© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Zum Bösen fehlt ihm die Lebenskraft
Literaturverfi lmung: In „Confession“ spielt Rockstar Pete Doherty die Hauptrolle
Sebastian Hennig

Der Film „Confession“ besitzt zwei Inspirationsquellen. Die eine entspringt der literarischen Vorlage, dem Roman des französischen Romantikers Alfred de Musset „La confession d’un enfant du siècle“(„Bekenntnis eines jungen Zeitgenossen“). Die andere besteht in der Fortsetzung des Décadence-Zitats der Popkultur des zwanzigsten Jahrhunderts, wie sie äußerlich in Jim Morissons Rimbaud-Attitüde, Jimi Hendrix’ Rüschen-Hemden oder in Mick Jaggers Samtjacken zum Ausdruck kam.

Der Hautdarsteller dieser Literaturverfilmung ist nämlich Pete Do-herty. Neben Amy Winehouse, seligen Angedenkens, wirkt er als Maskottchen der permanenten Revolution des Rock’n’Roll. Um den musikalischen Junkie vom Kerker auf die Rampe zurückzuholen, hinterlegt die Plattenfirma bereitwillig jede Kaution. Auch während der Dreharbeiten zu „Confession“ zog er im Vollrausch mit seinem Filmpartner August Diehl durch die Gassen Regensburgs. Die Entschädigung für den Einbruch durch das Schaufenster eines Schallplattenladens, der ihm dabei zugeschrieben wurde, war gewiß durch die Produktionsspesen per Filmförderung abgedeckt. Für einen fotogenen Rebellen sind die Haltungskosten eben höher als für einen professionellen Schauspieler.

Die Regisseurin und Drehbuchautorin Sylvie Verheyde bot Doherty seine erste Spielfilmrolle mit den Worten an: „Das ist die Geschichte eines Mannes, der nicht für die Liebe gemacht ist, sie aber trotzdem und gegen alle Hindernisse sucht – gegen seine Zeit, gegen sich selbst, gegen andere Männer. Ich dachte bei dem Part an dich.“ Wieder kommt Mick Jagger in den Sinn, der in jener Zeit, da er sich noch nicht ausschließlich von Joghurt ernährte, wegen seiner Aura den australischen Strauchdieb Ned Kelly spielte oder später von Werner Herzog in „Fitzcarraldo“ eingesetzt wurde. Auch Doherty läßt sich mühelos gehen in der Rolle des selbstverliebten Bengels Octave, dem selbst der Narzißmus zu kräftezehrend ist.

Den repräsentiert August Diehl in der Rolle des dämonischen Freundes Desgenais. Als Advocatus diaboli kann er nicht recht durchdringen, weniger weil in seinem Freund das Gute zu stark ist, sondern weil dem zum Bösen einfach die pralle Lebenskraft fehlt. Er hat sich ganz in die träumerische Liebe zu Elise (Lily Cole) fallen lassen, wie in einen der kostbaren Fauteuils, wie sie in den Salons stehen. Als er dann Elise mit einem anderen ertappt bricht das plüschige Fundament seines Lebens ein. Bei dem folgenden Duell wird er verletzt.

Desgenais reißt ihn aus dem Dämmer, will ihn in seinen Nihilismus einweihen und verführt ihn zu einem orgiastischen Treiben. In den feierlichen Sälen, die in Messingtönen wie auf den Bildern von Vilhelm Hammershøi schimmern, erscheinen die geputzten Leute wie Kinder, die Gesellschaft spielen. Eine knisternde Laszivität lagert über der Gemeinschaft. Die ständige Gegenwart von Ansteckung, Unfall oder Tod fördert die Promiskuität dieser taumelnden Jugend.

Zu anstrengend ist das alles für Octave, der koitierend über die Schulter seiner temporären Favoritin kotzt. Dann stirbt sein Vater und er steht zu spät vor dessen Lager. Mit einer weiteren sinnlichen Verlockung konfrontiert, verweigert er den Akt und flieht ins Freie. Dort trifft er mit der jungen Witwe Brigitte (Charlotte Gainsbourg) zusammen. Zwischen den beiden entspinnt sich zunächst eine verhaltene Romanze, die nach verheißenden Ausblicken doch wieder beim derben Sex endet und im Ursprungsmotiv der Selbstliebe und Eifersucht untergeht.

Bei alledem wirkt diese Frau oft herber und männlicher als das gedunsene und tänzelnde Männchen. Alfred de Musset hat sein Begehren nach George Sand in diesem Roman gestaltet. Es sind die modernen Zeiten: Die Dumpfen und Harten beuteln die Welt und die Feinen lähmt der Spleen. Damals fing es damit an. So ist die Abstammungslinie von den Pariser Salons um 1850 zu dem Swinging London der 1960er nicht ganz verkehrt.

Eine Szene spielt im Opernhaus, und während der gefühlsselige und liebesunfähige Octave nicht aufhört, von seinem läppischen Schmerz zu faseln, treibt die barocke Arie von Antonio Lotti dem abgebrühten Schuft Desgenais das Wasser in die Augen.

Während die jüngste Verfilmung von „Anna Karenina“, ebenso auf Äußerlichkeit bedacht, nur zu einem kleinmütigen Großfilm führte, ist hier ein großartiger kleiner Film gelungen, an dem vor allem die Ausstattung überzeugt. Herrlich unbequem jagen die Kutschen über die Landstraßen und Wege. Am Licht mangelt es entweder, oder es blendet sogleich schmerzhaft die Augen. Fast ließen sich neben Kostüm, Landschaft und Raum auch die Darsteller als Ausstattungsstücke beschreiben. Die verschwitzte Verzweiflung Pete Dohertys, der kalte Nihilismus August Diehls und die spröde Zuverlässigkeit Charlotte Gainsbourgs bewirken fast allein durch ihren Anblick das Drama dieses Films. Alle drei Hauptdarsteller sind große mimische Markierer, deren schweigende Präsenz mehr vermag, als ihre Dialoge auszusagen imstande wären.

Zuletzt hat Pete Doherty auch noch mit „Birdcage“ den Song zum Film geschrieben. In jener Zeit, in der der Film spielt, pflegte man Singvögel zu domestizieren, indem man ihnen den oberen Teil des Schnabels ätzte und verschnitt. Dadurch waren sie auf menschliche Zureichung der Nahrung angewiesen, was sie handzahm machte. Ebenso hat sich der freie Mensch seither Stück für Stück selbst gezähmt. Der Film, wie Mussets Buch, führt an Äußerlichkeiten vor, wie sich jene Domestizierung der Seelen entwickelte.

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