© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/13 / 07. Juni 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Unvermutet: da wehen die Lilienbanner des Königs über den Köpfen jugendlicher Demonstranten in Jeans und T-Shirt, wenn sie die Ordnungskräfte der Republik attackieren.

SPD: In der Ahnenreihe der Sozialdemokraten, die zur 150-Jahr-Feier verlesen wurde, fehlten leider die folgenden: Ludwig Frank (jüdischer Herkunft, Rechtsanwalt, Abgeordneter, Pazifist, erster Kriegsfreiwilliger des Reichstags, fiel am 3. September 1914 an der Westfront), August Winnig (Maurergeselle, inhaftiert wegen sozialistischer Agitation, Gewerkschaftsführer und Abgeordneter, Anhänger des „Burgfriedens“, nach der Novemberrevolution Generalbevollmächtigter für die baltischen Länder, sieht seine Aufgabe ausdrücklich in der Verteidigung des „Deutschtums im Osten“, als Oberpräsident in Ostpreußen macht er sich verdient um die Grenzsicherung, wegen seiner unklaren Haltung zum Kapp-Putsch aus der SPD ausgeschlossen, wandelt sich zum Christlich-Konservativen, noch im hohen Alter beteiligt an der Vorbereitung des 20. Juli, Mitbegründer der CDU), Gustav Noske (Korbmachergeselle, Journalist, Abgeordneter, 1918 Volksbeauftragter für Heer und Marine, verantwortlich für die Aufstellung der Freiwilligenverbände, mit denen die Grenzsicherung im Osten und die Niederschlagung der Spartakistenaufstände gelingt, als „Bluthund“ 1920 entlassen und von seiner eigenen Partei verfemt, als Minister im „Schattenkabinett“ Beck/Goerdeler vorgesehen).

Zwei Nachrichten an einem Tag: Der französische Verfassungsrat hat die „Ehe für alle“ akzeptiert, und die linke Mehrheit des Parlaments will den Begriff der „Rasse“ aus allen Gesetzen tilgen. Das ist magisches Denken: Man bringt die Differenz zum Verschwinden, indem man ihre Nennung unterbindet.

CDU: Es löst bei Konservativen Unmut aus, daß die Kanzlerin auf dem „Integrationsgipfel“ sogar der Integration eine Absage erteilte und nun im Jargon der Vielfaltsapostel von „Teilhabe“ und „Respekt“ spricht. Aber kein Grund zur Aufregung: Sie hat auch schon „Deutschland dienen“ wollen und die multikulturelle Gesellschaft für gescheitert erklärt und das genausowenig ernst gemeint. Ob es sich um Berufspolitiker-Zynismus handelt oder ältere Auffassungen von der Bedeutungslosigkeit des „Überbaus“ weiterwirken, ist schwer zu sagen.

Nachbemerkung zum Freitod Dominique Venners: Meine Großmutter gehörte wie ihr Mann zu den Kleine-Leute-Herzensmonarchisten, aber wenn man sie fragte, ob sie denn glaube, daß das Kaiserreich wiederkomme, verneinte sie, denn der Kaiser habe „’18“ nicht bei einem letzten symbolischen Angriff auf den Feind für das Vaterland sterben wollen, nachdem so viele arme Leute dafür gestorben waren: „Das macht man nicht, dann geht es nicht mehr.“

Nun war also auch Joseph Beuys einer, ein Nazi nämlich, ein richtiger. Von „völkischer Diktion in Reinkultur“ spricht sein Biograph Hans Peter Riegel, und das nicht nur beim Hitlerjungen und Kriegsfreiwilligen, sondern später noch beim Anthroposophen und Grünen-Gründer. Da sind Überraschung und Empörung fällig, oder eine Erinnerung an jenen Antiquar, der die Wahl seines Kunden mit hochgezogenen Augenbrauen quittierte und dann versöhnlich meinte: „Ach, im Grunde war jeder interessante Kopf des 20. Jahrhunderts irgendwann Faschist.“

Etwas irritiert steht der juristische Laie vor der Tatsache, daß das „Handbuch des Staatsrechts“ nach wie vor von der Ansicht bestimmt ist, es bleibe beim (National-)Staat als entscheidender Größe, die Schutz des Bürgers gegen Gehorsam verbürge, und dem Ansinnen der künftigen Chefin des Max-Planck-Instituts für Völkerrecht, Anne Peters, solcher Anachronismus gehöre abgeschafft, es gehe um global citizenship, also Weltbürgerschaft samt einer Menge von Individualrechten, die jeder jederzeit und überall einfordern können muß.

Es hat mancherorts Irritation ausgelöst, daß bei den französischen Demonstrationen gegen die Schwulenehe freimaurerfeindliche Parolen zu sehen waren. Das zeugt von Ahnungslosigkeit. Zum einen ist die Position so einflußreicher Logen wie des Großen Orient unmißverständlich, das heißt man sieht in der mariage pour tous einen Fortschritt in bezug auf die „Gleichheit der Rechte“, das heißt die Unterschiedslosigkeit aller, des weiteren ignoriert kein klarblickender Mensch in Frankreich die „Gegenmacht“ der Freimaurerei – eine Formel der bekannten Enthüllungsjournalistin Sophie Coignard, die unlängst einen Bestseller über „den Staat im Staat“ geschrieben hat – und die Sexualpolitik im besonderen – ein Großmeister des Grand Orient erklärte 2008, daß neben der Verteidigung der Laizität das Recht auf Empfängnisverhütung und Abtreibung die wichtigsten Arbeitsfelder der Logen seien.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 21. Juni in der JF-Ausgabe 26/13.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen