© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

Keine Angst vor der eigenen Courage
Südtirol: Bei strahlendem Sonnenschein feierten Flamen, Schotten, Venetier, Katalanen und Südtiroler den Ersten Unabhängigkeitstag
Reinhard Liesing

Meran ist überfüllt. Touristen sitzen in Cafés entlang der Passerpromenade und blinzeln in die Sonne. Urplötzlich durchbricht rhythmischer Peitschenknall von Goaßlschnöllern die Leichtigkeit selbstgenügsamen Daseins. In Gruppen ziehen rot-weiße Tiroler Fahnen schwenkende „Weiberleit“ und „Mander“ am Kurhaus vorbei zum Sandplatz.

Rundum sind Stände errichtet worden, Funktionäre Südtiroler Parteien sowie Vertreter des Südtiroler Heimatbunds (SHB) diskutieren mit Passanten. Folkloristisch-musikalische Darbietungen sorgen für gute Stimmung, Volkstanzgruppen lösen Schuhplattler aus Tramin ab. Aus Flandern sind Flaggenschwinger auf dem Parcours, ein Traditionsverband aus dem Veneto läßt sich von den „Scottish bagpipers“ verzaubern. Der isländische Chor „Heklurnar“ trägt wehmütige Lieder aus dem Freiheitskampf gegen die Dänen vor. Und bald tanzen Einheimische und Gäste nach fetzigen Rhythmen der krachledern gewandeten Musikgruppe „VolxRock“.

Womit sich zeigt, daß eine höchst politisch motivierte Initiative, der die Zukunft Südtirols am Herzen liegt, binnen kurzem den Charakter eines Volksfestes angenommen hat, bei dem sich mehr als zehntausend Besucher ein farbenfrohes Stelldichein geben.

Eine in ein fröhliches Fest eingebettete Kundgebung – das ist es, was die Initiatoren unter Führung des Südtiroler Schützenbundes (SSB) beabsichtigten, als sie diesen „Unabhängigkeitstag“ organisierten. Unter dem Motto „Jetzt! Für mehr Freiheit und Unabhängigkeit“ wollten sie zeigen, daß die Tiroler südlich des Brenners über ihre Zukunft nachdenken und sich anschicken, sie selber in die Hand zu nehmen, um Italien den Rücken zu kehren. Nicht in einem Aufmarsch der Kompanien unter Trommelwirbel (JF 17/12) wie im Jahr zuvor, der die italienischen Sicherheitsbehörden zu einem ausnahmezustandsartigen Aufgebot an Staatspolizei, Geheimdienstlern und Carabinieri veranlaßte, sollte sich der Schützenauftritt erschöpfen, sondern ein Fest verschiedener Völker sollte es werden, die eines gemeinsam haben: Sie treten für die Unabhängigkeit und Freiheit ihrer Heimat ein.

„Wir wollen über unsere Zukunft frei entscheiden können, und den Weg dorthin möchten wir frei wählen. Wir wollen uns nicht vor uns selber fürchten, vor der eigenen Freiheit, Selbstbestimmtheit und vor dem eigenen Mut“, ruft Verena Geier, eine kesse Marketenderin, den Teilnehmern zu, die sie namens des SSB begrüßt.

Bart De Valck aus Flandern und Matteo Grigoli aus dem Veneto legen Beweggründe für den Kampf ihrer Volksgruppen um Unabhängigkeit dar. Christopher White aus Schottland klärt über das für 2014 festgelegte Unabhängigkeitsreferendum auf. Anna Arqué aus Katalonien und Enaut Arretxe Agirre aus dem Baskenland berichten vom Freiheitskampf ihrer Landsleute. Für die Isländer, die 300 Jahre lang unter dänischer Fremdherrschaft standen und dann die langersehnte Freiheit erlangten, spricht Jóna Fanney Svavarsdóttir und ermuntert die Südtiroler, die „erst“ seit 95 Jahren zu Italien gehören.

Ob die Südtiroler Freiheitlichen eine Freistaatslösung anstreben; ob das Ziel, wie es die Partei Süd-Tiroler Freiheit ansteuert, die Vereinigung mit Tirol und damit Rückgliederung nach Österreich ist; oder ob es diffuser ist, wie bei der BürgerUnion, die von einer „wahren Europaregion Tirol“ spricht – zweierlei eint die drei Oppositionsparteien im Landtag: Sie verlangen die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts und folgen alle dem Wahlspruch „Weg von Italien“.

Damit stellen sie sich gegen die seit 1945 regierende Südtiroler Volkspartei (SVP), deren Ziel die „Vollautonomie“ ist. Darunter versteht sie, „im Zusammenwirken mit Österreich“ Italien Zuständigkeiten auf den Politikfeldern Bildung, Steuern und innere Sicherheit abzutrotzen, somit den Weg der „inneren Selbstbestimmung“ weiter zu beschreiten. Womit sie für jeden erkennbar eingesteht, daß die Selbstverwaltung der Provinz Bozen-Südtirol eine Teilautonomie ist, die Rom in den letzten beiden Jahren nahezu bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hat.

Sich generell auf das inakzeptable Dasein Südtirols im krisengeschüttelten Italien beziehend, prangert daraufhin der Landeskommandant des SSB, Elmar Thaler, das Zaudern vieler Verantwortungsträger an. Viele Südtiroler wünschten sich die „Loslösung von Italien“ und wollten Taten sehen. Zwar gebe es dafür kein Patentrezept, Wege täten sich aber nur auf, wenn man sich dazu entschlösse, sie zu beschreiten. Thaler unterstreicht die starke Bindung zum „Vaterland Österreich“ und bekennt unter tosendem Applaus: „Woher würden wir die Forderung nach Selbstbestimmung nehmen, wenn wir nicht Teil eines abgetrennten Volkes, nämlich des Tiroler Volkes wären. Darauf und auf nichts anderes stützt sich unser moralischer Anspruch auf die Selbstbestimmung.“

Foto: Über 10.000 Besucher aus nah und fern bevölkerten am Pfingstsamstag den historischen Meraner Sandplatz: „Jetzt! Für mehr Freiheit und Unabhängigkeit“

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