender Leiter des Parlamentarischen Beratungsstabes der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag und schließlich Pressesprecher der NPD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Mit 16 gehörte der 1976 in Greifswald geborene spätere BWL-Student zunächst zu einer Gruppe gewalttätiger, rechtsextrem orientierter Jugendlicher. Bald verabschiedete er sich aber aus dieser Szene. 1998 trat er der NPD bei, 2007 stieg er aus. Ende März veröffentlichte er sein Buch „Gesucht. Geirrt. Gefunden. Ein NPD-Funktionär findet zu Christus“ (Hess Verlag). Heute betreibt Stefan Rochow eine eigene Medien- und  PR-Agentur in Schwerin. www.stefanrochow.wordpress.com

 

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