© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Haltungsnote
Die Erhebung
Christian Rudolf

Kommt jetzt die nationale Erhebung? Die offiziellen Charts sprechen eine eindeutige Sprache: (amerikanischer) Pop ist out, (deutscher) Schlager voll angesagt. In den Top 100 seit 2003 geben Schlagerinterpreten den Ton an: Andrea Berg, Helene Fischer, Matthias Reim, Semino Rossi und neuerdings auch das Stehaufmännchen Heino, dessen Platten vor 30 Jahren auf dem Flohmarkt verramscht wurden – einst verpönt, heute wieder in aller Ohren. Da wird geliebt, gesehnt, getanzt und geschmachtet, „nie wieder“ geschworen und dann vergessen und verziehen – wie im richtigen Leben eben. Wohlfühlmusik in deutscher Sprache. Wer’s mag.

In zehn Jahren der RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ gab es noch nie einen deutschen Siegertitel – bis jetzt: „Mein Herz“ („es brennt / total verliebt / ist schon klar, daß es kein Morgen gibt“). Die glückliche Sängerin heißt Beatrice Egli, Tochter eines Metzgers im schweizerischen Pfäffikon. Die dralle Blondine geriet an den Hamburger Musikingenieur Dieter Bohlen („Modern Talking“), der schon so manches Mädel glücklich gemacht hat. Mit ihrem Gesang wolle die gelernte Haarstylistin möglichst vielen Menschen Mut und Kraft, Freude und Fröhlichkeit ins Herz singen. „Die Leute freuen sich, ihre deutsche Sprache klingen zu hören.“ Na, denn man tau: Nun hat sie einen Hit sitzen, und nach einigem Anlauf endlich den erhofften Plattenvertrag.

Der neue Schlagerstern führt mit einem Wahnsinnsabstand die deutschen Single-Download-Trends von Media Control an: „Mein Herz“ laden die Fans so oft herunter wie die Plätze zwei bis fünf zusammengenommen. Es ist die Musik, die in Friseursalons so aus dem Radio plärrt. Und es schaudert, wie ein textlich sinnfreier Schnulzsong in solche Höhen gelangen kann. Die Erhebung eben.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen