© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Engagierte Ärzte gesucht
Bundeswehr: Nicht nur Nachwuchssorgen, auch der Reformeifer Berlins und gefährliche Auslandseinsätze machen dem Sanitätsdienst zu schaffen
Hans Brandlberger

Etwas über 6.000 Soldaten der Bundeswehr sind derzeit im Rahmen von insgesamt zehn internationalen Missionen auf drei Kontinenten im Einsatz. Nahezu 4.200 von ihnen leisten ihren Dienst in Afghanistan und damit unter einer unverändert erheblichen Bedrohung durch Aufständische, die im Zuge des allmählichen Abschmelzens des Kontingents bis Ende 2014 eher noch an Brisanz gewinnen dürfte.

Unverzichtbar in diesem wie auch in allen anderen größeren und mittleren Einsätzen ist die sanitätsdienstliche Versorgung, die nicht nur bei „Sicherheitsvorfällen“ wie Gefechten oder Anschlägen, sondern auch im „Alltag“ gewährleistet sein muß.

Die Ansprüche, die die Bundeswehr hier erfüllen möchte, sind im internationalen Maßstab hoch: Auch dem Soldaten im Einsatz soll eine medizinische Versorgung geboten werden, die „im Ergebnis dem fachlichen Standard in Deutschland entspricht“. Zumindest die technische Ausstattung des Sanitätsdienstes trägt dieser Maxime Rechnung.

Insbesondere die Einsatzlazarette decken das gesamte Spektrum an Leistungen ab, das in der Heimat ein Krankenhaus bietet. Die beweglichen Arzttrupps verfügen mit dem Eagle IV und dem Boxer nunmehr über Fahrzeuge, die es ihnen erlauben, angepaßt an die Bedrohungssituation unter leichter oder schwerer Panzerung schnell den Brennpunkt zu erreichen, an dem Hilfe geleistet werden muß. Lediglich im mittleren Schutzniveau wird noch Bedarf gesehen, da der hierfür umgerüstete Transportpanzer Fuchs an seine Grenzen stößt. Der besondere Stellenwert der medizinischen Betreuung im Einsatz kommt aber vor allem im Personalansatz zum Ausdruck: Nahezu zehn Prozent der Kontingente werden vom Sanitätsdienst gestellt.

Dazu gesellen sich die medizinischen Ressourcen in Deutschland, die zur Versorgung von Soldaten genutzt werden, die nach Verwundung oder Erkrankung in die Heimat zurückverlegt wurden. Allerdings ist eine Schwerpunktlegung auf jene Einsätze nicht zu leugnen, in denen die Kontingente verhältnismäßig kopfstark und die Risiken für die Soldaten groß sind. In Einsätzen kleinerer oder auch mittlerer Größenordnung in einem eher gesicherten Rahmen, wie etwa den neuen in der Türkei und in Mali, sind Abstriche bei den Qualitätsstandards hinzunehmen und oft auch Improvisationskünste gefragt.

Der Sanitätsdienst wurde immer wieder kritisch unter die Lupe genommen, am prominentesten durch die von Karl-Theodor zu Guttenberg berufene Strukturkommission. In ihrem im Oktober 2010 vorgelegten Abschlußbericht empfahl sie, den Zentralen Sanitätsdienst als ein Fähigkeitskommando bei der Streitkräftebasis anzusiedeln. Dadurch, so die Begründung, könnte der bürokratische Aufwand deutlich reduziert und medizinisches Personal für seine eigentlichen Aufgaben freigesetzt werden. Zwar wurde dieser Vorschlag, wie so manch anderer der Kommission, nicht aufgegriffen, doch trägt ihm die nun von Thomas de Maizière betriebene Reform ansatzweise Rechnung.

Der Inspekteur des Sanitätsdienstes steht nunmehr an der Spitze des neuen, in Koblenz ansässigen Kommandos Sanitätsdienst, in dem er Teile aus seinem bisherigen ministeriellen Stab, dem einstigen Sanitätsführungskommando und dem Sanitätsamt verschmolzen hat. Damit ist das Problem, daß aufwendig ausgebildete Sanitätsoffiziere nicht „approbationspflichtigen Aufgaben“ nachgehen, sondern Verwaltungsarbeit leisten, zwar nicht aus der Welt, doch deutlich gemildert. Wichtiger als die Umstrukturierung selbst war hier aber eine Veränderung der Anreizmechanismen: Bislang mußten Sanitätsoffiziere, die vorankommen wollten, auf der Karriereleiter zwingend in Stäben Station machen. Nun sind Beförderungen auch möglich, wenn man „bloß“ mit Patienten arbeitet.

Mit der Bundeswehrreform schmilzt der Zentrale Sanitätsdienst um 20 Prozent seiner militärischen und zehn Prozent seiner zivilen Dienstposten ab. Mit diesem Personal hat er nicht nur zu den Einsätzen der Bundeswehr beizutragen, sondern auch die medizinische Versorgung ihrer Angehörigen in Deutschland zu gewährleisten. Da die Zahl der Standorte nach dem neuen Stationierungskonzept noch einmal um zehn Prozent, von 328 auf 297, sinken soll, ist absehbar, daß eine flächendeckende Präsenz nicht mehr in der alten Qualität möglich sein wird.

Aus den derzeit 216 regionalen Sanitätseinrichtungen werden 125 neue, nämlich 15 Sanitätsunterstützungszentren und 110 Sanitätsversorgungszentren, hervorgehen. Da diese an größeren Standorten eingeplant sind, wird für die allermeisten Bundeswehrangehörigen die medizinische Versorgung weiterhin vor Ort möglich sein.

Wer hingegen an einem kleineren Standort stationiert ist, hat in Zukunft längere Anfahrtswege vor sich. Als unproblematisch sehen die Planer eine Distanz von bis zu 30 Kilometern bis zur nächstgelegenen Sanitätseinrichtung an. Wird dieser Schwellenwert überschritten, sollen neue Wege in der Kooperation mit zivilen Einrichtungen beschritten werden.

Im Gegenzug richtet sich der Sanitätsdienst darauf ein, mancherorts auch Defizite in der zivilen medizinischen Versorgung der Bevölkerung zu lindern. Traditionell hat die Bundeswehr gerade in strukturschwachen Regionen bedeutende Standorte angesiedelt, in denen die Grundversorgung der Einwohner heute zusehends ausgedünnt wird.

Unangetastet blieben im Zuge der Reform die fünf Bundeswehrkrankenhäuser in Koblenz, Hamburg, Berlin, Ulm und Westerstede. Ihnen sind jedoch in Struktur und Selbstverständnis wesentliche Änderungen auf den Weg gegeben worden. Stärker noch als bisher haben sie sich in die zivile Regelversorgung einzufügen und so etwa in Absprache mit anderen Kliniken zu fachgebiets- und abteilungsübergreifenden Kompetenzzentren zu werden.

In seinem jüngsten Jahresbericht kritisierte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages dies als eine Orientierung „nicht mehr allein an der kurativen Versorgung der Soldatinnen und Soldaten, sondern vorrangig an der Marktpositionierung der Krankenhäuser“. Durch die Schwerpunktbildung könnten diese immer weniger eine umfassende Betreuung bieten. Fälle, in denen für erkrankte Soldaten nur noch ein einziges der Krankenhäuser in Betracht käme, dürften sich damit häufen.

Der Appell des Wehrbeauftragten, nicht nur auf Wirtschaftlichkeit zu achten, dürfte angesichts der Maximen der Reform aber verhallen. Die Krankenhäuser sind heute werthaltige Anlagevermögen der Bundeswehr. Die kritische Ressource ist allerdings für den Sanitätsdienst wie auch für die Bundeswehr insgesamt weniger das Geld, das der Haushalt hergibt, sondern das Personal. Alle neuen Strukturen und Prozesse bleiben Wunschdenken, wenn qualifizierte Kräfte nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen.

Einer internen Defizitanalyse zufolge sollen dem Sanitätsdienst knapp 1.000 Stellen fehlen, um alle Aufgaben, die ihm zugedacht sind, schultern zu können. Es gelingt ihm jedoch nicht einmal, diese bereits defizitäre Struktur personell auszufüllen. Damit steht er nicht allein, und dieses Problem wird sich der Bundeswehr insgesamt schon in Kürze stellen.

Verteidigungsminister de Maizière wird zwar nicht müde zu unterstreichen, wie demographiefest die neue Bundeswehr sei. Tatsächlich dürfte es ihr aber immer schwerer fallen, im Wettbewerb mit zivilen Arbeitgebern die Personalergänzung erfolgreich zu betreiben, die der aktuell geplante Umfang Jahr für Jahr erfordert. Schon heute gelingt es ihr auf zahlreichen Feldern nicht mehr, Dienstposten mit den benötigten Spezialisten zu besetzen.

Dem Sanitätsdienst sind diese Probleme bestens vertraut. Ihm fehlen neben Allgemeinmedizinern, mit denen sich bei den Truppenärzten die eklatante Zahl von 19 Prozent vakanter Dienstposten reduzieren ließe, Chirurgen und nicht zuletzt Psychiater, die sich der stetig wachsenden Zahl von Soldaten annehmen könnten, die mit Posttraumatischen Belastungsstörungen aus dem Einsatz zurückkehren.

Immerhin scheint es dem Sanitätsdienst zu gelingen, den eklatanten Personalrückgang im Bereich der Sanitätsoffiziere zu stoppen. Auch die zunehmende Zahl der Nachwuchskräfte, die auf Kosten der Bundeswehr an zivilen Universitäten ihr Medizinstudium aufgenommen haben, betrachtet der Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Ingo Patschke gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt positiv: „Hier bin ich zuversichtlich.“

Allerdings dürften doppelte Abiturjahrgänge dafür nicht ganz unverantwortlich sein. Manches spricht dafür, daß es sich hier um ein Strohfeuer handelt. Was der Wehrbeauftragte in seinem Bericht festgehalten hat, scheint eher der Stimmung im Sanitätsdienst zu entsprechen als der Zweckoptimismus seiner Spitze: Die Attraktivität des Dienstes wird aufgrund mangelhafter Einsatzsaus- und Fortbildung, unattraktiver Besoldung und Dienstposten, als gering eingeschätzt. Eine Weiterverpflichtung kommt für die meisten daher nicht in Frage. Im Kern weicht dies nicht von der Stimmung in der Bundeswehr insgesamt ab, deren Personal sich laut Bundeswehrverband auch bei dieser Reform wieder einmal nicht „mitgenommen“ sieht.

Eine Besonderheit hat der Sanitätsdienst allerdings doch aufzuweisen. Sein Berufsbild war in der Vergangenheit in starkem Maße zivil geprägt. In den Einsätzen, vor allem dem in Afghanistan, ist das Militärische stärker in den Vordergrund getreten. Die Angehörigen des Sanitätsdienstes sind im Zuge der asymmetrischen Kriegführung als „Hochwertziele“ sogar besonderen Gefährdungen ausgesetzt. Es kann daher nicht überraschen, daß sie das Gros derjenigen stellen, die als aktive Soldaten den Kriegsdienst verweigern. Allein im Jahr 2012 haben 56 Sanitätsoffiziere einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt, davon 26 im Studium.

 

Zentraler Sanitätsdienst

Der Zentrale Sanitätsdienst ist nach Heer, Streitkräftebasis und Luftwaffe der viertgrößte militärische Organisationsbereich der Bundeswehr, hinter ihm rangiert lediglich die Marine. In der neuen Struktur wird er über knapp 15.400 militärische und etwa 2.700 zivile Dienstposten verfügen. Traditionell hoch ist der Frauenanteil: Von den insgesamt 18.700 Soldatinnen der Bundeswehr dienen 7.000 im Zentralen Sanitätsdienst. Folge: „Ohne die weiblichen Sanitätsoffiziere“, so die Wertung des Berichts des Wehrbeauftragten 2013, „wäre die sanitätsdienstliche Versorgung in Frage gestellt.“

Foto: Einsatzvorbereitung an der Sanitätsakademie der Bundeswehr München: Sanitäter gelten bei asymmetrischer Kriegführung als „Hochwertziele“

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