© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

Gegen die „rechten Kräfte“
EU: Mit Hilfe von Studien und Initiativen nehmen Sozialdemokraten und EU-Kommission Euroskeptiker, „Rechtspopulisten“ und Islamkritiker ins Visier
Christian Schreiber

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, und die EU-Kommissarin für Innenpolitik, Cecilia Malmström, sind sich einig. Zwar unterlägen „rassistisch und fremdenfeindlich motivierte Äußerungen und Straftaten“ in der EU einem „gemeinsamen strafrechtlichen Ansatz, der Höchststrafen“ vorsähe. Dies, so der SPD-Politiker und die schwedische Politikerin der liberalen Volkspartei, reiche allerdings angesichts eines „Erstarkens extremistischer Kräfte“ in Europa nicht aus. In vielen Ländern erlebe man „derzeit eine Zunahme von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Nationalismus und Haß“.

Wenn sich dieser Trend fortsetze, „könnten solche Kräfte erheblich gestärkt“ aus den kommenden Wahlen zum EU-Parlament hervorgehen“, erklärten die EU-Politiker etwas blumig und verwiesen darauf, daß „wir“ die negativen Auswirkungen, die sich daraus für das europäische Projekt ergeben könnten, „nicht unterschätzen“ dürften.

Während Malmström und Schulz in ihrem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung bis auf einen Verweis zu gewählten „Neonazis“ in Griechenland keine Partei beim Namen nennen, tut dies die aktuelle Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel „Rechtsextremismus in Europa – Länderanalysen, Gegenstrategien und arbeitsmarktorientierte Ausstiegsarbeit“ in einem Rundumschlag.

Unter dem Schlagwort „Dominierende Akteure der radikalen Rechten“ unterscheidet sie nuancenreich zwischen der extremistischen, ethnozentristischen, populistischen und religiös-fundamentalistischen Rechten. Dennoch sitzen alle in einem Boot. Dies ist die „faschistisch-autokratische“, auf „Rassismus“ und „Fremdenfeindlichkeit“ setzende ungarische Jobbik, gefolgt von den „rassistischen oder fremdenfeindlichen – aber nicht faschistischen –“ Parteien Vlaams Belang (Belgien), Republikaner (Deutschland), Front National (Frankreich), Dänische Volkspartei (DF), Lega Nord (Italien) und FPÖ (Österreich) sowie der niederländischen Partei für die Freiheit (PVV). Dazu gesellen sich das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), die polnische Kaczyński-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und die ungarische Fidesz unter Ministerpräsident Viktor Orbán, die zur populistischen Rechten – „normalerweise mit starkem, charismatischem Führer und diffusem Programm“ – gezählt werden. Daneben findet sich auch die Schweizerische Volkspartei (SVP), die in populistischer Manier zwischen „uns“ und „den anderen“ unterscheide.

Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström stand bei der Vorstellung des Werks in Berlin Pate: Sie sei sehr besorgt über die wachsende Welle von Drohungen und Gewalt gegen Asylsuchende, Einwanderer, ethnische und sexuelle Minderheiten in vielen europäischen Ländern. Dabei verwies Malmström auf die Taten des NSU in Deutschland, die Attacken in Oslo und die Situation in Ungarn. Um gegen gewaltbereiten Extremismus vorzugehen, sei eine starke politische Führung notwendig. Neben der aktiven politischen Debatte seien aber auch frühe Intervention und Prävention wichtige Instrumente gegen Extremismus, so die Innenkommissarin.

Als Intervention kann man das Werk aus den Federn der Ebert-Stiftung durchaus verstehen. Dabei enthalten die 468 Seiten wenig Neues, sondern eher eine Zusammenstellung altbekannter Argumentationsmuster. Bund gemischt wirft die Sudie liberale, freiheitliche und konservative mit tatsächlich radikalen Parteien und Organisationen in einen Topf.

Im Bericht über die Strukturen in der Bundesrepublik wird so die teilweise offen neonazistisch auftretende NPD ebenso als „rechtsradikal“ bezeichnet wie die Pro-Bewegung oder die konservative Kleinpartei „Die Freiheit“ des ehemaligen Berliner CDU-Politikers René Stadtkewitz. Wenige Seiten später schlagen die Autoren dann die Brücke von den aufgezählten Rechtsparteien zur sogenannten Terrorzelle NSU.

Die Stoßrichtung dieser Argumentation ist klar. Als Rechte, Rechtsradikale, Rechtsextreme, Rechtsliberale, Freiheitliche, Populisten und Neonazis finden sich europaweit Menschen zusammen, die Böses im Schilde führen und das friedliche Zusammenwachsen der Völker unter dem Dach der EU verhindern wollen.

Entsprechend verweist Martin Schulz in einem Beitrag zur Studie auf die Errungenschaft der EU: den erfolgreichen Kampf für Frieden, Versöhnung, für Demokratie und Menschenrechte, sowie auf die stabilisierende Rolle der EU bei der Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens.

„All diese Errungenschaften Europas“, so der EU-Parlamentspräsident, würden „Rechtsextremisten und Rechtspopulisten“ bekämpfen. Für „Rechte und Populisten“ sei die EU schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Auch lehnten sie die „transnationale Solidarität“ ab. Statt dessen, so Schulz weiter, glaubten sie „an den Nationalstaat, der Sicherheit im Inneren und Schutz vor äußeren Bedrohungen gewährleisten soll“.

Doch die Grundidee der transnationalen Solidarität sei nun mal das Gegenteil des Rechtsextremismus. „Wir nehmen diese zivilisatorische Errungenschaft und unsere Grundrechte als gegeben hin, als seien sie uns nichts mehr wert. Aber sie müssen jeden Tag, von jeder Generation neu erstritten werden“, sagte Schulz bei Vorstellung der Friedrich-Ebert-Studie und warnte nochmals eindrücklich vor den einfachen, europa- und menschenfeindlichen Antworten der Rechten, die die Existenzängste in Zeiten der Wirtschaftskrise mißbrauchten.

Um deren Etablierung in den Machtzentren von Straßburg und Brüssel zu verhindern, bedürfe es harter Maßnahmen, forderte Schulz. Vor allem, weil da viele Behörden europaweit auf dem rechten Auge blind seien.

Entsprechend regte Schulz in einer Fraktionssitzung der EU-Sozialisten Maßnahmen an, nach denen künftig alle Parteien zu bestrafen seien, die nicht „die Werte der EU respektieren“.

Einen Mitstreiter auf EU-Ebene findet Schulz in seinem österreichischen Parteikollegen Hannes Swoboda (SPÖ), der seit langem vor dem Vormarsch von „Rechtsextremisten“ in Europa warnt. Um ihnen künftige Auftritte im Europaparlament zu erschweren, möchte er ihnen nun den Geldhahn zudrehen.

„In keinem Land Europas ist heute ein neuer Hitler zu finden. Aber in vielen Ländern sehen wir steigende Arbeitslosigkeit und Armut sowie den sozialen Abstieg der unteren Mittelschicht. Wie 1933 ist das fruchtbarer Boden für die nationalistische, antisemitische oder heute vielfach islamophobe Rhetorik der rechten Populisten“, teilt Swoboda auf seiner Internetseite mit und fordert: „Es bedarf einer fortschrittlichen politischen Union, um die wiederauferstandenen Geister zu verscheuchen.“ Dies geht naturgemäß am besten mit einer Vorenthaltung der finanziellen Mittel. Laut Swoboda sollen künftig Parteien, die die „Werte der EU nicht respektieren“, mit Strafzahlungen belegt werden. Ganz unverblümt erklärt die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im EU-Parlament, solle damit verhindert werden, daß „rechtsradikale oder fremdenfeindliche“ Parteien im EU-Parlament vertreten sind. Zusätzlich soll überprüft werden, ob Mittel für unabhängige Parlamentarier und Gruppen gekürzt werden können.

Im Extremfall könnte die Kommission gar so weit gehen, EU-kritische Parteien zu verbieten oder ihnen zumindest die Teilnahme an der Europawahl zu verwehren. Problematisch ist dies, da der Begriff der „Werte der EU“ recht schwammig ist.

Nachdem zumindest ein wenig öffentlicher Widerspruch kam, war Swoboda um Schadensbegrenzung bemüht und beeilte sich zu versichern, daß es „ja lediglich um Verstöße gegen Grundwerte der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ ginge. Doch genauer ausformuliert wurden diese Prinzipien bislang nicht.

Für Swobodas Landsmann, den FPÖ-Abgeordneten Franz Obermayr, ist dieses Ansinnen ein Skandal: „Bei Swoboda liegen offenbar die Nerven blank.“ Es könne doch nicht strafbar sein, „wenn wir sagen, wir wollen weniger Europa“.

Obermayrs Vermutung: Swoboda wolle offenbar eine EU-kritische Bewegung, die verstärkt in den einzelnen Staaten Zulauf finde, von Förderungen fernhalten. Dabei gehe es um 300.000 bis 400.000 Euro für die beiden Gruppen der fraktionslosen Europäischen Allianz für Freiheit (EAF), deren Vorsitzender Obermayr derzeit ist, und der Europäischen Allianz der nationalen Bewegungen (AEMN) (siehe Infokasten).

205 von insgesamt 754 EU-Abgeordneten haben Swobodas „Finanz-Initiative“ unterschrieben, neben zahlreichen Sozialisten auch bürgerliche Abgeordnete aus Österreich und Deutschland.

Beide Vorstöße – sowohl die Kürzung der finanziellen Mittel als auch die geplanten Strafzahlungen – werden derzeit von der Kommission sowie dem EU-Verfassungsausschuß überprüft. Danach könnten sie dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden. FPÖ-Mann Obermayr glaubt: „Man will uns schaden.“

Dagegen erhöhen Malmström und Schulz den Druck. „Wir brauchen ein gemeinsames Engagement auf höchstem Niveau, also der Staats- und Regierungschefs aus dem Europäischen Rat“, forderte die Schwedin in Berlin und kündigte noch für dieses Jahr ein Europäisches Programm zur Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus an, das eine bunte Mischung aus praktischen Vorschlägen und politischen Empfehlungen vorsähe.

Martin Schulz sekundierte und erklärte die „Gegenstrategie“. Nur die „Separierung der einzelnen Gruppen“, die „Offenlegung“ von „inneren Widersprüchen“ sowie durch das „Insistieren auf einer geschlossenen Verteidigungslinie zugunsten der für alle geltenden demokratischen Grundwerte“ könne das „Vordringen der rechten Kräfte verhindert“ werden.

 

Rechte Parteien im EU-Parlament

Zur Bildung einer Fraktion im EU-Parlament sind mindestens 25 Abgeordnete erforderlich. Einzige rechte Fraktion ist „Europa der Freiheit und der Demokratie“, bestehend unter anderem aus Ukip (GB), Lega Nord (I), Dänischer Volkspartei, Laos (GR), Ordnung und Gerechtigkeit (LT), den „Wahren Finnen“, der MPF (F), der calvinistischen SGP (NL) und der SNS (SK). Ohne Fraktionsstatus ist die „Europäische Allianz für Freiheit“ (EAF). Sie ist ein Zusammenschluß einzelner EU-Parlamentarier der FPÖ, des Vlaams Belang (B), der Schwedendemokraten, Ukip sowie des Front National (FN). Ebenso einen fraktionslosen Status besitzt die „Europäische Allianz der nationalen Bewegungen“ (AEMN). Ihr gehören unter anderem die Jobbik (HU), die British National Party sowie Bruno Gollnisch (FN) an. Während die niederländische Partei für die Freiheit (PVV) keiner Gruppe angehört, ist die ungarische Regierungspartei Fidesz Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten).

www.efdgroup.eu

www.eurallfree.org

http://aemn.eu

Foto: Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD), und die Studie der Friedrich-EbertStiftung (r.): „Rechtsextremismus in Europa: Länderanalysen, Gegenstrategien und arbeitsmarktorientierte Ausstiegsarbeit“, R. Melzer, S. Serafin (Hrsg.), Berlin 2013

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