© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Offline in die digitale Revolution
Parteitag: Streit um Internet-Parteitage spaltet die Piraten
Henning Hoffgaard

Katerstimmung. Auch einige Tage nach dem Piratenparteitag in Neumarkt kommt die Partei nicht zur Ruhe. Der Streit um die Etablierung einer Ständigen Mitgliedervertretung (SMV) hat tiefe Wunden gerissen. Eine Zweidrittelmehrheit wäre notwendig gewesen, um die von der Mehrheit der Piraten gewünschten Online-Parteitage zu ermöglichen. Drei Anläufe nahmen die Mitglieder, dreimal scheiterten die Anträge. Zwei Dutzend Stimmen fehlten in der entscheidenden Abstimmung. Einige Gegner der SMV, die vor allem datenschutzrechtliche Argumente vorgebracht hatten, stießen danach mit Sekt auf ihren Erfolg an. Bei den Befürwortern von Abstimmungen im Internet kam das denkbar schlecht an. Sie sehen den Ruf der Piraten als Partei neuen Typus in Gefahr. Die digitale Revolution fällt also vorerst aus. Die Debatte dazu hinterläßt verbrannte Erde.

Dabei sollte im beschaulichen Neumarkt doch alles anders werden. Geschlossen wollten sich die Piraten auf die Bundestagswahl vorbereiten und ein Zeichen setzen. „Piraten! Auf in den Deutschen Bundestag!“ donnerte Parteichef Bernd Schlömer den knapp 1.000 angereisten Mitgliedern entgegen. Vor einem halben Jahr in Bochum waren noch mehr als doppelt so viele gekommen. Der Ton gegenüber der Konkurrenz ist so hart, daß sich mancher Pirat an den politischen Aschermittwoch erinnert fühlt. Die FDP bezeichnet Schlömer als „Hotellobbyisten“, den Grünen hält der 42 Jahre alte Politiker vor, alt geworden zu sein, die Union versinke im Filz, und die SPD betreibe eine netzpolitische „Geisterfahrt“.

Wie schwach Schlömers Position nach dem Dauerstreit mit den Piraten-Fraktionen in den Landtagen und dem auf dem Parteitag zurückgetretenen politischen Geschäftsführer Johannes Ponader ist, hatte sich bereits am Freitag gezeigt. „Der Bundesvorstand hat versagt“, empört sich ein Redner. Von einem miserablen Öffentlichkeitsbild ist die Rede. Ein anderer Pirat bringt es auf den Punkt: „Mit diesem Vorstand ist keine programmatische Arbeit möglich.“

Die miese Stimmung wollte auch nicht vergehen, als die Piraten die 26 Jahre alte Katharina Nocun mit 81 Prozent der Stimmen zur Nachfolgerin des ungeschickt agierenden Ponader wählten. Wer allerdings auf eine neue Marina Weisband gehofft hatte, wurde enttäuscht. Weisband war von Mai 2011 bis April 2012 politische Geschäftsführerin. Nicht abgehoben, charmant und versierter im Umgang mit den Medien. Der Aufstieg der Piraten in den Umfragen war auch ihr zu verdanken. Nocun ist anders. Ihre Rede verliert sich in Phrasen, die Stimme überschlägt sich. „Wir sind die politische Kraft des Kommunikationszeitalters“, ruft sie. Die anderen Parteien will sie vor sich hertreiben. Viele Piraten starren während ihrer Rede auf ihre Laptops. Nichts Neues. Der Applaus bleibt höflich.

Bei den anderen Parteien dürfte sich die Angst vor der unscheinbaren Datenschutzexpertin in Grenzen halten. Besonders CDU und FDP können angesichts der beschlossenen Programmpunkte aufatmen. Mindestlohn, bedingungsloses Grundeinkommen, Kampf gegen Leiharbeit, mehr Rechte für Prostituierte, Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Eine linke Agenda für die Bundestagswahl. Zumindest in einem Punkt herrschte Einigkeit. Mit der Alternative für Deutschland (AfD) wollen die Piraten nichts zu tun haben. Das durfte auch Christian Jacken erfahren. Jacken hatte sich für den Bundesvorstand beworben und in seiner Rede gestanden, auch Mitglied der AfD zu sein. Prompt kommt Bewegung in die Menge. Viele Piraten verlassen laut schreiend den Saal. „Rechtsextremist“, ruft ein Teilnehmer. Jacken fällt durch und muß nach seiner Rede von zwei Sicherheitsleuten aus dem Saal geführt werden. Kurz darauf beschließt der Parteitag eine Unvereinbarkeitsklausel zwischen den Piraten und der AfD. „Einfallslos, kleinkariert und wenig zukunftsweisend“ seien die Euro-Kritiker, sagt Schlömer.

Jacken selbst gibt sich gelassen. „Wäre ich bei der Linkspartei oder den Grünen gewesen, hätten die Piraten anders reagiert“, sagt er der JUNGEN FREIHEIT. Den Piraten wirft er vor, die Euro-Krise nicht ernst genug zu nehmen. „Sie sind bei diesem Thema leichtgläubig und intransparent.“

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