© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

Von wegen Pluralismus
Uwe Krüger analysiert kritisch die Mechanismen der bundesdeutschen Medienlandschaft
Thorsten Hinz

Theoretisch gibt es in Deutschland eine pluralistische Presse. Sie garantiert, daß unterschiedliche Betrachtungsweisen, Meinungen und Standpunkte publiziert werden. Journalisten halten professionelle Distanz zum Elitediskurs in Politik und Wirtschaft. Sie zeigen seine Grenzen auf und beleuchten seine blinden Flecke. Die Auffächerung des öffentlichen Meinungsspektrums sorgt dafür, daß kein Meinungslager die Meinungsbildung monopolisiert. Konkurrenz und gegenseitige Kontrolle verhindern, daß Presseorgane oder einzelne Journalisten unerkannt als Sprachrohre politischer und wirtschaftlicher Interessengruppen agieren.

Soweit die Theorie. Die Praxis ist eine andere. Auf den zentralen Themenfeldern: EU, Euro-Rettung, Sicherheitspolitik, Islam, Ausländerkriminalität, „Kampf gegen Rechts“, NSU usw., haben wir es faktisch mit einer Einheitsmeinung und mit der „Gleichschaltung der medialen Debattenstruktur mit dem Diskurs der politischen Elite“ (A. Pohrt) zu tun. Wie kann es dazu kommen? Diese Frage versucht der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger zu beantworten.

Ausschlaggebend für die Meinungsbildung sind ARD, ZDF, n-tv, die Wochenmagazine Spiegel, Stern und Focus, die überregionalen Zeitungen FAZ, Süddeutsche, Welt, Bild, Zeit und wegen ihres Einflusses auf politische Meinungsführer selbst die taz mit ihrer überschaubaren Auflage. Die Financial Times Deutschland ist inzwischen eingestellt, die Frankfurter Rundschau kein selbständiges Organ mehr. Ein Teil dieser Leitmedien gehört international agierenden Großkonzernen, andere basieren auf einem Stiftungs- oder öffentlich-rechtlichen Modell. Wegen dieser Streuung hält Krüger die Eigentümerinteressen für wenig relevant bei der Formulierung der öffentlichen Meinung. Marxisten werden an dieser Stelle energisch Einspruch einlegen. Doch Krügers Modell ist hinreichend komplex, um diesen Einspruch aufzufangen.

Entscheidend ist die Einbettung der „Alpha-Journalisten“ in die Netzwerke der Machteliten. Es handelt sich um formalisierte Beziehungsgeflechte – Vereine, Foren, Versammlungen, regelmäßige Hinterzimmergespräche usw. –, die Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft inklusive der Pressemagnaten mit Wissenschaftlern, Journalisten und anderen Öffentlichkeitsarbeitern verbinden. Der Zugang zu den Etagen der Macht – sei es das Bundeskanzleramt oder die Weltwirtschaftstagung in Davos – stellt für Journalisten ein wertvolles soziales Kapital dar. Es vermittelt ihnen das Gefühl, ebenfalls der Elite anzugehören, außerdem gelangen sie an exklusive Informationen, an Herrschaftswissen. Dieses soziale Kapital will gepflegt werden, andernfalls wird es ihnen entzogen. Das führt dazu, daß die Journalisten sich den Intentionen der Elitegremien verpflichten, ohne ihre Abhängigkeit zu thematisieren. So entstehen „komplizenhafte Verstrickungen“ (Hans Leyendecker).

Krüger stellt sie am Beispiel von vier führenden Journalisten dar, die sich mit Außen- und Sicherheitspolitik befassen: Klaus Dieter Frankenberger (FAZ), Josef Joffe (Die Zeit), Stefan Kornelius (Süddeutsche Zeitung) und Michael Stürmer (Die Welt). Vor allem Joffe ist ein Hans Dampf in allen Gassen: Bilderberg-Konferenz, Atlantik-Brücke, American Academy, American Council on Germany, American Institute for Contemporary German Studies, Aspen Institute, Concil on Public Policy, Goldman Sachs Foundation, Trilaterale Kommission, die Zeitschrift American Interest usw. usf. – überall ist er als Mitglied verzeichnet. Seine drei Kollegen sind kaum weniger umtriebig.

Es handelt sich um US-, Nato- und EU-affine Netzwerke. Krüger hat die Artikel ausgewertet, welche diese Journalisten in den letzten Jahren zur Sicherheitspolitik, zur Münchner Sicherheitskonferenz und zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr verfaßt haben und kommt zu dem Ergebnis, daß sie in Tenor und Wortwahl mehr oder weniger der Beschlußlage bzw. den Wünschen der Nato und des Pentagon entsprechen.

In der Frage von Auslandseinsätzen deutscher Soldaten befinden Bundesregierung und Bundestag sich in einer „Sandwichposition“. Während die USA und Nato auf eine Ausweitung dringen, will die Bevölkerung mehrheitlich das Gegenteil. Frankenberger, Joffe, Kornelius und Stürmer beurteilen und kritisieren die Bundesregierung regelmäßig aus der Nato-/US-Perspektive und verwerfen gegenläufige Positionen. Damit werden sie zu politischen Akteuren intransparenter transatlantischer Netzwerke. Keiner der vier wollte dem Autor darüber Auskunft erteilen.

Bemerkenswert ist auch, daß im Untersuchungszeitraum die Frankfurter Rundschau oder die taz zwar Gegenpositionen veröffentlichten, doch ging es dabei nur um Detailfragen, nicht um eine alternative Militärdoktrin.

Um Zugang zu den Elitezirkeln zu erhalten, muß bei den Journalisten eine grundsätzliche Übereinstimmung („Homophilie“) der politischen Auffassung gegeben sein. Krüger ist stets vorsichtig mit seinen Schlußfolgerungen. Dennoch laden sie zu weitergehenden Spekulationen ein. Friederike Beck hat in ihrem „Guttenberg-Dossier“ (JF 34/11 und 43/11) plausibel dargestellt, daß Organisationen wie die Atlantik-Brücke nicht nur dem Austausch von Informationen und Meinungen dienen, sondern auch die Karrieren ausgewählter Politiker fördern. Warum nicht auch die Karrieren von Journalisten?

Uwe Krüger hat ein kluges, vorsichtig wägendes Buch verfaßt. Sein Modell der Meinungsbildung ruft geradezu danach, auf weitere Bereiche und Themen – aktuell auf die Berichterstattung zur Euro-Rettung und zum NSU – übertragen zu werden. Es zeigt sich auch, daß seine Strukturbeschreibung erweitert und um historisch-genetische Untersuchungen ergänzt werden muß, um die Eigenarten der Presse- und Medienlandschaft in Deutschland zu erfassen.

So wäre zu erforschen, wie die Lizenzierung der Nachkriegsmedien durch die Alliierten die Argumentations- und Denkmuster geprägt haben und bis heute bestimmen. Zu untersuchen wären Genese und Beschaffenheit der bundesdeutschen Staatsideologie, die offenbar kein anderes als ein transatlantisch definiertes Meinungsspektrum zuläßt. Zu bedenken wären der Eliteaustausch und die Konditionierung der bundesdeutschen Eliten insbesondere durch amerikanische Bildungsprogramme, die bereits in den Arbeiten von Clemens Albrecht und Stefan Scheil thematisiert worden sind. Hoffentlich findet Krüger Gelegenheit, seine Forschungen in diese Richtung fortzuführen.

Uwe Krüger: Meinungsmacht. Der Einfluß von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse. Herbert von Halem Verlag, Köln 2013, broschiert, 375 Seiten, 29,50 Euro

Foto: Medienberater Frank Syre, Katharina Borchert (Spiegel Online), Nikolaus Brender (ZDF), Steffen Grimberg („taz“), Josef Joffe („Die Zeit“), Jan-Eric Peters (Axel Springer AG) anläßlich der 41. Tage der Fernsehkritik in Mainz 2008: Faktisch eine Einheitsmeinung

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