© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Lustig in den Untergang
In einer heiteren Nachtsitzung hat der Bundestag ein weiteres Stück deutscher Souveränität abgeschafft
Michael Paulwitz

Wenn der Deutsche Bundestag kurz vor dem Wochenende nachts um zehn Uhr und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt schnell mal eben noch ein Gesetz beschließt, dann muß die Materie schon verteufelt brisant sein.

Das Spektakel, das im Reichstag am Abend des 13. Juni mit dem Beschluß zur Übertragung der Bankenaufsicht auf die Europäische Zentralbank (EZB) geboten wurde, trägt Züge eines Theaters des Absurden: Wie eine lästige Pflichtübung beschließt das deutsche Parlament im Vorbeigehen eine Abgabe nationaler Souveränitätsrechte, die in ihrer Dimension die Einführung des Euro noch übertrifft. Und das ehedem Hohe Haus zelebriert aus diesem Anlaß die Abschiedsrede eines altgedienten Parteisoldaten, während die Kritik einiger weniger Dissidenten an der Ungeheuerlichkeit des Beschlusses resonanzlos in der Leere der Parlamentsränge verhallt.

Es ist eine subtile, höherentwickelte Form von Gleichschaltung, die da praktiziert wird: Das rituelle Ablesen vorgestanzter Texte gibt sich als „Debatte“ aus. Die paar Abweichler von der parteienübergreifenden Standardmeinung, wie den freidemokratischen Einzelkämpfer Frank Schäffler oder den störrischen hessischen Christdemokraten Klaus-Peter Willsch, über deren Ketzereien man sich noch vor nicht allzu langer Zeit mit bissiger Wut empörte, läßt man inzwischen einfach reden. Es bleibt ja folgenlos, eine inhaltliche Auseinandersetzung könnten sie gar nicht auslösen, weil der eine Teil der parlamentarischen Sesselinhaber – die überwiegende Majorität vermutlich – gar nicht versteht, was da schon wieder durchgewinkt wird, und die Hand nicht aus Verantwortung vor dem Volk und vor dem eigenen Gewissen hebt, sondern aus Partei- und Fraktionsräson, und um nur ja nicht anzuecken, mit der Masse stimmt. Während die wenigen zynischen Durchblicker, die genau wissen, was sie tun, überhaupt nicht daran denken, sich der Kernfrage zu stellen: der nach der Souveränität und des Fortbestands der Bundesrepublik Deutschland als demokratisch verfaßter Nationalstaat.

Der ist mit dem neuesten Ermächtigungsgesetz zur EZB-Bankenaufsicht wieder ein Stück weiter abgeschafft worden. Was der Bundestag da in dürren Worten beschlossen hat, ist eine Falle, die zur Kettenreaktion werden kann. Die Aufsicht über die deutschen Banken wird der EZB übertragen, einer Institution, die selbst keiner demokratischen und institutionellen Einbindung unterliegt. Sie ist nicht unabhängig im Sinne der Bundesbank, die der Geldwertstabilität im Gefüge eines Nationalstaats mit eigener Währungshoheit verpflichtet war.

Die EZB hat keinen „Staat“, dessen Räson sie unterliegt, sie erweitert in diesem Vakuum ihre Kompetenzen selbstherrlich im Namen der – auch von der deutschen Kanzlerin – ausgerufenen Euro-„Rettung um jeden Preis“, und sie ist dabei sehr wohl abhängig von Interessen anderer. Von denen der Finanzindustrie, mit der ihr Chef, Mario Draghi, als ehemaliger Goldman-Sachs-Banker aufs engste verbunden ist. Und von denen der südeuropäischen Schuldenstaaten, deren Vertreter in den Gremien die Mehrheit haben.Denen zuliebe läßt sie die Notenpresse heißlaufen, nordeuropäische Sparer mit manipulierten Niedrigstleitzinsen enteignen und über den massiven Ankauf von Staatsanleihen längst in die verbotene monetäre Staatsfinanzierung eingesteigen.

Die Übertragung des nationalen Souveränitätsrechts der Bankenaufsicht an die EZB macht den Bock zum Gärtner und Draghi zum mächtigsten Mann Europas, zum Euro-Generaldirektor. Die EZB-Bankenaufsicht ist nicht nur der Einstieg in die Bankenunion, heißt: Vergemeinschaftung der Risiken aus den Bankschulden und Anzapfung der vergleichsweise gut ausgestatteten Einlagensicherung der deutschen Sparer durch südeuropäische Pleitebanken. Sie ist vor allem die Voraussetzung für den direkten Griff maroder Banken in den „Rettungsfonds“ ESM. Der kann allerdings „nur“ 500 Milliarden Euro verteilen, angesichts der Bankschulden der sechs Haupt-Krisenstaaten von über neun Billionen Euro ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die 135 Milliarden, die Deutschland fürs erste einzuzahlen hat, dürften damit schon mal weg sein. Gegen weitere Nachforderungen, die der ESM jederzeit beschließen kann, steht nur der auf schönes, aber im Ernstfall wertloses Papier geschriebene Vorbehalt des Bundesverfassungsgerichts, die Haftungsobergrenzen für Deutschland dürften nicht überschritten werden.

Die meinungsbeherrschenden Massenmedien schweigen in üblicher vorauseilender Euro-Gehorsamkeit über die möglichen Dimensionen dieses Raubzugs. Der deutsche Bürger und Steuerzahler hat allen Grund, sich gleich doppelt und dreifach verraten und verkauft zu fühlen: durch eine Regierung, die Grundgesetz und Souveränitätsrechte des deutschen Staates scheibchenweise demontiert und auf selbstherrliche supranationale Institutionen überträgt, um auf dem Umweg über eine selbstverschuldete Krise einen europäischen Superstaat zu erzwingen; durch ein Parlament, in dem statt Kontrolleure der Macht vor allem Kollaborateure sitzen; durch ein Bundesverfassungsgericht, das so stolz auf seine Europa-Integrationsfreundlichkeit ist, daß es der politischen Klasse beim kalten Putsch gegen das Grundgesetz nicht in den Arm fällt, sondern nur hilflos den Zeigefinger hebt und den Ball an den Bundestag zurückspielt.

Der wiederum kann sich – besoffen vom Euro-Wahn – gar nicht schnell genug selbst abschaffen; als politische Kraft, versteht sich, als Karriere- und Versorgungsanstalt braucht man ihn ja noch. Wer jetzt nicht auf die Barrikaden geht, um Staat und Grundgesetz gegen die Euro-besessene politische Klasse zu verteidigen, wird schon bald mit Entmündigung, Ausplünderung und Verarmung bestraft werden.

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