© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Der Prozeß hat begonnen
NSU-Verfahren: Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen Beate Zschäpe belastbar ist
Marcus Schmidt

Der Münchner NSU-Prozeß gegen Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben, André E., Carsten S. und Holger G. hat mit dem Verlesen der Anklageschrift am Dienstag (siehe unten) erst richtig begonnen. Nun muß die Bundesanwaltschaft das Gericht von der individuellen Schuld der Angeklagten überzeugen. Auf dieser Seite stellt die JF einige Themen vor, die die Verhandlung in den kommenden Monaten prägen werden.

 

Die Morde

Um Beate Zschäpe der Mittäterschaft an den zehn dem NSU zur Last gelegten Morden zu überführen, und die Mitangeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. dementsprechend der Beihilfe zum Mord, muß die Anklage das Gericht davon überzeugen, daß Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos wie von ihr behauptet, die neun türkischen und griechischen Kleinunternehmer sowie die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet haben.

Das Problem für die Bundesanwaltschaft: Sie kann in ihrer Anklageschrift keine eindeutigen Beweise liefern. So sind die Täter etwa nie am Tatort von Zeugen eindeutig identifiziert worden. Allerdings stützt sich die Anklage auf ein dichtes Netz von Indizien.

Wichtigstes Verbindungsglied zwischen den Morden und dem NSU ist die mit Schalldämpfer versehene Waffe vom Typ Ceska 83. Sie wurde nach Erkenntnis der Ermittler bei allen neun Morden an den Kleinunternehmern verwendet und wurde nach dem Auffliegen des Trios im November 2011 in der Brandruine in Zwickau gefunden. Fingerabdrücke oder DNS-Spuren von Mundlos oder Böhnhardt konnten nicht festgestellt werden. Auch auf welchem Wege die Waffe aus tschechischer Produktion von einem Waffenhändler aus der Schweiz, der sie weiterverkauft hat, in die Hände von Wohlleben und S. gelangte, die sie an das Trio übergeben haben sollen, ist noch nicht lückenlos geklärt.

Für einige Morde wurden in den Resten der Wohnung zudem Stadtpläne gefunden auf denen der Tatort markiert war, sowie Anfahrtbeschreibungen. Auch gibt es einige Zeugenaussagen, die zumindest auf eine Anwesenheit Böhnhardts und Zschäpes schließen lassen. In einem Fall (dem Mord an Ismail Yaşar in Nürnberg) will eine Zeugin Zschäpe in der Nähe des Tatortes gesehen haben. Beim Mord an Theodoros Boulgarides in München haben die Ermittler zudem einen sogenannten Funkzellentreffer erzielt: Demnach rief Zschäpe von einer Telefonzelle in Zwickau Mundlos und Böhnhardt wenige Stunden vor der Tat auf einem Handy in München an. Die entsprechende SIM-Karte wurde in den Trümmern der Wohnung gefunden.

Als wichtige Indizien für die Täterschaft des Trios gelten zudem eine sorgfältig zusammengestellte Sammlung von Zeitungsausschnitten der Taten, die Zschäpe zugerechnet wird, sowie das Bekennervideo.

 

Das Bekennervideo

Das sogenannte „Paulchen-Panther-Video“, in dem sich der NSU zu den zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen bekennt, ist ein wichtiges Puzzle-Stück der Bundesanwaltschaft und nimmt in der Anklageschrift breiten Raum ein.

Von dem auf DVD gebrannten aufwendig hergestellten Film wurden laut Anklage mindestens 15 Exemplare von Zschäpe nach dem Auffliegen des Trios an Medien und politische Organisationen verschickt.

Ein wichtiges Argument dafür, daß die Macher des Videos mit den Tätern identisch sind, ist die Tatsache, daß in dem Film zwei Bilder von Opfern auftauchen, die offenbar von den Mördern nach der Tat selbst gemacht worden sind. Auch für den Mordanschlag auf die Polizistin Kiesewetter und ihren Kollegen gibt es einen Hinweis. So wird die Dienstwaffe des bei der Tat schwer verletzten Polizisten in dem Video gezeigt.

Die Anklage geht, gestützt auf Zeugenaussagen, davon aus, daß das Trio technisch in der Lage war, den Film selbst herzustellen. So werden Mundlos bemerkenswerte Computerkenntnisse attestiert. Zudem wurden im Brandschutt der Wohnung Datenträger mit den wichtigsten Dateien für die Filmherstellung sowie die entsprechende Software und ein mutmaßlich von Mundlos und Böhnhardt erstelltes Drehbuch gefunden.

Allerdings gibt es nach Ansicht der Bundesanwaltschaft Hinweise darauf, daß weitere Personen an der Herstellung des Videos beteiligt gewesen sein könnten. So konnten nicht alle für das Video notwendigen Dateien in der Frühlingsstraße sichergestellt werden, auch die Tonspur konnte anhand der aufgefundenen Daten nicht nachvollzogen werden. Auch waren offenbar nicht alle Datenträger mit den Computern des Trios kompatibel.

Nach Ansicht der Anklage gebe es Hinweise, aber keine Belege, daß der Mitangeklagte E. an der Erstellung des Videos beteiligt war.

 

Verfassungsschutz

Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses ist sich sicher. Es gibt nach Angaben von Sebastian Edathy (SPD) keine Hinweise darauf, daß der sogenannte „Nationalsozialistische Untergrund“, dem laut Bundesanwaltschaft Beate Zschäpe und die am 4. November 2011 in Eisenach ums Leben gekommenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zugerechnet werden, von staatlichen Stellen gedeckt oder gar unterstützt worden ist.

Dennoch gibt es im Umfeld des Trios, das für den Mord an zehn Menschen, zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verantwortlich gemacht wird, zahlreiche Hinweise auf V-Leute. Diese lieferten teilweise wichtige Hinweise auf den Verbleib des 1998 untergetauchten Trios, die allerdings zumeist nicht beachtet oder nicht an die Polizei weitergeleitet wurden. Während Edathy und die Mitglieder des Untersuchungsausschusses hierin ein eklatantes Versagen der Sicherheitsbehörden sehen, vermuten andere Beobachter, daß die Behörden auf diesem Wege systematisch versucht haben, Spuren zu beseitigen. Auch gab es immer wieder Hinweise darauf, daß der Verfassungsschutz zumindest versucht hat, Zschäpe anzuwerben.

Auch im Prozeß wird der Verfassungsschutz daher eine Rolle spielen. So ist der Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, Andreas T., der 2006 nur Sekunden vor dem Mord an Halit Yozgat in Kassel den Tatort verlassen hat, als Zeuge geladen. Daß dabei die Frage, ob er nur zufällig vor Ort war, endgültig geklärt wird, ist allerdings unwahrscheinlich.

 

Offene Fragen bleiben

Obwohl der Prozeß gegen Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten bereits begonnen hat, sind die Ermittlungen von Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt noch längst nicht abgeschlossen. Noch immer, das zeigt auch die Anklageschrift, kann das von den Behörden vermutete Tatgeschehen nicht lückenlos rekonstruiert werden.

Zudem stellen sich grundsätzliche Fragen, die vermutlich nur Beate Zschäpe beantworten könnte. Etwa, warum die Mordserie 2007 mit dem Mord an der Polizistin in Heilbronn abbrach. Auch zuvor hatte es aus unbekannten Gründen bereits längere Pausen gegeben. So wurden etwa zwischen August 2001 und Februar 2004 von dem Trio offenbar keine Morde begangen.

Doch auch das Ende von Mundlos und Böhnhardt in dem angemieteten Wohnmobil in Eisenach wirft immer noch Fragen auf. Etwa, warum die beiden Selbstmord begingen, obwohl sie schwer bewaffnet waren. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, daß die beiden sich in einer aussichtslosen Lage gesehen und sich aus Furcht vor der Verhaftung umgebracht haben.

Gleichzeitig dürfte das Münchner Gericht auch die Aussage von Zeugen beschäftigen, die eine dritte Person gesehen haben wollen, die das Wohnmobil nach der Entdeckung durch die Polizei verlassen haben soll. Die beiden Polizisten vor Ort haben diese Beobachtung indes nicht bestätigen können.

Foto: Uwe Böhnhardt (oben), Uwe Mundlos und Beate Zschäpe; Brandruine in Zwickau (r): Ein dichtes Netz von Indizien

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