© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

Grüße aus Jerusalem
Guter Rat ist teuer
Philipp Gracht

Sie ist das Symbol des Judentums schlechthin: die Jerusalemer Klagemauer. Als sie im Juni 1967 im Sechstagekrieg in israelische Hand fiel, schufen die neuen Herren schnell Fakten: Das alte Mughrabi-Viertel, das sich bis auf eine wenige Meter enge Gasse an die herodianische Stützmauer des Tempelberges heranschob, wurde binnen Stunden abgetragen. Die Zeiten, da arabische Hirten Herden von Schafen und Ziegen durch die dicht gedrängt stehenden Beter trieben, sollten vorbei sein. Eine weitflächige Plaza entstand vor der Mauer mit abgetrennten Gebetsbereichen für Männer und Frauen. Ein Gesetz regelte, daß alles zu vermeiden sei, was dem lokalen Brauch widerspreche. Und was das sei, entschied ein orthodoxer Rabbiner.

Mit diesem religionspolitischen Status quo will sich eine Gruppe vor allem amerikanischer Jüdinnen liberaler Provenienz seit einigen Jahren nicht mehr abfinden. Die „Women of the Wall“ beharren auf ihrem Recht, samt Gebetsriemen und -schal an der Mauer beten zu dürfen – nach Art der Männer. Damit provozierten sie bis vor kurzem regelmäßige Zusammenstöße mit der Polizei, die gehalten war, ortsfremdem Brauch zu wehren. Noch im April wurden Frauen von den Sicherheitskräften abgeführt. Das hat sich jetzt nach einer Entscheidung eines Jerusalemer Gerichts geändert: Die Polizei habe nicht das Recht zu solchen Maßnahmen.

Solchermaßen der Rückendeckung durch die Staatsmacht beraubt, beschlossen aufgebrachte Ultra-Orthodoxe, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Als sich die „Women of the Wall“ kürzlich wie zu Beginn jedes Monats zur morgendlichen Andacht versammelten, trafen sie auf Tausende junger ultra-orthodoxer Frauen, die von ihren Rabbinern mobilisiert worden waren. Auch viele ultra-orthodoxe Männer waren anwesend. Steine, Stühle und Plastikflaschen flogen in Richtung des Häufleins liberaler Jüdinnen.

Die Unhaltbarkeit solcher Zustände wurde der Politik damit einmal mehr vor Augen geführt. Es wurde deshalb vorgeschlagen, einen dritten Bereich an der heiligen Mauer einzurichten, wo reformorientierte Juden nach ihrer Art beten könnten. Doch das ist leichter gesagt als getan. Noch ehe die benachbarten Moslems sich zu Wort melden konnten, erhob jetzt die israelische Archäologie Einspruch: Auf keinen Fall dürfe etwas an dem Areal um den Tempelberg verändert werden. Jetzt ist guter Rat teuer.

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