© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Die Welt der Panzer
Unterhaltungsindustrie: Wie das Online-Spiel „World of Tanks“ ein ganzes Genre revolutioniert
Henning Hoffgaard

Jetzt nur keine Aufregung. Langsam fährt der russische Panzer um die Hausecke. 100 Meter, 90 Meter, 80 Meter. Feuer frei! Nach wenigen Sekunden bleibt vom T-34 nur noch ein brennendes Wrack. Ein brennendes virtuelles Wrack. Obwohl die großen Panzerschlachten längst der Vergangenheit angehören, haben die schwer bewaffneten Kampfmaschinen von ihrer Faszination nichts verloren. Kein Wunder also, wenn eines der erfolgreichsten Online-Spiele sich rund um die Welt der Panzer dreht. „World of Tanks“ begeistert seit zwei Jahren die Spielergemeinschaft.

In Spitzenzeiten sind mehr als 250.000 Personen gleichzeitig angemeldet. Das Erfolgsrezept des nicht im Handel verkäuflichen Spieles ist so simpel wie genial. Kostenlos herunterladen, installieren und schon rollen die Ketten. Jeweils 15 etwa gleichstarke Panzer treten in zwei Gruppen gegeneinander an. Wer allerdings darauf hofft, gleich mit einem deutschen Tiger-Panzer, einem amerikanischen M4 Sherman oder einem russischen KV-1 durch die Pampa zu preschen, wird enttäuscht. Neulinge müssen zu Beginn mit einem „Leichttraktor“ ohne nennenswerte Bewaffnung und Panzerung auskommen. Je mehr erfolgreiche Gefechte absolviert werden, desto mehr Silbermünzen erhält der Spieler. Davon kann er dann seinen ersten Panzer aufrüsten und schließlich auch neuere Modelle kaufen.

Die Auswahl ist groß. Mehr als 100 Panzer, Panzerzerstörer und Artilleriegeschütze aus fünf Ländern (Deutschland, Großbritannien, Sowjetunion, USA und China) stehen zur Auswahl. Hinzu kommen mehrere Dutzend Panzerwagen, die nur gegen Gold gekauft werden können. Und für das muß man echtes Geld auf den Tisch legen. 1.500 Goldmünzen kosten 6,95 Euro, 30.000 Goldmünzen gibt es für 99,95 Euro. Für den in der Realität nur auf dem Papier existenten schweren deutschen Panzer „Löwe“ werden 12.500 Goldmünzen fällig, umgerechnet also mehr als 30 Euro. Trotz der hohen Preise lohnt sich das Geschäft. Geschätzt etwa jeder zehnte Panzer ist ein sogenannter „Premium-Panzer“. Dazu kommen Einnahmen für kostenpflichtige Super-Munition und „Premium-Accounts“. Mehr als 800 Mitarbeiter beschäftigt der hinter „World of Tanks“ stehende Spieleentwickler „Wargaming.net“ mittlerweile. Genaue Zahlen zu den Umsätzen veröffentlicht das Unternehmen mit Sitz in Weißrußland nicht.

Doch auch Spieler, die kein echtes Geld ausgeben wollen, kommen auf ihre Kosten. Zwar sind die Bezahl-Panzer im Schnitt etwas besser, mit guter Taktik und etwas Erfahrung lassen sie sich jedoch ohne größere Probleme knacken.

Für Abwechslung sorgen die knapp ein Dutzend Karten, auf denen die Gefechte im Zufallsmodus ausgetragen werden. Wüsten, Eislandschaften, Städte, Prärien und Gebirgspässe werden zum Schlachtfeld. Jede Karte stellt andere Anforderungen an die Panzerfahrer. Zusätzliche Spannung bringt die Aufteilung der einzelnen Teams. Die werden aus allen Ländern und Panzertypen gemischt. Wer mit dem britischen Churchill kämpft, trifft mit hoher Wahrscheinlichkeit auf andere Briten-Tanks.

Ein Grund für den Erfolg des Spiels, das beständig steigende Mitgliederzahlen vorweisen kann (die genaue Anzahl der registrierten Accounts ist nicht bekannt), ist die Werbestrategie. Auf fast jeder Computermesse ist „World of Tanks“ mittlerweile vertreten. Da räkeln sich dann leichtbekleidete junge Frauen auf den großen Maschinen. Ein Hingucker. Zu bestimmten Anlässen, wie etwa den Jahrestagen großer Panzerschlachten, gibt es Sonderangebote und Gewinnspiele.

Die Macher verzichten ganz bewußt darauf, das grafisch exzellent umgesetzte Spiel in einen historischen Kontext einzubetten. Im Vordergrund steht der Spielspaß. Und ein bißchen Völkerverständigung gibt es auch noch. Wenn ein deutscher Tiger-Panzer mit den polnischen Nationalfarben durch die Stadt fährt, ist wahrscheinlich mehr für den interkulturellen Dialog getan worden als in jeder deutsch-polnischen Regierungskonsultation.

Rudimentäre Englischkenntnisse sollte der Spieler allerdings mitbringen. Ohne Absprachen verlaufen die meisten Schlachtzüge unkoordiniert und enden nicht selten mit einer vernichtenden Niederlage. Da die Gefechte auf maximal 15 Minuten begrenzt sind, können auch Berufstätige nach einem harten Arbeitstag bei einer lockeren Partie entspannen. Um die Spielergemeinschaft, der es an Alternativen nicht mangelt, bei Laune zu halten, wird „World of Tanks“ ständig überarbeitet und erweitert. Neue Panzer, neue Karten, neue Ereignisse.

Mit diesem sehr erfolgreichen Spielkonzept, bei dem die Basisversion gratis bleibt und nur Extras echtes Geld kosten, deutet sich auch ein Wandel bei der Entwicklung und dem Vertrieb von Computerspielen an. Die klassische CD oder DVD, auf der die Spieldateien gespeichert werden, könnte schon bald aus den Regalen verschwunden sein. „World of Tanks“ ist dabei schon jetzt der wichtigste Wegbereiter.

Henning Hoffgaard hat 3.471 Gefechte bei „World of Tanks“ bestritten

Foto: Messepräsentation: Auf der Cebit wirbt eine Firma mit Hostessen und gepanzerten Fahrzeugen für ihr Produkt

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