© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Wider den Stachel
Kinderreichtum fördern: Kardinal Meisner hat den Finger in eine Wunde gelegt
Jürgen Liminski

Der Kontrast könnte nicht größer sein. Während in Frankreich Millionen Eltern auf die Straße gehen, um für die natürliche Ehe und Familie zu demonstrieren, ereifern sich deutsche Politikerinnen über die Thesen und Empfehlungen des Erzbischofs von Köln, Joachim Kardinal Meisner, die Familie mit Kindern stärker zu fördern und über Sinn und Unsinn von Einwanderung intensiver nachzudenken. Natürlich hat der Kardinal recht und man tut ihm unrecht, ihn deswegen als „streitbaren Kirchenfürsten“ mit „veralteten Schwachsinnsthesen“ zu bezeichnen. Er drückt sich übrigens nicht so polemisch und persönlich beleidigend aus wie manche Damen in der Politik.

Meisner hat recht, weil Deutschland die Kinder fehlen – der renommierte Demograph Herwig Birg spricht von der „ausgefallenen Generation“. Es fehlen ja schon die Frauen, die potentiell Mütter werden könnten. Nur kinderreiche Familien können dieses Defizit teilweise beheben. Die Geburtenquoten in Frankreich und Irland sind deshalb signifikant höher als im übrigen kinderarmen Europa, weil es in diesen beiden Ländern deutlich mehr kinderreiche Familien gibt.

Meisner hat recht, weil ohne Förderung von Ehe und Familie es noch weniger Kinder geben wird. Denn bei Kinderlosen mit Kinderwunsch steht das fehlende Geld als Grund für die Nichterfüllung des Wunsches ganz oben auf der Liste – nach der Suche nach dem richtigen Partner und weit vor dem Wunsch nach Krippenbetreuung. Für Politik und Wirtschaft ist es umgekehrt: Zuerst die Krippe, damit die Arbeit getan werden kann. Der Job ist der Partner. Und dafür müssen die Kinder erst einmal „geparkt“ werden. Nichts anderes als Parkplätze sind viele tausend Krippenplätze, weil Erzieherinnen fehlen und für die qualifizierte Ausbildung neuer Erzieherinnen keine Mittel bereitgestellt werden.

Meisner hat recht, weil es die Wahlfreiheit für Frauen in Deutschland de facto nicht gibt. Sie haben die Wahl zwischen Erwerbszwang oder Verarmung, wenn nach einem Jahr das Elterngeld ausläuft. Und diese Qual ist gewollt. Denn die Frauen sollen so früh wie möglich zurück an den Computer, den Herd des Betriebs. Tun sie es nicht, bekommen sie nur noch den Sockelbetrag von 300 Euro. Das dritte und vierte Kind bringt Familien in Deutschland – in Frankreich ist das noch anders – an den Rand der Armutsgrenze. Kinderreiche stehen seit Jahrzehnten mit an der Spitze der Armutsstatistiken.

Meisner hat recht, weil der Traum von der Vereinbarkeit ein Märchen ist. Beruf und Familienarbeit sind in der Regel eine Doppelbelastung. Das dürfte so bleiben, denn in der Politik und vor allem in der Wirtschaft ist das Verständnis für Familienarbeit so gering wie nie.

Meisner hat recht, weil die Karriere natürlich einen Knick bekommt, wenn die Frau ihr Erwerbsleben für mehrere Jahre unterbricht, um drei oder vier Kinder zu erziehen. Kein Arbeitgeber kann so lange auf die Rückkehr warten. Die Lösung heißt hier: mehr Teilzeitangebote und Förderung des Wiedereinstiegs. Das aber ist eine Herausforderung an die Politik, der sich keine Partei bisher wirklich stellen will. Alle fürchten die geldbewehrten Funktionäre der Arbeitgeber- und Industrieverbände, die jetzt aufgeregt nach Fachkräften suchen und die stille Reserve der jungen Mütter anzapfen wollen, nachdem sie jahrzehntelang die Bedürfnisse der Familie verdrängt haben.

Meisner hat recht, weil Einwanderung keine Lösung ist. Weder für Deutschland noch für die Länder, aus denen die Fachkräfte kommen. Portugal und Spanien könnten den „Brain-Drain“ vielleicht noch verkraften, wenn er nicht weiter anschwillt. Aber Länder in Afrika oder Asien können das nicht. Aus ihnen die mentalen Rohstoffe zu beziehen ist eine Form von intellektuellem Neokolonialismus. Die Erfahrung lehrt zudem, daß diese jungen Einwanderer nicht nur älter werden und Rentenansprüche erwerben, sondern sich dem generativen Verhalten der Deutschen anpassen und auch nur ein oder zwei Kinder bekommen. Die Zuwanderung von Fachkräften ist mithin nur eine kurzfristige Lösung für die Wirtschaft, das demographische Problem löst sie nicht.

Und Meisner hat recht, weil die aktuelle Familienpolitik sich wie in der DDR einzig und allein an den Interessen der Arbeitswelt und der Produktion ausrichtet. Seine jahrzehntelange Erfahrung in der DDR war, daß man Frauen, die für die Kinder zu Hause blieben, als dement bezeichnete. Das rotgrüngelbe Hetzen gegen das Betreuungsgeld als „Schwachsinn“ paßt genau dazu.

Man könnte die Reihe fortsetzen. Die Erregung der Politikerinnen ist groß, weil Meisner indirekt ihren Lebensentwurf in Frage stellt. Das können Nahles (SPD), Gruß (FDP), Göring-Eckardt (Grüne) und auch etliche CDU-Damen nicht ertragen. Sie fühlen sich als berufstätige Mutter gekränkt oder empfinden die Meinung des Kardinals als Moralpredigt – als ob Mütter zu Hause keine Arbeit hätten oder Familienmanagement kein Beruf wäre und als ob eine fremde Meinung gleich eine moralische Ermahnung wäre. Nein, der Stachel sitzt tief, weil diese Damen und ihre politischen Partner widerspruchslos bestimmen wollen, was politisch korrekt ist. Intolerant und wie gestochen fallen sie über jeden her, der es wagt, offen andere Meinungen zu formulieren. Eigentlich entlarvend ...

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