© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Rückkehr zu den Wurzeln
Universität Freiburg: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, erklärt Studenten die Haltung des Gerichts zu den Euro-Rettungsschirmen
Taras Maygutiak

Liegt es am Thema oder am Referenten, daß der Raum im Kollegiengebäude II der Universität Freiburg proppenvoll ist? Es ist Freitag vormittag und damit ein eher unbeliebter Termin für Studenten. Dennoch drängen sich rund 80 Jurastudenten in den kleinen Hörsaal 2408. Auf der Tagesordnung des Kolloquiums zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht die Verhandlung über den permanenten Euro-Rettungsschirm ESM und zum Fiskalpakt in Karlsruhe.

Wie die Richter am höchsten Gericht Ende Juni vergangenen Jahres im Detail zu ihrer vorläufigen Entscheidung gekommen sind, erklärt bei dem Kolloquium der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, höchst persönlich. Ein Personenschützer hat in der vordersten Reihe Platz genommen, ein weiterer steht auf dem Gang. Ansonsten dürfte sich Voßkuhle fühlen wie früher. Schließlich hat er von 1999 bis 2008 in Freiburg gelehrt, zuletzt war er sogar Rektor der Universität. Ein Heimspiel also. Die Mehrheit der jungen Studenten folgt den Ausführungen Voßkuhles zur Verhandlung über den permanenten Rettungsschirm ESM und zum Fiskalpakt fast andächtig und ohne Widerspruch.

Im Hörsaal sitzen jedoch auch ein paar Studenten der gerade gegründeten ersten Hochschulgruppe der Euro-kritischen „Alternative für Deutschland“ (AfD). Sie wollen zu einigen Punkten genauer nachhaken, hat sich die Gruppe um den Jurastudenten Tobias Bergner vorgenommen. Sie können den Vertragswerken nichts abgewinnen und folgen eher den Argumenten der Kläger. Diese rügen unter anderem, daß der Bundestag unkalkulierbare Risiken eingehe, demokratische Entscheidungsprozesse auf die supranationale Ebene verlagere. Dadurch sei es für den Bundestag nicht mehr möglich, seine haushaltspolitische Verantwortung wahrzunehmen. Deshalb hatten die Kläger im vergangenen Sommer gehofft, daß Karlsruhe dem Bundespräsidenten mit einer einstweiligen Anordnung untersagt, die Verträge zu unterzeichnen, bis das Hauptsacheverfahren entschieden wäre – erfolglos.

Zwei Tage vor der Veranstaltung mit Voßkuhle habe man sich noch einmal zusammengesetzt und sei die Verträge zum ESM und dessen Vorgänger EFSF und sowie die Rechtssprechung zu den Verträgen durchgegangen, verrät Bergner. Zulässigkeit, Begründetheit – Voßkuhle erklärt Schritt für Schritt, weshalb das Gericht so oder so bei den einzelnen Details entschieden habe, hakt einen Punkt nach dem anderen ab. Ist der Gouverneursrat des ESM überhaupt demokratisch legitimiert? „Da gibt es unterschiedliche Ansichten“, wiegelt er ab. Das Gericht habe sich nicht mit ökonomischen Fragen befaßt, noch habe man sich von der Öffentlichkeit beeinflussen lassen, unterstreicht Voßkuhle. Das Gericht habe sich auf die rechtlichen Fragen beschränkt. Dennoch weist er in Freiburg wie bereits im vergangenen Sommer in Karlsruhe bei der Verhandlung auf möglicherweise verheerende  Auswirkungen an den Börsen hin, hätte Karlsruhe dem Bundespräsidenten die Unterschrift unter dem Vertrag untersagt. Es gebe zwei Möglichkeiten, die Krise zu bekämpfen, doziert der Gerichtspräsident: weitere Schulden machen oder sparen. Die Möglichkeit, aus dem Euro auszusteigen oder gar die Euro-Zone aufzulösen und zu nationalen Währungen zurückzukehren, erwähnt er nicht, wie die AfD-Aktivisten kritisieren.

Daß die Souveränität oder das Demokratieprinzip auf dem Spiel stehen, wenn die immensen Summen für den deutschen Steuerzahler fällig werden, wie auch die Kläger mahnen, sehen Voßkuhle und das Gericht nicht ganz so eng: „Zahlungsverpflichtungen und Haftungszusagen verstoßen ihrer Höhe nach allenfalls gegen das Demokratieprinzip, wenn die Haushaltsautonomie für einen nennenswerten Zeitraum praktisch vollständig leer liefe“, zudem habe der Gesetzgeber mit Blick auf die Eintrittsrisiken und Folgen für die Handlungsfreiheit beim Haushalt einen „Einschätzungsspielraum“, gibt Voßkuhle den Studenten mit auf den Weg. Als Bergner wegen der ungeklärten Höhe der Zypern-Hilfe nachbohrt, gibt ihm Voßkuhle sogar Recht. Da sehe er ebenfalls Probleme.

Immer wieder gibt es kritische Fragen von Mitgliedern  der AfD-Hochschulgruppe, doch Voßkuhle ist um keine Antwort verlegen. „Ausgewichen ist er nicht, und er hat wohlüberlegt geantwortet“, bilanziert Bergner nach der Veranstaltung. Eines sieht er gründlich anders als Voßkuhle: „Der Bundestag hat keinen Einschätzungsspielraum mehr“, sagt Bergner bestimmt. Ihm sei auch aufgefallen, daß der Gerichtspräsident „bestimmte Tabus nicht antastet: Er sagt nichts gegen den Euro oder die EU.“

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