© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

Die Vettern vom Festland
Vor dem historischen Finale in Wembley: Heimliche Bewunderung jenseits des Kanals für deutsche Fußball-Tugenden
Johannes Geissler

Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“ – Dem mittlerweile fast zu Tode zitierten Gary Lineker müßte man für das diesjährige Finale der Uefa Champions League entgegenhalten, daß er mit seinem berühmten Bonmot leider etwas danebenliegt: Denn für den 25. Mai, den Finaltag, muß es heißen: „... und schon vor Anpfiff haben die Deutschen gewonnen.“ Erstmals in der Geschichte der Champions League – das ist der ehemalige Pokal der Landesmeister – stehen nämlich zwei deutsche Mannschaften im Finale: Borussia Dortmund und Bayern München. Und das auf englischem Boden, im neuen Wembley-Stadion zu London.

Lineker, ehemaliger Nationalspieler und einer der wenigen großen Kicker seiner Generation aus dem Mutterland des Fußballs, ist nicht nur für diesen Satz berühmt geworden, sondern auch wegen der vielen Tore, die er in seiner Karriere schoß. Allerdings: Die Niederlage gegen Deutschland im Halbfinale der WM in Turin am 4. Juli 1990 muß ihn besonders geschmerzt, ja, aufs höchste frustriert haben. Im Anschluß an das Spiel gab er nämlich jenen berühmten Satz zum besten.

Das Fußball-Verhältnis zwischen Deutschland und England war sicher nie ein einfaches. England verdankt seinen einzigen großen Titel dem Skandal-Finale, samt Skandal-Tor, von Wembley 1966 – gegen Deutschland. Haß und Häme prägten zumeist das Verhältnis der Fans zueinander. Und vor allem die krawallsüchtige Boulevardpresse der Insel tat martialisch ein übriges, wenn es mal wieder gegen die „Krauts“ ging. Daß Fußball Krieg sei, wie es der holländische Trainer Rinus Michels einmal ausdrückte, konnte man also besonders am Beispiel dieser beiden Nationen bestätigt sehen.

Doch angesichts des Erfolgs der deutschen Vereine im europäischen Fußball-Oberhaus schleichen sich etwas ruhigere Töne ein. Das Revolverblatt The Sun titelte nach dem Finaleinzug von Dortmund und Bayern etwas müde: „Die Deutschen kommen! Und so bereitet sich Wembley auf die große Invasion des angelsächsischen Cousins am 25. Mai vor.“ Die Ambivalenz wird schnell deutlich: einerseits die Gefahr einer „Invasion“, andererseits erwartet man offensichtlich „Verwandte“.

Der kritisch-linkslastige New Statesman lehnte sich auf seinem Titelblatt gar noch weiter aus dem Fenster: „Why can’t we be more like Germany?“ (Warum können wir nicht etwas mehr wie Deutschland sein?) Dazu wurden Angela Merkel und Bastian Schweinsteiger abgebildet. Zwei Monate zuvor hatte das Magazin noch getitelt: „The German Problem (...) Why Europe will always fear Berlin.“ (Warum Europa Berlin immer fürchten wird.) Abbildungen diesmal: wieder Merkel, aber ohne Schweini, sondern mit Bismarck, Kohl und Hitler! Da war er dann doch wieder, der Unvermeidliche.

Und bei uns? Da wird siegestrunken schon eine Wachablösung im europäischen Fußball ausgerufen. Über Jahre hatten nämlich die spanischen Vereine (viel Geld und eine überragende Nachwuchsarbeit) sowie die Clubs aus England (sehr viel Geld) den Fußball in Eu­ropa dominiert. Und nun wurden gerade die iberischen Fußballgiganten, der FC Barcelona und Real Madrid, von den Bayern und Dortmund im Halbfinale aus dem Wettbewerb gekegelt.

Ob das nun gleich zu einer neuen deutschen Dominanz führt? Abwarten und einen Earl Grey trinken. Die hiesigen Spitzenclubs scheinen gut gerüstet zu sein: mit viel Geld und guter Nachwuchsarbeit. Zudem wurden die technischen und taktischen Defizite der letzten Jahre beseitigt. Und gerade in den beiden Halbfinals konnte man eine Art Renaissance erleben: die Rückkehr der deutschen Tugenden – Disziplin, Kraft und Ausdauer.

Aus deutscher Sicht darf also durchaus von einem historischen Finale gesprochen werden – noch bevor der erste Paß gespielt, der erste Spieler weggegrätscht wurde.

Und einen kleinen Trost für die Engländer gibt es ja auch: Ein Finale auszurichten, ohne daran teilzunehmen, kann durchaus eine schöne Sache sein. Das wissen die Deutschen spätestens seit der WM im eigenen Land 2006.

Foto: Helden durch Kraft, Disziplin und Ausdauer: Die Bayern-Mannschaft hat gut lachen nach dem 3:0-Sieg über den Angstgegner Barcelona

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