© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/13 / 07. Juni 2013

Raubzug gegen die Sparer
Euro-Geldpolitik: Diskussion über negativen Leitzins der EZB / Bereits jetzt Milliardenverluste bei Sicht-, Termin- und Sparguthaben
Thorsten Polleit

Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verkommt zusehends zur Raubpolitik: Die begonnene Niedrigzinspolitik und die damit verbundene Aufblähung der Geldmenge drücken die Marktzinsen unter die offizielle Inflationsrate und sorgen auf diese Weise für einen negativen Realzins. Mit anderen Worten: Sicht-, Termin- und Sparguthaben werden bereits entwertet. Laut Zahlen der Dekabank summieren sich die Verluste deutscher Sparer bereits auf 14,3 Milliarden Euro pro Jahr.

Vor dem Finanzkrisenherbst 2008 lag der Refinanzierungszins der EZB (der Zins, den Banken für ihren Kredit bei der Zentralbank bezahlen) noch bei 4,25 Prozent. Inzwischen sind es unter EZB-Chef Mario Draghi nur noch 0,5 Prozent. Die US-Notenbank Federal Reserve hält ihren Leitzins bereits seit 2009 auf 0,25 Prozent, bei der japanischen Zentralbank sind es sogar nur 0,1 Prozent. Seit einiger Zeit diskutieren die Euro-Geldpolitiker sogar ernsthaft über einen negativen Nominalzins – was den negativen Realzins und damit die Verluste für die Sparer natürlich noch weiter in die Höhe treiben würde.

Im August 2009 erhob die schwedische Zentralbank einen negativen Zins in Höhe von 0,25 Prozent auf freie Guthaben (im Fachjargon: „Überschußreserven“), die Banken bei der Riksbank unterhielten. Es sollte eine „Strafsteuer“ sein, die die Banken dazu bewegt, ihre Zentralbankgeldguthaben zur vermehrten Kreditvergabe zu verwenden. Im Juli 2012 zog die dänische Zentralbank nach und senkte ihren Zins auf Kronen-Guthaben, die Geschäftsbanken bei ihr unterhalten, auf minus 0,2 Prozent. Mit diesem Schritt sollte die steigende Nachfrage nach der dänischen Währung und der damit verbundene Aufwertungseffekt verringert werden.

Eine vergleichbare Maßnahme der EZB könnte vier Effekte nach sich ziehen. Erstens: Ein Negativzins für Einlagen, die Euro-Banken bei der EZB unterhalten, reduziert die Gewinne der Banken und senkt den Spielraum, aus einbehaltenen Gewinnen neues Eigenkapital aufzubauen. Zweitens: Ein Negativzins erhöht den Anreiz für Banken, in möglichst „risikoarme“ Wertpapiere – wie Anleihen von vergleichsweise guten Staatsschuldnern – zu investieren. Begünstigt wird der Absatz von Staatsanleihen auf Kosten der Kreditgewährung an Unternehmen und Konsumenten.

Drittens: Ein Negativzins schreckt Auslandsinvestoren ab, Euro-Guthaben zu erwerben. Weil die Euro-Banken, bei denen sie ihre Kontoguthaben führen, den EZB-Negativzins in Rechnung stellen, wird die Rendite ihrer Anlagen vermindert. Die Folge ist eine nachlassende Euro-Nachfrage. Das wiederum wird den Wechselkurs des Euro gegenüber anderen Währungen vermindern. Und viertens: Die Euro-Banken reichen den negativen Einlagenzins nur zu gern an ihre Privatkundschaft weiter. Denn dadurch reduzieren sich ihre Kundenverbindlichkeiten in Form von Sicht-, Termin- und Spareinlagen, und in gleichem Maße profitieren die Banken: Ihr Eigenkapital steigt dadurch an.

Damit wird auch klar, woher die politische Motivation der EZB stammt, einen negativen Einlagenzins erheben zu wollen. Staaten und Banken können sich auf Kosten der Sparer bereichern: Ein negativer Einlagenzins befördert den Absatz von Staatsanleihen und hilft Banken, sich zu Lasten der Sparer besserzustellen. Die Erwartung, daß ein negativer Einlagenzins konjunkturverbessernde Konsequenzen haben könnte, ist hingegen geradezu absurd. Aus einer Sparer-Enteignungspolitik kann nichts Gutes erwachsen. Und noch mehr Kredit, bereitgestellt zu noch tieferen Zinsen, wird die anhaltende Krise, die im Kern eine Überverschuldungskrise ist, nicht aus der Welt schaffen. Im Gegenteil, die Schäden, die aus einem weiteren Niederdrücken des Zinses erwachsen werden, sind geradezu fatal.

So steigt die „Versorgungslücke“ der Sparer unbarmherzig an. Ihnen wird es nun nicht mehr möglich sein, die notwendige private Altersvorsorge aufzubauen. Altersarmut ist die Folge. Zudem steigen die barwertigen Pensionsverbindlichkeiten der Unternehmen und schmälern deren Eigenkapitalbasis. Das wiederum schwächt ihre Finanzierungskraft und Investitionstätigkeit. Geringere Produktion und höhere Arbeitslosigkeit sind die Folge. Der künstlich gedrückte Zins ermutigt vor allem auch unvorsichtige Investitionsentscheidungen, bläht die Finanzmarktpreise auf und sorgt für „Blasenbildung“, deren Korrektur die Wirtschaft in eine neue Krisenrunde stürzen kann.

Einen negativen Einlagenzins zu erheben für Guthaben, die die Euro-Banken bei der EZB halten, käme jedoch nicht unerwartet. Diese Maßnahme wäre im Grunde nur die logische Folge einer Geldpolitik, die längst darauf aus ist, die Kosten der Euro-Kreditkrise durch ein Entwerten des Geldes und der Ersparnisse möglichst still und heimlich zu finanzieren.

Die EZB ist inzwischen eine Zwangsumverteilungsbehörde geworden. Das Euro-Papiergeld zeigt jetzt sein wahres Gesicht: Es ist kein gutes, friedenstiftendes Geld. Im Gegenteil. Es ist inflationär und begünstigt einige wenige auf Kosten vieler anderer. Die bürgerliche Gesellschaft wird ruiniert, wenn das Euro-Zwangsgeldmonopol, das man der EZB zugesprochen hat, nicht abgeschafft wird und durch einen Wettbewerb der Währungen ersetzt wird.

 

Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefökonom von Degussa Goldhandel und Präsident des Ludwig von Mises Instituts Deutschland.

Foto: Traditionelle Sparbücher: Die Verluste deutscher Sparer durch negative Realzinsen summieren sich bereits auf 14,3 Milliarden Euro pro Jahr

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