© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

Nervös und verängstigt
NSU-Prozeß: Die Angeklagten Carsten S. und Holger G. belasten Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben
Hinrich Rohbohm

Seine Zeugenaussage kann prozeß-entscheidend sein. Carsten S. weiß das. Und wirkt nervös und verängstigt. Der 33jährige hat sich noch weiter als sonst zu Verhandlungsbeginn unter seine blaue Kapuzenjacke verzogen. Den Kopf hat er gesenkt. Die Zuschauer und Medienvertreter am Münchner Oberlandesgericht blicken in ein schwarzes Nichts, wenn sie in das Gesicht des Mitangeklagten im NSU-Prozeß schauen wollen. Sein Körper ist auf Abwehrhaltung eingestellt, der Blick meist auf Tisch oder Boden gerichtet. Manchmal richtet er sich auf, rückt unruhig auf seinem Stuhl hin und her, reibt sich nervös am Kinn. Seine Hände liegen die meiste Zeit wie zum Gebet gefaltet auf dem Tisch.

Er ist einer von zwei Angeklagten, die bereit sind, zu reden. Darüber, wie sie das mutmaßliche NSU-Trio unterstützt haben. Seine Lebensgeschichte erzählt S. mit sanfter, ruhiger Stimme. Der Mann, der aufgrund seiner homosexuellen Orientierung in die Neonazi-Szene gelangt war, wurde 1980 in Neu-Delhi geboren. Sein Vater und seine Mutter hatten in Indien für das DDR-Kombinat Carl Zeiss Jena gearbeitet. Ein Umstand, der die Vermutung nährt, daß es sich bei den Eltern von Carsten S. um ausgesprochen linientreue DDR-Kader gehandelt haben dürfte. Denn das kommunistische Regime gestattete nur besonders auserlesenen Kräften des Arbeiter- und Bauernstaates eine Tätigkeit im nichtsozialistischen Ausland. Als S. vier Jahre alt war, habe er in Jugoslawien gelebt, wo sein Vater erneut fürs Zeiss-Kombinat tätig war. „Er machte da irgendwas mit Außenhandel“, erzählt S.

Seine homosexuelle Neigung sei ihm mit 13 Jahren bewußt geworden. „Da merkte ich, daß etwas an mir nicht stimmt“, erzählt er dem Vorsitzenden Richter. In der Schule sei er gemobbt, als „Mädchen“ beschimpft worden. „Da habe ich angefangen, den Unterricht zu schwänzen“. Als er nach einer gescheiterten Konditorlehre eine Ausbildung zum Kfz-Lackierer in Eisenach beginnt, lernt er den Rechtsextremisten Marco R. kennen. Der habe ihm als Mann gefallen, ihm imponiert. Gemeinsam hörten sie die Musik der „Zillertaler Türkenjäger“. „Wir fanden das damals lustig“, sagt S.

Er besorgt sich rechtsextreme Musik und entsprechende Kleidung. Das war im November 1996. Drei Monate später nimmt er in München das erstemal an einer NPD-Demonstration teil. „Meine erste Erfahrung auf einer Demo“, erinnert er sich. Er habe dort Christian K. wiedergetroffen, den er aus der Schulzeit kennt, und fragt ihn, wie er an Kontakte in die Neonazi-Szene kommen könne. K. nennt ihm eine Postfachadresse, und S. bekommt von nun an Infobriefe von der NPD und deren Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN). Im Oktober 1997 besucht er einen JN-Kongreß. „Das war mein Einstieg in die Szene“, schildert er. S. wird stellvertretender NPD-Kreisvorsitzender und Mitglied des JN-Bundesvorstands. Er lernt Ralf Wohlleben kennen, der in seinem Kreisverband als Vorsitzender fungiert. Über ihn sei er schließlich in Kontakt mit dem mutmaßlichen Terrortrio gekommen, das ihn immer nur „Kleener“ genannt habe. In der Wohnung von Beate Zschäpe habe er diese und Uwe Mundlos sowie Uwe Böhnhardt dann persönlich kennengelernt.

Nach dem Abtauchen des Trios Anfang 1998 habe er auf Anweisung von Wohlleben „die beiden Uwes“ angerufen und von ihnen Instruktionen erhalten. Mal sollte er in eine Wohnung einbrechen, Akten und Ausweispapiere einsammeln, vergraben oder im Fluß versenken. Ein anderes Mal habe er ein Motorrad stehlen sollen. Schließlich habe er die mutmaßliche Mordwaffe, eine Pistole mit Schalldämpfer der Marke Ceska besorgen sollen. Das Geld dafür sei von Wohlleben gekommen, der ihm auch gesagt habe, wo er die Waffe kaufen solle. Daß mit der Pistole Morde begangen werden könnten, habe sich S. nicht vorstellen können. Er hätte bei dem Terrortrio das Gefühl gehabt, daß die „in Ordnung“ seien, erzählt er. Wohlleben soll den Schalldämpfer auf die Waffe geschraubt und dabei Lederhandschuhe getragen haben. Als Wohlleben einmal eine abfällige Bemerkung über Homosexuelle machte, habe S. begonnen, sich aus der Szene zurückzuziehen. Schließlich „outet“ er sich, wendet sich vom Rechtsextremismus ab. Er macht sein Fachabitur, studiert Sozialpädagogik an der Fachhochschule Düsseldorf, wo er sich im Schwulenreferat engagiert. 2009 wird er Diplom-Sozialpädagoge.

Holger G. ist bei seiner Aussage noch nervöser als S. Der 38jährige spricht extrem schnell, verschluckt dabei regelrecht die Wörter. Immer wieder fordert ihn der Vorsitzende Richter auf, langsamer zu sprechen. Vergeblich. Der Mann, der vor seinem Einstieg in die rechtsextreme Szene in der Punker-Szene aktiv gewesen war, redet nicht frei, liest eine Erklärung ab. Oft legt er Pausen ein, schweigt, atmet schwer. „Ich wollte doch keine Morde unterstützen“, erklärt er und bittet die Angehörigen der Opfer um Entschuldigung. Für seine Taten wolle er die Verantwortung übernehmen.

Aber: Auch er betont, nicht den Eindruck gehabt zu haben, mit Terroristen befreundet zu sein. Böhnhardt und Mundlos habe er bewundert. Und: Ja, er habe das Trio unterstützt, jahrelang gefälschte Ausweispapiere besorgt. Zschäpe habe ihn 2001 am Bahnhof in Zwickau abgeholt und in das Versteck des Trios gefahren. Im Beisein von Zschäpe habe er schließlich eine Waffe an Mundlos und Böhnhardt übergeben. Die Gelassenheit in Zschäpes Gesicht verschwindet. Für einen kurzen Moment.

Foto: Carsten S. in der vergangenen Woche vor seiner Aussage im Münchner NSU-Prozeß: Versteckspiel unter der Kapuze

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen