© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

Insel auf Zeit
Flutkatastrophe: Erneut wurden die Bewohner des Dresdener Stadtteils Laubegast vom Elbhochwasser schwer getroffen
Ronald Gläser

Großes Bangen. Bergit U. und ihr Mann sind gerade aus dem Urlaub heimgekehrt. Als Begrüßungsgeschenk hat die Natur endlosen Dauerregen geschickt. Kurz vor der Ankunft der Dresdnerin in der Heimat hat das Wasser die Elbe über die Ufer treten lassen.

Steht unser Keller unter Wasser? Was ist mit der alten Schreibmaschine? Unseren Wintersachen, die wir gerade nach unten gebracht haben? Oder steht das Wasser sogar im Wohnzimmer und hat das Mobiliar zerstört? Die Wohnung von Bergit U. liegt in Laubegast. Das Wasser hat diesen kleinen Stadtteil von Dresden abgeschnitten. Laubegast ist eine Insel. Und auch der Teil, der noch verschont geblieben ist, droht an diesem Donnerstag überflutet zu werden. Denn der Scheitelpunkt der Flut ist noch nicht gekommen.

Bergit U. eilt zum Sammelpunkt an der Leubener Straße. Von hier aus fährt in unregelmäßigen Abständen ein Lkw der Bundeswehr mit Hilfsgütern, Sandsäcken und Einwohnern nach Laubegast. Dort stehen rund 30 junge Leute. Sie entladen Lieferwagen von Privatleuten, die gefüllte Sandsäcke geliefert haben. Auch Bergit U. packt, ohne mit der Wimper zu zucken, mit an.

Die Gruppe scheint sich zu kennen, aber das ist ein Trugschluß. Sie sind alle einem Aufruf der Facebookseite „Fluthilfe Dresden“ gefolgt. Im gesamten Katastrophengebiet ist dank der sozialen Netzwerke eine spontane Ordnung entstanden – ohne daß jemand eingreifen und Befehle erteilen mußte. Es sind viele stille Helden wie Cindy Janda aus Dobritz. Die stark tätowierte Frau lädt ihren Kleinwagen aus: Bananen, Kekse, Wasser für die Helfer und die Eingeschlossenen. „Das hat Rewe gespendet“, berichtet sie erschöpft. Wieder ist Bergit U. mit beim Tragen dabei. Dann geht es endlich los. Ein Bundeswehr-Unimog fährt die Laubegaster auf ihre Insel. Mehrere hundert Meter geht es durch braune Brühe, die den Dresdnern schon in Kürze eine schreckliche Mückenplage bescheren dürfte.

In Laubegast erreicht der Laster einen Parkplatz einer Discounterfiliale. Hier ist der Sammelplatz und die Kommandozentrale. Ein Bundeswehroffizier läuft aufgeregt herum, kommandiert seine Leute. „Die Sandsäcke zur Linzer Straße, aber den Wagen nicht wieder auf der Motorhaube so vollpacken.“ Ganz ohne Befehle geht es dann doch nicht.

Dutzende stehen und warten mit Koffern und Taschen in den Händen. Victoria zum Beispiel. Die 21jährige zieht mit ihrem Kater Bernd für ein paar Tage zu ihre Mutter. „Als ich hier eingezogen bin, wurde ich gewarnt, daß vielleicht mal der Keller vollaufen könnte“, sagt sie ein bißchen verärgert.

Wieder eine Naturkatastrophe in Mitteleuropa. Wie viele Jahrhundertfluten passen in so ein Jahrhundert? Die Dresdner haben all das 2002 schon einmal erlebt. Damals stand das Wasser noch etwas höher.

Dresden hat mehr als andere Städte aus der Elbeflut gelernt und Spuntwände vorbereitet, aber nicht überall. In Laubegast haben sich Teile der Bürgerschaft gegen eine Flutmauer gewehrt. Auch weil sie den Blick auf die Elbe nicht verstellt bekommen wollten – und weil sie nicht so schnell mit einer neuen Flut gerechnet haben. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, stand auf den Plakaten einer dieser Bürgerinitiativen.

Es gibt jetzt weder Schuldvorwürfe noch Zorn deswegen. Auch, weil jeder mit seinem vollgelaufenen Keller zu sehr beschäftigt ist. Einige beginnen mit dem Leerpumpen, andere wie Tino Gärtner harren noch aus. Der Laubegaster steht mitten im Wasser und trinkt ein Bier, nicht sein erstes an dem Tag. Er berichtet, wie die Bundeswehr am Morgen zu seinem 70jährigen Nachbarn gekommen ist. Beide wohnen in einem sonst menschenleeren Mehrfamilienhaus. „Die Schwestern können sich ja nicht mehr um ihn kümmern. Also waren zwei Stabsärzte in Uniform da. Die haben seinen Blutdruck gemessen und alles.“ Der Nachbar ist dement. Ohne medizinische Hilfe wäre er verloren gewesen. Gärtner schluckt, als er das erzählt. Not schweißt zusammen.

Für Uwe kommt alle Hilfe zu spät. Sein Saunaparadies ist komplett unter Wasser. „Ich habe das alles nach der letzten Flut aufgebaut, nochmal schaffe ich das nicht. Und wer weiß, ob die Versicherung was zahlt?“

Mehr Glück hatte Bergit U. Als sie abends wieder zurückfährt nach Dresden-Festland, sagt sie freudestrahlend: „Alles ist o.k.“ Sie und ihr Mann übernachten zur Sicherheit dennoch bei Freunden.

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