© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Pankraz,
T. von Aquin und die frommen Kannibalen

Pankraz möchte keinem Gläubigen zu nahe treten und bittet vorab um Entschuldigung, aber zum sogenannten Fronleichnamsfest, das in einigen Bundesländern gesetzlicher Feiertag ist und dieses Jahr auf den 30. Mai fällt, möchte er trotzdem einmal etwas Kritisches oder wenigstens Skeptisches sagen. Fronleichnam, findet er, ist kein richtiges Fest, sondern eher ein Unfest. Es stiftet keinen Frieden, sondern eher Unfrieden, und zwar völlig überflüssigerweise. Seine Wurzeln sind dubios, seine Rituale verworren und aggressiv nach innen wie nach außen.

An sich wurzeln religiöse Feiertage in machtvollen, den Glauben fundierenden Grunderzählungen, im Christentum also Weihnachten (Geburt des Herrn), Ostern (Auferstehung), Pfingsten (Ausgießung des hl. Geistes). Nicht so Fronleichnam. Es wurde erst Mitte des dreizehnten Jahrhunderts installiert, und kein Historiker weiß, was den Anstoß dazu gab.

Die Überlieferung spricht von einer Augustiner-Chorfrau namens Juliane von Lüttich, die eines Tages erzählte, sie habe im Traum gesehen, wie der strahlende Mond in seiner Mitte einen dunklen Fleck aufwies, und dazu habe ihr eine Stimme erklärt, dies sei ein Symbol für das Fehlen eines großen Festes im Kirchenjahr und man solle diesen Makel doch so schnell wie möglich aus der Welt schaffen. Gesagt, getan. Alsbald erließ Papst Urban IV. in Rom (1264) die Bulle „Transiturus de hoc mundo“, womit der sechzigste Tag nach Ostern ab sofort zum neuen christlichen Feiertag erhoben wurde.

Schuld an der schnellen Reaktion des Vatikans auf Julianes Traum soll der berühmte Philosoph Thomas von Aquin gewesen sein, welcher damals engster Berater von Papst Urban war, im Privaten ein bequemer Herr, der üppige Festmähler liebte und der Meinung war, daß das Heilige Abendmahl an Gründonnerstag, das Christus mit seinen Jüngern abhielt, von den Häschern des Pilatus allzu vorzeitig beendet worden sei und eine fiktive Fortsetzung verdiene – Fronleichnam, gleichsam eine nachgespielte Eucharistie.

Die Eucharistie ist aber nun, wie jeder weiß, das allerheiligste Sakrament der Christenheit, das „Altarssakrament“, eine Liturgie, bei der Gott unmittelbar, wahrhaft „leibhaftig“, in den Kreis der Gläubigen eintritt, ja mit ihnen eins wird und sie zu einem Teil seiner selbst macht. Das gebrochene Brot und der Wein sind die beiden Symbole dieser Vereinigung, und von Anbeginn an gab es in der Theologie und der rituellen Auslegung unterschiedliche Auffassungen über den gewissermaßen materiellen Grad dieser Symbole, über die Tiefe ihrer „Wesensverwandlung“ (Transsubstantiation).

Thomas von Aquin, an materiellen, physikalischen Vorgängen stets leidenschaftlich interessiert, lehrte die „volle“, also auch physikalisch-biologische Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi, und so spiegelte es sich auch in der päpstlichen Bulle von 1264 – und stiftete dauerhaften und unversöhnlichen Streit zwischen Thomisten und den mehr oder weniger ideell denkenden Interpreten. „Wir sind doch keine Kannibalen“, argumentierten diese, „wir essen Jesus doch nicht auf, wenn wir uns im Abendmahl mit ihm vereinigen.“

Während der Reformation Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, nachdem sich Zwingli und Calvin scharf (aber keineswegs eindeutig) gegen den „frommen Kannibalismus“ geäußert hatten, eskalierte der Streit. Auf katholischer Seite wurde Fronleichnam vom Konzil von Trient (1545–1563) ausdrücklich bestätigt. Es sei, erklärte es, eine „vorzügliche fromme und erbauliche Sitte, daß alle Jahr dieses erhabene und ehrwürdige Sakrament (…) durch die Straßen und auf den öffentlichen Plätzen herumgetragen wird“.

Martin Luther hielt sich aus dem Dogmenstreit heraus. Seine Kritik an Fronleichnam zielte vielmehr, wie wir heute sagen würden, auf die medialen Folgen. „Keinem Fest bin ich weniger feind als diesem“, klagte er. „An keinem Fest wird Gott und sein Christus mehr gelästert. Denn da tut man alle Schmach dem heiligen Sakrament, daß man’s nur zum Schauspiel umträgt und eitel Abgötterei damit treibet. Es streitet mit seiner Schmink und erdicht’en Heiligkeit wider Christi Ordnung und Einsetzungen (…) Darum hütet euch vor solchem Gottesdienst!“

Recht hatte er! Nichts gegen Glanz und Gloria religiöser Feste, sie gehören dazu. Alles aber gegen  polemisch-trotziges öffentliches Herumzeigen intimster Glaubensinhalte, besonders wenn es um so heikle interkonfessionelle Fragen geht wie die nach den wahren Dimensionen der Transsubstantiation, wo faktisch niemand Bescheid wissen kann und dies ja auch gar nicht notwendig ist. „Mir san mir“ – solche Parolen taugen vielleicht zur Feier des 1. Mai, aber die Vorstellung, daß Fronleichnam so etwas wie der 1. Mai für Katholiken sei, reizt eher zum Lachen.

Weniger zum Lachen waren die massenpsychologischen Exzesse, die in früheren Zeiten die Fronleichnams-Demos nur allzuoft begleiteten. Es kam vor, daß in bäuerlichen Gebieten die Landwirte, statt die beim Abendmahl empfangenen Hostien selber zu schlucken, diese mit nach Hause aufs Feld nahmen und dort in feierlicher Prozession in die Ackerfurchen streuten, um die Ernte zu steigern. Als Reaktion darauf wurde es in manchen gemischt-konfessionellen Gebieten üblich, daß die protestantischen Bauern in voller Absicht ihren Mist gerade an Fronleichnam auf die Felder ausbrachten.

Überliefert sind auch Fronleichnamsfeste, die derart in Pomp, Krawall und bloße Gaudi ausarteten, daß sogar wohlmeinende Behörden dagegen einschritten. In den Annalen der Stadt Landshut aus dem Jahre 1807 etwa findet sich ein bärbeißiger Aktenvermerk über ein offenbar besonders dringliches Fronleichnamszug-Verbot: „Die Prozession ist zu untersagen, da sie die reine Jesusreligion entehrt. Nur die drei Geharnischten, die das Stadtwappen symbolisieren, dürfen reiten.“

Heute ist dergleichen natürlich längst Geschichte. Aus frommen Kannibalen sind unfromme Müsliesser geworden.

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