© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/13 / 07. Juni 2013

„Ich habe gelernt, was Freiheit heißt“
Jungmillionär, verarmter Säufer, heute Kultstar. Gunter Gabriel über sein wildes Leben und seine Liebe zu Deutschland.
Moritz Schwarz

Herr Gabriel, in Ihrem Leben ging es ganz schön auf und ab.

Gabriel: Ja, aber ich bin stolz, aus eigener Kraft wieder aufgestanden zu sein, denn ich war wirklich ganz unten.

Warum ist Ihnen das passiert?

Gabriel: Ich war Student mit 600 Mark und plötzlich verdiente ich 200.000 im Monat. Mein Gott! Ich kam mit dem Zählen nicht nach! Wie sollte ich das alles nur ausgeben?

Also haben Sie sich einen Jaguar gekauft.

Gabriel: Ich war Schrauber bei Jaguar und jetzt spazierte ich ins Büro eines Händlers, stellte eine dicke Plastiktüte mit Scheinen auf den Tisch und sagte: „Ich nehme den Braunen da!“ Dann kamen die Leute mit „guten“ Ratschlägen: „Du solltest mit dem Geld etwas machen, etwa Bauherrenmodell!“ – Ich hatte zu leutselig vertraut und nicht den nötigen Respekt vor dem Geld. Am Ende hatte ich in etwa fünfzig Immobilien investiert und alles ging den Bach runter.

Warum?

Gabriel: Weil die Bausubstanz schlecht war, weil ich betrogen wurde und weil ich mich betrügen ließ. Ich war ein Idiot! Eines Tages rief mich mein Banker an, der mich bis dahin immer geduzt hatte, und begann mit: „Herr Gabriel.“ Mein Konto sei um 800.000 Mark überzogen und sie erwarteten, daß ich es binnen drei Tagen ausgleiche. Ich scherzte noch: „In großen oder kleinen Scheinen?“ und fand mich cool. Aber tatsächlich war ich erledigt. Dann witterte die Presse meine Geldnot, jetzt war es öffentlich und ich verlor alles – ich meine wirklich: Alles!

Was bedeutet?

Gabriel: Das Schlimmste war nicht das Geld, sondern wie viele Leute mir den Rücken kehrten. Mein Produzent kannte mich nicht mehr, mein Toningenieur, mein Manager, sie gingen einfach nicht mehr ans Telefon. Ich bekam keinen Plattenvertrag und keine Auftritte mehr – und wenn, gab es kaum Gage. Aber das Schlimmste war, am Abend in meine leere Zehn-Zimmer-Wohnung zurückzukehren. Diese Einsamkeit! Keiner will was von dir wissen, du bist allein, allein, allein – das ist die Hölle. Wie oft mußte ich mir stundenlang Mut ansaufen, bis ich mich in die leere Wohnung traute. Na ja, bald mußte ich da raus und zog notgedrungen in einen Wohnwagen. Heute wohne ich auf einem Schiff und würde nie wieder in eine Wohnung ziehen. Ich habe gelernt, was Freiheit heißt.

Sie sind nicht in Insolvenz gegangen?

Gabriel: Nein. Weil ich nie zum Staat gehen würde, um um Geld zu bitten, nie! Am Arsch! Ich habe mir das eingebrockt, ich kriege das auch wieder hin.

Wie haben Sie das gemacht?

Gabriel: Ich habe mir was ausgedacht, wie immer in meinem Leben. Als ich etwa das letzte Mal 500.000 Euro Schulden hatte, bot ich während einer Talkshow spontan an: Jeder kann mich für 1.000 Euro buchen, ich komme ins Wohnzimmer! Übrigens, die Geschichte soll jetzt verfilmt werden. Ich rechnete, rufen 500 Leute an, bin ich die Schulden los. Und dann haben an einem Wochenende nicht 500 angerufen, sondern 2.000!

Die Leute lieben Sie, warum?

Gabriel: Ich weiß nicht, vielleicht weil ich ein Rabauke bin.

Der Journalist Henryk M. Broder hat Sie einmal einen „Anarcho-Kracher“ genannt und eine „Insel des Widerstandes“.

Gabriel: Das stimmt, mein Mittelfinger ist ja schon bei meiner Geburt steif gewesen. Überhaupt, dieser Finger ist ganz wichtig! Wenn ich auf Paragraphengläubige treffe, auf Ordnungsfanatiker, gar noch in Uniform, da dreh ich durch! Ich bin 22mal vorbestraft, aber nicht weil ich einen anderen ausgeraubt hätte, sondern immer nur wegen Obrigkeitsscheiß.

Sie haben sich sogar mit der Volkspolizei in der DDR angelegt.

Gabriel: Ich habe zu Ihnen gesagt: „Solange ihr eure Brüder an der innerdeutschen Grenze erschießt, könnt ihr mich mal am Arsch lecken!“ Da haben sie mich eingebuchtet. Gut, natürlich wußte ich, ein Gunter Gabriel wird auch wieder freigelassen.

Sie sagen: „Ich bin ein deutscher Cowboy, ein deutscher Rebell, ein deutscher Patriot!“

Gabriel: Yeah, das ist mein Motto! Das habe ich von Johnny Cash übernommen.

Was bedeutet „deutscher Patriot“?

Gabriel: Na, das ist doch klar!

Nämlich?

Gabriel: Na, ich liebe Deutschland und ich stehe zu meinem Land. Natürlich bin ich ein kritischer Patriot, ich weiß, wir haben diese furchtbare Geschichte, aber ich bin Patriot! Und es ist mir egal, was du darüber denkst! – Was denkst du?

Nun ...

Gabriel: Hör mal zu, ich will dir mal was sagen: Deutschland ist verdammt schön! Siehst du das denn nicht?

Also ...

Gabriel: Wenn du was anderes sagst, dann warst du vermutlich noch nie bei St. Goar am Rhein, hast die Burgen dort nicht gesehen, die Loreley oder die roten Felsen von Helgoland!

Helgoland? Nein ...

Gabriel: Siehst du! Oder nimm das Hermannsdenkmal, da bin ich in der Nähe geboren, dieses Riesending! Unglaublich! So etwas gibt es sonst in ganz Europa nicht. Das Völkerschlachtdenkmal, die Schiffe im Hamburger Hafen, der Bodensee! Da muß man natürlich ein Gefühl für haben. Wenn man ein Toter ist, geht das freilich an einem vorbei.

Woher kommt Ihr Patriotismus?

Gabriel: Seit ich als 15jähriger Bengel das erste Mal durchs Land fuhr, gab es etwas in mir, das Deutschland gut fand. Aber richtig gelernt habe ich den Patriotismus erst von den Amis.

Von den Amis?

Gabriel: Die Deutschen hatten das doch nicht drauf! Als ich dann in den Siebzigern zum ersten Mal in den USA war, war ich total verblüfft und begeistert, von wie vielen Dächern dort Fahnen wehten!

So heißt auch einer Ihrer Titel: „Laß die Fahne auf dem Dach!“

Gabriel: Ja, ein Song zur WM mit der Aufforderung, die Fahne danach nicht abzunehmen: „Laß die Fahne auf dem Dach / laß die Party weitergehen!“

Es gibt Leute, die glauben, Ihre Deutschland-Lieder hätten Ihrer Karriere geschadet. Hatten Sie nie Angst, als „Rechter“ verfemt zu werden?

Gabriel: Ich weiß, mein Produzent hat damals auch gesagt: „Finger von dem Thema!“ Aber das ist doch Quatsch. Ich steh zu Deutschland, ob das den Leuten paßt oder nicht. Ich meine das ja nicht politisch, sondern emotional.

Was denken Sie politisch?

Gabriel: Ich würde sagen, ich bin am ehesten linksliberal. Aber um ehrlich zu sein, ich habe noch nie gewählt.

Sie singen von Deutschland, Freiheit, echten Männern, harter Arbeit – Sie könnten auch ein Rechter sein.

Gabriel: Nein, ich bin ziemlich tolerant.

Eine Ihrer Gitarren haben Sie schwarzrotgold lackiert.

Gabriel: Auch das habe ich mir von den Amis abgeguckt. Weißt du eigentlich, was das bedeutet? Das Schwarz stand damals, als die Fahne entstand, für die Knechtschaft, in der wir lebten. Das Rot für das Blut, das vergossen wurde, um uns davon zu befreien, und das Gold für das Licht, das hin zur Freiheit führt. Und irgendwie sehnen sich die Leute danach: Ich komme ja viel rum im Land, und wenn ich meine Lieder über Deutschland singe, dann flippen die Leute aus und bekommen Tränen in die Augen. Aber ich find das toll! Ich gebe zu, als ich zum Beispiel den Song „Hier ist mein Land“ geschrieben habe, habe ich selbst dabei geweint. Und dann sprechen mich Leute an, gestandene Männer, und erzählen mir: „Mann, ich habe mir das Lied angehört, auf dem Motorrad, während der Fahrt … und ich mußte weinen!“ Das finde ich großartig, daß das denen auch so geht und daß sie den Mut haben, das zuzugeben!

Ein Kritiker hat einmal über Sie gesagt: „Mit Gabriel zu reden ist wie eine Therapiestunde. Hinterher ist man gut gelaunt.“

Gabriel: Ich weiß auch nicht, woher es kommt, daß manche das so empfinden. Gestern in Paderborn, da kommen nach dem Auftritt ein paar junge Mädels und wollten mit mir feiern. Ich sage dir, wenn ich nicht irgendwann nach Hause gegangen wäre, wäre ich mit denen in der Kiste gelandet. Ich erzähle das nicht, um anzugeben, sondern weil ich mich selbst frage: Wie kommt das? Ich meine, ich bin doch kein besonderer Typ und außerdem 71. Trotzdem sind die irgendwie hingerissen und schwärmen: „Es ist so geil, wie du erzählst, wie du über die Sachen so redest.“ Offenbar habe ich da so eine Art an mir. Jedenfalls habe ich dadurch immer so einen kleinen Harem um mich herum – wenn ich dir das Adreßverzeichnis meines Telefons zeigen würde, du würdest Augen machen! Aber letztlich helfen mir diese süßen Mädels auch nicht aus meiner Melancholie, die ich ja auch in mir habe. Dagegen hilft nur, sich selbst zurückzunehmen.

Wie geht das?

Gabriel: Ich habe mich immer bemüht, an die Wurzel meiner Trauer zu kommen, war bereit darüber zu reden. Und ich habe gelernt: Schrei es raus, wenn dich was quält! Durch das Singen konnte ich das – das hat mir geholfen.

Wie paßt das zum Macho Gunter Gabriel?

Gabriel: Sehr gut, ich hatte eine harte Kindheit mit viel Schmerz. Meine Mutter starb früh, und mein Vater, der aus dem Krieg heimkam, hat uns zertrümmert, weil er nur Gewalt kannte. Mit 14 hat er mich wortwörtlich auf die Straße getreten. Ich mußte lernen, mit Unglück umzugehen: Bis heute sind für mich Probleme nicht dazu da, um zu jammern, sondern um sie zu lösen!

Moment, Sie hatten sich dem Suff ergeben.

Gabriel: Das stimmt, der Alkohol hat mich in Rückenlage gebracht und auch ich habe gewimmert: „Erschießt mich!“Das war natürlich scheiße. Gut, wenn du auf die Fresse fliegst, kannst du auch eine Weile liegenbleiben. Wichtig ist nur, daß du von alleine wieder aufstehst!

Wie?

Gabriel: Ich sage, Maloche ist das A und O. Nicht rumsitzen und warten, daß dir einer, gar der Staat, hilft. Nein, laß dir was einfallen! Und wenn dir nichts einfällt – dann ruf mich an! Und arbeite hart! Ich bin absolut gegen Gewalt, aber ich bin für Hartrannehmen. Denn nur wenn du gefordert wirst, lernst du Respekt vor dir selbst. Deshalb liebe ich es auch, wenn bei uns im Hamburger Hafen morgens die Arbeiter ans Werk gehen. Echte Malocher! Die bearbeiten den schweren Stahl, flexen und schweißen, dann die wuchtigen Schläge ihrer Hämmer. Sie sägen ganze Schiffe auseinander, diese Stahlgiganten, sie zerlegen sie in Null Komma nichts, Wahnsinn!

„Deutschland ist wach sein und nicht schlafen“, singen Sie.

Gabriel: Ja, guck doch mal, was für ein kleiner Fliegenschiß Deutschland auf der Landkarte ist, aber wir sind berühmt in der ganzen Welt, weil wir immer für alles eine Lösung hatten. Heute ist Deutschland satt – aber eigentlich hat der Deutsche doch diese Lösungsmentalität! Das will ich den Leuten klarmachen: Wir sind was wert und wir haben was drauf! Also macht was!

 

Gunter Gabriel, eilte in den Siebzigern als Country-Sänger mit Titeln wie „Hey Boß, ich brauch mehr Geld!“ von Erfolg zu Erfolg. Dann kam der Absturz, Pleite, Scheidung, Alkoholmißbrauch. Doch Gabriel, geboren 1942 in Bünde/Westfalen, schaffte den Wiederaufstieg. Inzwischen gilt er als Kultstar. Bekannt ist er auch für seine Johnny-Cash-Interpretationen: „Gabriel singt Cash“. Mit dem Bühnenstück „Hello, I‘m Johnny Cash” erreichte er über 150 Aufführungen. Nun steht er mit „Ich, Gunter Gabriel” in Berlin auf der Theaterbühne. 2010 erschien seine Autobiographie „Wer einmal tief im Keller saß. Erinnerungen eines Rebellen“, 2011 sein aktuelles Album „Sohn aus dem Volk“. (Rechts im Gespräch mit Moritz Schwarz.)

www.guntergabriel.de

Foto: Gabriel mit seiner Schwarz-Rot-Gold-Gitarre: „Wenn ich meine Lieder über Deutschland singe, dann flippen die Leute total aus ... Ich finde das toll“

 

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