© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Marine Le Pen in Nöten
Frankreich: Chefin des Front National droht Entzug der Immunität durch das EU-Parlament
Norbert Breuer-Pyroth

Für Marine Le Pen kommt es derzeit knüppeldick. Im Mai brach sich die 44jährige Vorsitzende des Front National (FN) in Südfrankreich beim Sturz in den leeren Swimmingpool ihres Gartens das Kreuzbein. Nun muß sie gar um den Entzug ihrer Immunität durch das Europäische Parlament fürchten.

Ein Ausschuß des Europaparlaments, dessen Mitglied Marine le Pen seit 2004 ist, sprach sich für die Aufhebung der Immunität der gelernten Rechtsanwältin aus. Anlaß sind Vergleiche, die sie am 10. Dezember 2010 zwischen den Straßengebeten von Moslems und der Besetzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland gezogen haben soll. Wörtlich habe sie geäußert: „Das ist eine Landnahme. Gewiß, es gibt keine Panzer, keine Soldaten, aber sie lastet auf den Einwohnern.“

In Frankreich leben geschätzt sechs Millionen Moslems. Unter der Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy wurde 2011 das Beten in den Straßen in Paris und einigen anderen Städten untersagt; den Moslems wurden Ersatzlokalitäten angeboten.

Nachdem die Entscheidung ursprünglich schon zum 11. Juni hätte fallen sollen, was sich als administrativer Irrtum herausstellte, wird die Abstimmung über den Immunitätsentzug nunmehr erst Anfang Juli in Straßburg stattfinden. Zuvor müsse der Rechtsausschuß des EU-Parlaments eine Empfehlung verabschieden, wurde verlautbart. Die bisherigen Beratungen sollen jedoch, so hieß es aus gutunterrichteten Kreisen, „sehr ungünstig“ für Frau Le Pen ausgefallen sein.

Bereits im November 2012 – nach Einleitung von Vorermittlungen wegen „Aufstachelung zum Rassenhaß“ durch die Staatsanwaltschaft Lyon – hatte die Französische Republik die Aufhebung der Immunität Marine Le Pens beantragt. Le Pen kann in Frankreich strafrechtlich nur belangt werden, wenn ihre Immunität als EU-Abgeordnete zuvor aufgehoben werden sollte. In einer Umfrage des Magazins L’Express befanden derweil Anfang Juni 71 Prozent der Leserschaft, die Maßnahme sei „übertrieben“.

In der Beliebtheitsskala französischer Politiker liegt Marine Le Pen nach einer am 13. Juni veröffentlichten Umfrage von Le Huffington Post hinter dem sozialistischen Innenminister Manuel Valls (32 Prozent), dem ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy (26 Prozent) und dessen damaligem Außenminister Alain Juppé (22 Prozent) mit 21 Prozent auf Rang vier.

Da – wie Parlamentssprecher Jaume Duch bestätigte – die Abgeordneten des Justizausschusses des EU-Parlaments hinter verschlossenen Türen schon für den Entzug der Immunität Le Pens votiert haben, dürfte die Abstimmung im Plenum nur noch eine Formalie sein.

Zumal das EU-Parlament in ähnlich gelagerten Fällen solchen Anträgen in der Vergangenheit stets stattgegeben hat. Schon gegen Marine Le Pens Vater Jean-Marie war im Jahre 1998 ein Verfahren in die Wege geleitet worden, weil er geäußert hatte: „Ich behaupte nicht, es habe die Gaskammern nie gegeben. Ich habe mich mit dieser Frage nie ausführlich auseinandergesetzt. Aber ich glaube, daß es nur ein Detail in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist.“ Er wurde daraufhin von einem Versailler Gericht mit einer Strafzahlung von umgerechnet etwa 183.000 Euro belegt. Ähnliches droht auch Marine.

Marine Le Pen war den Vorwürfen selbst schon 2010 mit aller Entschiedenheit entgegengetreten. Sie bestritt, Moslems mit Nazis verglichen zu haben. Es habe sich zudem mitnichten um eine „Entgleisung“ gehandelt, sondern vielmehr um eine „wohlüberlegte Analyse“, die „banale Feststellung einer physischen und juristischen Realität“.

Was den Begriff „Besetzung“ anbelange, so „bleibe sie aber dabei und unterschreibe“ diesen. Sie hätte ebensogut von der Besetzung durch die Engländer in der Epoche Jeanne d’Arcs sprechen können, fügte sie hinzu. Und „jene, die glaubten, diese Hyperbel deformieren zu können, indem sie angeben, sie habe Moslems mit Nazis verglichen, seien Lügner und Manipulatoren“. Indem sie sich dergestalt ausgedrückt habe, wollte sie bloß aussprechen, „was alle im Stillen denken“.

Durch den Vizepräsidenten des Front National, Florian Philippot, ließ sie nun Anfang Juni via Radiosender Europe 1 mitteilen, daß sie sich vor Gericht selbst verteidigen wolle. „Ich hoffe“, so Philippot weiter, „daß man Vertrauen in die französische Justiz haben kann. Wenn ein Politikverantwortlicher, eine Präsidentschaftskandidatin, Vorsitzende einer der wichtigsten Parteien, sich nicht mehr zu gravierenden Problemen bei Verletzung des Laizismus ausdrücken könnte, dann wäre das sehr problematisch für die demokratische Debatte.“

Eine Klage eines „Kollektivs gegen die Islamophobie in Frankreich (CCIF)“ wegen „Anstiftung zu Diskriminierung, Gewalt und Haß gegen eine Gruppe von Menschen aufgrund ihrer Religion“ hatte die gerichtliche Untersuchung ausgelöst.

Die Sozialistische Partei ließ seinerzeit verlauten, „die Kandidatin habe das wahre Gesicht der extremen französischen Rechten gezeigt“. Ihre Erklärungen „entschleierten deren Haß und Unkenntnis“. Pierre Moscovici, derzeit französischer Finanzminister, sagte, dies zeige, daß der Front National über Provokation funktioniere und daß er eine Partei sei, deren genetisches Erb-gut in den Werten der Republik nicht verzeichnet sei.

Doch die herbe Kritik konnte Marine Le Pen innenpolitisch wenig anhaben. Nachdem sie im Januar 2011 den Vorsitz des rechtsnationalen Front National übernommen hatte, erreichte sie bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2012 mit 17,9 Prozent den dritten Rang. Dies war das beste Ergebnis, das jemals ein Kandidat ihrer Partei erringen konnte. Zehn Jahre zuvor hatte Vater Jean-Marie 16,9 Prozent erreicht.

Überbleibsel des Erfolgs: Auf der Internetseite des Front National werden gegenwärtig zum Preis von 30 Euro „die letzten Flaschen“ Champagner zur erhofften Siegesfeier 2012 offeriert.

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