© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Deutschland als Opfergeschichte
Meistens fremdbestimmt und eingekreist
Mario Kandil

Eine Korrektur des Geschichtsbilds, das für Deutschland nach 1945 verbindlich wurde, erstrebt der frühere Vorsitzende Richter am Landgericht Bochum, Ulrich Schwarze. In seinem vierbändigen Werk „Die Deutschen und ihr Staat“ (Band 1 und 2 sind jetzt erschienen) plädiert er für die Erneuerung des deutschen Nationalstaats und die Restitution seiner Souveränität. Er betrachtet die deutsche Historie dabei nicht als Verbrechergeschichte.

Die ersten tausend Jahre von 800 bis 1871 in Band 1 spult Schwarze bis ins Jahr 1848 im Schnellverfahren ab, das staatliche Los der Deutschen beschreibt er bis dahin ohnehin als weitgehend fremdbestimmt. Er betont, warum Eigenbrötelei und Partikularismus der Deutschen und die feindseligen Reflexe der etablierten europäischen Mächte erst die verspätete deutsche Nationalstaatsgründung von 1871 möglich machten. Entgegen der gängigen Tendenz, diese als Ausdruck eines kriegerischen Expansionsstrebens der Deutschen zu werten, hätten sie nur nachgeholt, was England oder Frankreich längst vollzogen hatten.

Schildert Band 1 noch den Weg „vom Reich ohne Macht bis in die kleindeutsche Einheit“, widmet sich Band 2 der Entwicklung „vom saturierten Bismarckschen bis zum konkurrierenden Wilhelminischen Reich“. Während die „politisch korrekte Historiographie“ dem Deutschen Reich die Schuld für seine „Selbstausgrenzung“ gebe, kommt Schwarze zu einem anderen Befund: Auch unter Bismarcks Nachfolgern suchte das angeblich aggressive Reich den von Wilhelm II. avisierten „Platz an der Sonne“ meist auf friedliche Art.

Während das Reich seine Möglichkeiten nicht vollends ausschöpfte, rüsteten die Nachbarmächte intensiv und kreisten ihren Gegner durch Bündnisse immer mehr ein. Frankreich, das auf Revanche für 1871 sann, konnte Rußland als Alliierten gewinnen. Und England, das sich sonst nicht gerne auf Kontinentalbündnisse einließ, brach mit dieser Leitlinie. Dabei überwand London sogar traditionelle Vorbehalte gegen Frankreich, da Deutschland als Gegenspieler auf den Weltmärkten zur viel ernsteren Bedrohung geworden war. Diese Einkreisung des Reichs mündete im Sommer 1914 dann in den Ersten Weltkrieg.

Ulrich Schwarze: Die Deutschen und ihr Staat. Band 1 & 2. Hohenrain-Verlag, Tübingen 2013, 448 und 400 Seiten, gebunden, Abbildungen, jeweils 26,80 Euro

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