© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/13 / 07. Juni 2013

Geldpolitische Geisterfahrer
Anhörung zur Euro-Rettungspolitik: Vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten Bundesbank und EZB unterschiedliche Standpunkte
Taras Maygutiak

Es wurde als Befreiungsschlag verkauft, als Mario Draghi verkündete, daß die Zentralbank notfalls unbegrenzt Staatsanleihen kaufen würde: „Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten“, so der EZB-Präsident am 26. Juli des vergangenen Jahres bei einer Pressekonferenz in London. „Und glauben Sie mir, das wird ausreichen.“

Im Anschluß gingen die Zinsen deutlich herunter, die angezählte Staaten wie Italien und Spanien berappen mußten, um neue Schulden aufzunehmen. In den Nachrichten und für den Laien klang das beruhigend. Bundesbankpräsident Jens Weidmann und seinen Fachleuten müssen die Haare zu Berge gestanden sein. So liest sich auf jeden Fall die 29seitige Stellungnahme, welche die Bundesbank für das Hauptsacheverfahren um den ESM-Rettungsschirm, das ab kommenden Dienstag in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wird, verfaßt hat.

In dem Schreiben, das der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, nimmt die Bundesbank die Standpunkte und die Argumentation der EZB zur Notwendigkeit des unbegrenzten Kaufs von Staatsanleihen durch die Zentralbank förmlich auseinander. Obendrein verweisen die Frankfurter Währungshüter darauf, daß das Verbot von Staatsanleihenkäufen auf dem Primärmarkt ohnehin ein „wesentliches Element des Verbots der monetären Staatsfinanzierung“ sei.

Ganz neu war die Ankaufzusage für Staatsanleihen durch EZB-Chef Draghi nicht. Bereits 2010 waren durch das 210 Milliarden Euro schwere und zeitlich begrenzte Securities Markets Programme (SMP) EZB-Staatsanleihenkäufe salonfähig gemacht worden. Am 6. September des vergangenen Jahres lief das SMP-Programm jedoch aus, zeitgleich wurde daher das OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) beschlossen. Unbegrenzt, aber ausdrücklich an Bedingungen geknüpft, so die EZB. Die Einheitlichkeit der Geldpolitik und die „geldpolitische Transmission“ (Entscheidungen, die sich auf die Wirtschaft auswirken) sollten mit dem OMT-Programm sichergestellt werden. Einen Verstoß gegen Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der Staatsfinanzierung durch die Notenpresse untersagt, sieht die EZB darin nicht.

Das wird der deutsche EZB-Direktor Jörg Asmussen am 11. Juni in seiner offiziellen Stellungnahme vor den Karlsruher Richtern nochmals betonen. Die EZB ging ging schon in ihrer Begründung 2012 davon aus, daß eine Störung des Transmissionsmechanismus vorliegt. „Geldpolitische Entscheidungen schlagen in der Regel erst mit zeitlicher Verzögerung auf die Preisentwicklung durch und wirken sich je nach Wirtschaftslage unterschiedlich aus“, warnt hingegen die Bundesbank. Grundsätzlich sei eine präzise, punktgenaue Schätzung der Auswirkungen geldpolitischer Maßnahmen aufgrund der Unsicherheit über die verwendeten Daten, Modelle und Parameter nicht möglich.

Es könnten lediglich „Wahrscheinlichkeitsaussagen“ getroffen werden. Mit Sicherheit lasse sich nur feststellen, daß sich Notenbanken mit ihrer Geldpolitik „nicht genau vorhersagbaren Wirkungsverzögerungen konfrontiert sehen“. Ob und wie Änderungen, beeinflußt durch zahlreiche unterschiedliche Faktoren, tatsächlich ausfallen, lasse sich empirisch erst einige Zeit nach ihrem Auftreten prüfen, da hierzu genügend Daten verfügbar sein müßten. Unterm Strich bewertet die Bundesbank die Argumentation der EZB somit als „subjektiv“.

Ob überhaupt eine Störung der „geldpolitischen Transmission“ vorliegt, stellen die Währungshüter in ihrem Schreiben in Frage: Eine exakte Diagnose werde dadurch erschwert, daß nach einhelliger Meinung eine solche Störung „mit Gewißheit immer nur aus der Retrospektive beurteilt werden kann“, urteilen sie. Auch die sehr unterschiedliche Entwicklung der Risikoaufschläge auf Staatsanleihen will die Bundesbank nicht als Indiz gelten lassen.

Es lasse sich nicht feststellen, ob eine Störung der Renditeentwicklung für Staatsanleihen auf „fundamental gerechtfertigte Ursachen“ zurückgehe. Die angestrebte Einheitlichkeit der Geldpolitik, die die EZB mit dem OMT-Programm sicherstellen will, hinterfragt die Bundesbank: „Unterschiedliche Marktzinssätze innerhalb des Euro-Raums stehen nicht im Widerspruch zu einer einheitlichen Geldpolitik.“ Und weiter: „Es ist sehr fraglich, ob die Erreichung eines einheitlichen Marktzinsniveaus in der Währungsunion ein ökonomisch erstrebenswerter Zustand ist.“

Der auf den Euro-Raum als Ganzes gerichtete geldpolitische Zins-Impuls könne ohnehin durch länderspezifische Entwicklungen überlagert werden, ohne daß dies eine Irrationalität darstelle und geldpolitischen Handlungsbedarf begründen müsse, schreiben die Bundesbanker und schlußfolgern: „Die Einheitlichkeit der Geldpolitik innerhalb des Euro-Systems steht deshalb solchen Maßnahmen und Entscheidungen entgegen, die lediglich auf die Behebung nationaler Störungen ausgerichtet sind.“

Draghis Ankündigung, den Euro „mit allen Mittel“ zu erhalten, sieht die Bundesbank als Versprechen, das die EZB gar nicht einlösen kann: „Die derzeitige Zusammensetzung der Währungsunion kann angesichts weiterhin souveräner Nationalstaaten nicht garantiert werden – jedenfalls nicht von der Notenbank.“ Dies wäre hypothetisch nur denkbar, wenn sie zur Verhinderung eines Austritts eine bedingungslose, unbegrenzte Finanzierung für jedes Land zusagte. „Dies gehört jedoch nicht in den Aufgabenbereich der Geldpolitik“, betont die Bundesbank.

Und selbst wenn die volle Unterstützung da wäre: Es kann ja sein, daß die Bevölkerung eines Landes auf ein Ausscheiden aus dem Euro drängt und die von ihr gewählten Vertreter einen Austritt demokratisch beschließen, stellt die Bundesbank in ihrem Schreiben – aus Sicht der Euro- und EU-Euphoriker sicherlich ketzerisch – in den Raum. Einfach, weil man nicht willens oder in der Lage sei, die wirtschaftlichen Grundlagen für einen Verbleib in der Währungsunion zu schaffen. „Entscheidungen, wie der Euro-Raum zusammengesetzt ist und ob und wie diese Zusammensetzung garantiert wird, obliegen nicht der EZB, sondern anderen Akteuren“, machen die Frankfurter klar: „Vor allem den Regierungen und Parlamenten.“

Stellungnahmen der Bundesbank: www.bundesbank.de

 

EZB-Gutachten des Ex-Verfassungsrichters Udo Di Fabio

Knapp eine Woche war das EZB-Programm zum unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen (OMT) alt, als das Bundesverfassungsgericht am 12. September 2012 seine Ablehnung der„Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Verhinderung der Ratifikation von ESM-Vertrag und Fiskalpakt“ verkündete. Der Anleihenkauf war damals nicht Gegenstand der Entscheidung gewesen, denn die Kläger wollten erreichen, daß Bundespräsident Joa­chim Gauck die Unterschrift unter dem ESM- und Fiskalpakt-Vertrag untersagt wird. Das Gericht mahnte aber an, daß die Ratifizierung nur zulässig sei, wenn der deutsche ESM-Anteil auf 190 Milliarden Euro begrenzt bleibe. Am kommenden Dienstag wird in Karlsruhe das Hauptverfahren in Sachen ESM/Fiskalpakt eröffnet. Mit zusätzlichen Anträgen wollen die Kläger dabei auch das OMT-Programm thematisieren. Argumentative Schützenhilfe liefert ein neues Gutachten des früheren Bundesverfassungsrichters Udo Di Fabio für die Stiftung Familienunternehmen. Darin lotet Di Fabio die rechtlichen Grenzen der Währungsunion aus. Sollte die EZB durch ihr Verhalten gegen die Vorgaben von Grundgesetz und Europarecht verstoßen, habe Karlsruhe zwar „keinen prozessualen Hebel“, zitierte die FAZ Di Fabio. Die Verfassungsrichter könnten Verstöße aber „deklaratorisch feststellen“. Wenn entsprechende „Einwirkungsaufträge“ an die Bundesorgane erfolglos bleiben, müßte das Gericht sie zum Austritt aus den Organisationen des Euro-Verbunds oder zur Kündigung der Verträge zwingen. Heute könne sich jedoch noch niemand vorstellen, daß „ein im Ergebnis immer integrationsfreundliches Gericht wie das Bundesverfassungsgericht tatsächlich diesen ’Druckknopf’ der verbindlichen Austrittspflicht betätigen würde“.

Stiftung Familienunternehmen: www.familienunternehmen.de

Foto: Bundesbankpräsident Weidmann mit Kanzlerin Merkel: „Die derzeitige Zusammensetzung der Währungsunion kann nicht garantiert werden“

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