© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

„Er wollte uns aufwecken“
In Frankreichs Nationalheiligtum Notre-Dame geht der konservative Historiker Dominique Venner aus Protest öffentlich in den Tod. Der Philosoph Alain de Benoist, langjähriger Weggefährte Venners, erklärt die Tat.
Moritz Schwarz

Herr de Benoist, ist Dominique Venners Tat nicht eine Form politischen Ausdrucks, die nicht mehr in unsere Zeit paßt?

Benoist: Haben Sie denn die Geste des Jan Palach vergessen, jenes tschechischen Studenten, der sich 1969 öffentlich verbrannt hat, um gegen die Besetzung seines Landes durch sowjetische Truppen zu protestieren? Heute wird seiner mit einer Gedenktafel am Wenzelsplatz gedacht. Zuletzt gab es den öffentlichen Freitod des jungen Tunesiers Mohamed Bouazizi, der den Beginn des – leichtfertig so genannten – „Arabischen Frühlings“ markierte. Seit 2012 trägt ein Platz in Paris, eingeweiht vom Bürgermeister, seinen Namen.

In Deutschland stößt auch viele, die Venners Sorge teilen, seine Tat ab. Können Sie das verstehen?

Benoist: Es fällt mir sehr schwer, das zu verstehen. Die Franzosen haben darauf ganz anders reagiert. Sie haben Sinn für Stil, für die schöne Geste, für den Schneid des Überschwangs, für die heroische Tat. Ihr Nationalheld ist Cyrano de Bergerac. Die Deutschen mit ihrem Hang zum Moralismus haben für solche Dinge weniger Gespür. Ich kann jedoch verstehen, wenn jemand den Suizid aus religiösen Gründen verurteilt, aber das ist eine andere Frage. 

Kommt in seiner Tat nicht ein beängstigender Radikalismus zum Ausdruck?

Benoist: Sie verwechseln politische mit existentieller Radikalität. Der Historiker Dominique Venner hatte die Essenz seines Lebens und seines Werkes bereits hinter sich. Er war sich allerdings dessen bewußt, daß es Lagen gibt, in denen Worte nicht mehr die Macht besitzen, um Dinge zu ändern. Der Philosoph Marcel Conche schrieb, daß der einzige Sinn, den das Leben haben könne, darin bestehe, „den Menschen der Zukunft ein Zeichen zu hinterlassen“. Und er betonte, daß auch der Tod selbst ein solches Zeichen sein könne.

Warum sah sich Venner nach Ihrer Ansicht zu dieser Tat gezwungen? Warum bitte sollte es für ihn keinen konstruktiven demokratischen Weg mehr gegeben haben?

Benoist: Warum soll es bitte schön „undemokratisch“ sein, sich selbst zu töten? Sie befinden sich in einem gewaltigen Irrtum, wenn Sie glauben, daß sich Venner zu dieser Tat „gezwungen“ sah. In seinem Buch über Ernst Jünger von 2009 zeigte er auf, wie der Autor der „Marmorklippen“ zeitlebens ein herausragendes Beispiel für Haltung gegeben hat. Venner war jene Haltung wichtig, in der sich der Rang eines Menschen ausdrückt. Das war auch ein „preußischer“ Charakterzug.

Allerdings erscheint seine Tat unverständlich, als er sie zu einem Zeitpunkt verübte, zu dem das konservative Frankreich mit seit Jahrzehnten nicht mehr erlebter Macht auf die Straße drängt.

Benoist: Es gibt keinerlei gemeinsamen Maßstab zwischen dem Freitod Dominique Venners und diesen Demonstrationen – die er allerdings von Anfang an unterstützt hat. Es wäre ein weiterer Irrtum, seinen Freitod mit den Debatten über die „Homo-Ehe“ zu vermengen. Die Geste Venners hat einen ganz anderen Hintergrund. Sie entspringt einem metapolitischen Urteil über die generelle Entwicklung unserer Zivilisation.

In Deutschland erreicht Venners Tat so gut wie niemanden. Wie ist das in Frankreich?

Benoist: Für die identitären Gruppierungen Frankreichs ist er schon jetzt zum Helden aufgestiegen. Bereits zwei Stunden nach seinem Freitod versammelten sich mehrere hundert junge Menschen spontan vor der Kathedrale von Notre-Dame, um ihre Bewunderung zu bekunden. Im Figaro schrieb Ivan Rioufol, daß „dieser Tod ein Bekenntnis“ sei, das „Respekt verdiene“. Auch Marine Le Pen hat Dominique Venner „all ihren Respekt“ gezollt. Der große Schriftsteller Renaud Camus schrieb: „Ich begrüße diese grundlegende Tat Dominique Venners mit großer Traurigkeit und unendlichem Respekt. Der Historiker hat den Freitod gewählt, in der Hoffnung, unser Volk aus der Lethargie zu reißen, in der es auf raffinierte Weise gefangengehalten wird, durch ein Bildungswesen, das das Vergessen fördert und durch die Verdummung der Massen.“ Der große Schweizer Essayist Eric Werner sprach von einer „Geste der Hoffnung“. Die Erklärung, die Venner hinterlassen hat, wurde bereits weltweit übersetzt.

Dann erläutern Sie uns seine Botschaft bitte.

Benoist: Dominique Venner hat den Freitod gewählt, weil er zusehen mußte, wie seine Kultur langsam stirbt. Er wollte einfach nicht mehr mit ansehen, wie Europa erniedrigt und invadiert wird, ein von seiner Geschichte losgelöstes Europa, selbstvergessen und ohne Ener-gie. Er sagte oft, daß sich Europa „im Winterschlaf“ befinde. Durch eine starke und spektakuläre Geste wollte er es im Stile eines Yukio Mishima aufwecken, dessen öffentlicher Freitod im Jahre 1970 ebenfalls als Fanal für seine Landsleute gedacht war. Dabei definierte sich Venner als „historischen Optimisten“, der – gänzlich im Gegensatz zu Oswald Spengler – jegliche Form des Fatalismus ablehnte. In seinen Augen war der Ausgang der Geschichte immer offen. Und selbstverständlich hatte er keinerlei Absicht, zur buchstäblichen Imitation seiner Geste aufzurufen! „Ich verzichte auf den Rest Leben, der mir noch bleibt, für einen grundlegenden Akt des Protestes“, schrieb er. Das entscheidende Wort ist hier: „Grundlegung“.

In seinem Abschiedsmanifest schreibt Venner, er wünsche sich nichts als das „Fortleben meiner Rasse und meines Geistes“. In Deutschland ist das Wort „Rasse“ assoziativ mit dem Holocaust und Nationalsozialismus verbunden. Können Sie erklären, was er mit „Rasse“ gemeint hat?

Benoist: Die heutigen Deutschen sind immer noch ein traumatisiertes Volk. Es ist ja nicht allein das Wort „Rasse“, das sie mit der Erinnerung an die nationalsozialistische Diktatur verbinden. Demonstrationen, wie sie gerade in Frankreich stattfinden, wären in Deutschland unmöglich, weil man dort Angst hätte, die Parteinahme für die Familie könnte mit der demographischen Politik des Dritten Reiches assoziiert werden. Die Deutschen wagen es heute nicht einmal mehr, die Sonnenuntergänge eines Caspar David Friedrich zu genießen. Sie haben Angst vor ihrem Schatten.

Aber was ist nun mit „Rasse“ gemeint?

Benoist: Es gibt verschiedene Arten, von „Rasse“ zu sprechen, die nichts mit Rassismus zu tun haben. Der jüdische Schriftsteller Benoît Rayski schrieb: „Dominique Venner gehörte der Rasse jener Menschen an, die sich für das opfern, woran sie glauben. In den Worten Heinrich Heines: ‘Und mein Stamm sind jene Asra / welche sterben, wenn sie lieben.’ Auch Dominique Venner gehörte diesem Stamm an. Und ebenso ich selbst.“ Was den Nationalsozialismus angeht, so sollte die Lektüre der Bücher Venners zur Klärung genügen: Der Mann, den er am meisten bewunderte, war Claus von Stauffenberg.

Venner schreibt, er habe Notre-Dame gewählt, weil dieser Ort den „Genius unserer Vorfahren“ symbolisiere. Verletzt er mit solch einer Tat, ausgerechnet in einer Kirche, aber nicht genau den Respekt vor den Traditionen des christlichen Europas, dessen Mangel er in seinem Abschiedsbrief beklagt?

Benoist: Venner hat sich in der Öffentlichkeit getötet, weil er Gründe hatte, die die Öffentlichkeit angehen. Er hat die Kathedrale von Notre-Dame gewählt, um seiner Geste den größtmöglichen Widerhall zu verleihen. Nun ist freilich wohlbekannt, daß er keine Sympathie für den christlichen Universalismus hatte. Er bevorzugte identitäre Religionen wie jene der antiken Griechen, die nur den eigenen, den griechischen Göttern dienten. So betrachtete er auch die homerischen Epen als die grundlegenden Texte unserer Zivilisation.

Yukio Mishimas Tod blieb schließlich ohne Wirkung. Wird nicht auch Dominique Venners Tat bald vergessen sein?

Benoist: Das Opfer Mishimas ist bis heute im Gedächtnis der freien Menschen lebendig geblieben. Nicht anders wird es sich mit Dominique Venner verhalten. Ein weiteres Vorbild war für ihn der berühmte Stich von Albrecht Dürer, „Ritter, Tod und Teufel“, entstanden im Jahre 1513, vor exakt fünfhundert Jahren. Venner schrieb, daß „dieser Ritter bis ans Ende aller Zeiten in unserem Gedächtnis fortleben wird“. Albrecht Dürer wurde am 21. Mai 1471 geboren. Dominique Venner nahm sich an einem 21. Mai das Leben. Zufall?

 

Alain de Benoist, kannte Dominique Venner seit 1962 persönlich. Der Philosoph, Jahrgang 1943, ist Herausgeber der Zeitschriften Nouvelle École und Krisis, ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift Eléments und Mitbegründer der Denkfabrik „Groupement de Recherche et d’Etudes pour la Civilisation Européenne“ (GRECE). Er hat über fünfzig Bücher publiziert, von denen etliche auch auf deutsch erschienen sind, zuletzt sein Essay-Band „Am Rande des Abgrunds. Eine Kritik der Herrschaft des Geldes“ (2012).

 www.alaindebenoist.com

Foto: Paris, Notre-Dame kurz nach der Tat am 21. Mai 2013: „Dominique Venner (r.) hat den Freitod gewählt in der Hoffnung, unser Volk aus der Lethargie zu reißen, in der es auf raffinierte Weise gefangengehalten wird ... Im Gedächtnis aller freien Menschen, wird (er) lebendig bleiben.“

 

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