© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

Krieg gehört zu unserem Wesen
Archäologie: Neue Ausgrabungen weisen auf eine Zunahme kollektiver Gewaltanwendung in der Jungsteinzeit hin
Karlheinz Weissmann

Seit einigen Jahren kann der interessierte Beobachter eine Verschiebung im Bereich der Archäologie feststellen. Neben die Konzentration auf den alten Orient und die Antike sowie die großen Kulturen in Asien oder Amerika trat die vermehrte Beschäftigung mit den steinzeitlichen Zivilisationen Alteuropas beziehungsweise des Fruchtbaren Halbmonds, der Bronzezeit und ihren erstaunlichen Überresten, den „Randkulturen“, etwa der Kelten, oder den Hervorbringungen der „Primitiven“, von den Polynesiern bis zu den Irokesen.

Daneben gab es aber auch eine Korrektur dessen, was man „Interpretationsscheu“ nennen könnte. In Reaktion auf den ideologischen Mißbrauch der Vorgeschichte (und der Völkerkunde) beschränkte man sich in Deutschland, aber nicht nur hierzulande, im wesentlichen auf die Deskription und vermied weitergehende Deutungen. Das war natürlich nur um den Preis der Unanschaulichkeit zu haben, was wiederum die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit drastisch reduzieren mußte, die den – legitimen – Wunsch hat, das Gesehene im Zusammenhang zu begreifen und damit auch dessen Stellenwert für das Verständnis der Gegenwart.

Wie aufschlußreich solche Verknüpfung sein kann, ist der Ausgabe 1 der Zeitschrift Archäologie in Deutschland (Theiss-Verlag, www.aid-magazin.de) zu entnehmen, die sich schwerpunktmäßig mit dem Thema „Krieg im Neolithikum“ befaßt. Mehreren Beiträge darin präsentieren die Ergebnisse jener neueren Ausgrabungen, die alle auf eine Zunahme kollektiver Gewaltanwendung in der Jungsteinzeit hinweisen.

Die wichtigsten Indizien bieten zum einen Skelettreste, die im Zusammenhang mit regelrechten Massakern stehen könnten (in Herxheim in der Südpfalz fand man bisher die Relikte von 450 Individuen, vielleicht handelt es sich aber auch um bis zu 1.000) oder zumindest Verletzungen aufweisen, die nur durch menschliche Gewalt zu erklären sind. Und zum andern die Entdeckung von Bauten mit Wall, Graben und Toranlagen (etwa Maiden Castle oder Hambledon Hill in England oder Waremme-Longchamps in der Wallonie), die im Grunde nur der Verteidigung gedient haben können.

Von Bedeutung sind diese Funde deshalb, weil es sich um weitere Hinweise darauf handelt, daß nicht erst in der späteren Phase der Menschheitsentwicklung, sondern schon am Beginn der Seßhaftigkeit und des Übergangs zu Landwirtschaft und Viehzucht kollektive Gewaltanwendung eine erhebliche Rolle spielte. Das spricht weiter dafür, daß schon so früh die Funktion des Mannes gleichzeitig die des Kriegers war, möglicherweise Kriegergruppen gebildet wurden, die mehr oder weniger gesondert in der Gesellschaft standen, was sukzessive zu einer stärkeren Gliederung und Hierarchisierung beitrug. Diese wiederum erklärt nicht nur die dauerhafte Unterordnung der Frauen, sondern auch die Entstehung von Ansätzen einer staatsähnlichen Struktur.

Allerdings setzte das niedrige Niveau der technischen Entwicklung dem Operationsspielraum wie den Folgen eines bewaffneten Konflikts doch Grenzen; auch eine belastbare Schätzung des Anteils der „Kriegstoten“ ist nicht möglich. Wirksame Waffen gab es im Neolithikum kaum. Im Prinzip handelte es sich um dieselben, die auch zur Jagd benutzt wurden. Die meisten Wunden scheinen bei den Auseinandersetzungen durch Pfeile zugefügt worden zu sein (im Massengrab des spanischen Abri San Juan fand man zwischen den Knochen von 330 Toten allein 61 Silexspitzen), der Kampf Mann gegen Mann war die Ausnahme. Schutzwaffen wie Helme oder Beinschienen kamen erst mit der Bronzezeit in Gebrauch, dasselbe gilt für den Einsatz von Reittieren oder Kampfwagen.

Selbstverständlich erlaubt die geringe Zahl der Funde keine abschließende Bewertung. Trotzdem sind die Beiträge dieser Ausgabe von Archäologie in Deutschland ein weiterer Beleg für die Annahme, daß Krieg keine „Erfindung“ des Menschen ist, sondern zu seinem Wesen gehört, wofür nicht nur der Vergleich mit der Lebensweise anderer Primaten spricht, sondern auch die Menge an Hinweisen auf massive Auseinandersetzungen schon während des Paläolithikums (etwa zwischen Homo sapiens und Neandertaler).

Eine solche Klarstellung kann wesentlich dazu beitragen, den irrigen Gedanken vom friedliebenden Naturmenschen oder einem Idyll am Anfang der Geschichte auszurotten, und der Annahme, es habe in späterer Zeit – etwa mit Erfindung der Metallbearbeitung – einen ganz unvermittelten Bruch der Entwicklung gegeben, einiges von ihrer Sugge-stionskraft nehmen.

Kontakt: Leserservice „Archäologie in Deutschland“, Heuriedweg 19, 88131 Lindau

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