© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

„Die Deutschen schlafen wieder“
Die EU ist dabei, Demokratie und Rechtsstaat abzuschaffen, und die deutschen Bürger schauen zu, wundert sich Roger Köppel, Chefredakteur des rebellischen Schweizer Nachrichtenmagazins „Weltwoche“. Bringt nun die Alternative für Deutschland die Wende?
Moritz Schwarz

Herr Köppel, Ihre „Weltwoche“ erscheint zwar in der Schweiz, dennoch sind Sie in Deutschland so etwas wie die außernationale bürgerliche Opposition.

Köppel: Ich danke Ihnen für das Kompliment, aber vielleicht hängen Sie das ein bißchen zu hoch.

 Mancher liest hierzulande gerne die „Weltwoche“, obwohl ihn die Beiträge zur Schweiz eigentlich nicht sonderlich interessieren.

Köppel: Das sehen Sie falsch. Die Schweiz ist doch für jeden Deutschen ein hoch inspirierendes Land verborgener Sehnsüchte, wenn nicht gar Vorbild!

Immerhin sind Sie der einzige Schweizer Chefredakteur, der schon in allen wichtigen politischen Talkshows des deutschen Fernsehens zu Gast war.

Köppel: Vielleicht eben deshalb, weil man als Schweizer geschätzt wird für einen unabhängigen Standpunkt. Oft ging es auch um schweizerische Themen, zum Beispiel die direkte Demokratie.

Oder um Thilo Sarrazin, der nichts mit der Schweiz zu tun hat.

Köppel: Tatsächlich stellt sich die Frage, was in Deutschland falsch läuft, daß man immer wieder einen Schweizer einlädt. Es gibt ja immerhin schätzungsweise fünfzig Millionen erwachsene Deutsche, unter denen man auswählen könnte.

In Deutschland findet sich nun mal kein  der „Weltwoche“ vergleichbares Medium.

Köppel: Das wäre ein hervorragendes Motiv!

„Die Piraten fand man entzückend, die AfD nicht“

Die „FAZ“ definiert Ihr Magazin so: „Die ‘Weltwoche’ attackiert unter hohem Risiko den linksliberalen Mainstream.“

Köppel: Kürzlich zitierte ein Freund Konfuzius: „Wo alle loben, kritisiere. Wo alle kritisieren, lobe.“ Ich mißtraue dem Konsens, der Meinungseinfalt. Demokratien leben vom Meinungspluralismus. Gegensteuer geben, Herstellung von Meinungsvielfalt: Das sind journalistische Urtugenden. Außerdem: Zeitungen sollten Mißstände in der Politik aufdecken, in Hintergründe und Abgründe hineinleuchten. Daran orientiert sich mit Erfolg die Weltwoche – wie etwa der Spiegel der frühen sechziger Jahre. Heute ist die Presselandschaft in Deutschland tatsächlich etwas einförmig geworden.  

Etwa ist ein rechtsorientiertes Nachrichtenmagazin mit einer Auflage von 800.000 Stück hierzulande politisch beinahe unvorstellbar. Das wäre nämlich die Entsprechung, rechnet man die Auflage der „Weltwoche“ auf deutsche Verhältnisse hoch.

Köppel: Ich würde nicht von rechts sprechen, weil Journalisten vor allem der Realität verpflichtet sein sollten und nicht einer politischen Grundrichtung. Tatsache ist aber, daß viele Journalisten links stehen und deshalb mit einem verschobenen Blick auf die Wirklichkeit schauen, sich zum Beispiel von faszinierenden intellektuellen Konstruktionen wie der EU oder dem Euro davontragen, um nicht zu sagen: beschwipsen lassen.

In Deutschland gibt es etwa kaum ein Medium, das die Regierung in der Euro-Krise unter Druck setzt. Da fehlt doch was.

Köppel: Sie haben eine Reihe bürgerlicher Zeitungen und investigativer Organe, aber sicher sind auch die meisten deutschen Zeitungen zuwenig kritisch und beten einfach nach, was man ihnen vorsetzt. Hier hat Ihre Zeitung, die eine wichtige Arbeit macht, eine Chance. Und vielleicht wird ja diese neue Anti-Euro-Partei die Szene etwas aufmischen.

Interessiert man sich in der Schweiz für die Alternative für Deutschland? 

Köppel: Die Weltwoche hat sich bereits ausführlich mit ihr beschäftigt. Etwa sind wir der Frage nachgegangen, warum die Piraten bei den meisten Kommentatoren Entzücken ausgelöst haben, die AfD dagegen auf eisige Ablehnung stößt.

Und?

Köppel: Anders als die Piraten bewegt sich die AfD nicht in den üblichen „sexy“ Diskursmilieus. Dabei steckt hinter der Piratenpartei meines Erachtens viel heiße Luft. Die AfD ist eine fundiertere Partei mit einer substantiellen EU-kritischen, nicht europakritischen Botschaft, die allerdings etwas klarer formuliert sein könnte. Sie will einen Gegenentwurf zur Politik der „Alternativlosigkeit“ liefern. Das finde ich richtig, denn wenn eine Regierung sagt, ihre Politik sei alternativlos, dann betreibt sie nichts anderes als Arbeitsverweigerung. Demokratie ist die Staatsform der Alternativen.

Anders als viele deutschen Medien weist die „Weltwoche“ schon seit Jahren darauf hin, daß der Euro eine Fehlkonstruktion ist.

Köppel: Nicht nur der Euro, die ganze EU ist eine intellektuelle Fehlkonstruktion, was Legionen von Journalisten, die wie alle Intellektuellen eine Schwäche für intellektuelle Konstruktionen haben, nicht sehen wollten. Dabei räume ich ein, daß die EU gut gemeint war.

„Die EU nimmt Züge einer aufgeklärten Diktatur an“

Was ist der Fehler der EU?

Köppel: Sie ist weder Fisch noch Fleisch. In der Schule habe ich gelernt: Jeder Staat hat ein Staatsgebiet und ein Staatsvolk und eine staatliche Ordnung, Verfassung genannt, hoffentlich demokratisch-rechtsstaatlich. Die EU trägt Züge eines Staates, sie hat die Probleme eines Staates, aber es fehlen ihr die staatlichen Instrumente, diese Probleme anzupacken und zu lösen. Weil das so ist, wird sich die EU zwangsläufig immer mehr zum Staat entwickeln, Handlungsfähigkeit erwerben müssen. Diese Entwicklung ist unter dem Druck der Euro- und anderer Krisen im Gang. Wird die EU aber zum Staat, wird sie sich dadurch noch mehr in einen unaufhebbaren Selbstwiderspruch begeben. Es ist meines Erachtens keine handlungsfähige staatliche Ordnung denkbar, in der sich Portugiesen, Italiener, Franzosen und Deutsche gleichermaßen wiedererkennen. So etwas konstruieren zu wollen, ist größenwahnsinnig, eben eine intellektuelle Fehlkonstruktion.

Warum bemerken das die deutschen Medien ganz überwiegend nicht?

Köppel: Gute Frage. Wo waren all die brillanten Spiegel-Journalisten, als der Euro über die Köpfe der Deutschen hinweg ohne Demokratie eingeführt wurde? Wo blieb die Kritik der Journalisten, als man Volkswirtschaften im Euro zusammenband, die Lichtjahre auseinanderliegen, wenn man die Leistung ehrlich mißt? Mehr als die Regierungen haben bei Euro und EU die Medien versagt. Heute setzt sich die EU immer wieder über rechtsstaatliche, demokratische Traditionen hinweg, und wieder schlafen die deutschen Journalisten.

Jetzt spielen Sie auf die Euro-Rettung an.

Köppel: Sicher. Um die Euro-Krise zu beenden wird – möglichst unbemerkt – massiv Souveränität und demokratische Teilhabe vom Bürger weg an Institutionen wie die EZB oder den ESM transferiert. Nicht aus Bösartigkeit, sondern um die EU in der Krise handlungsfähig zu machen. Milliardenzahlungen werden nach Abendspaziergängen von Staatschefs genehmigt, Parlamente ausgebremst – die EU nimmt Züge einer aufgeklärten Diktatur an.

Eine aufgeklärte Diktatur?

Köppel: Wenn Rechtsstaatlichkeit und demokratische „Checks“ und „Balances“ außer Kraft gesetzt, wenn immer weniger, nicht legitimierte Leute immer weitreichendere Entscheidungen treffen, für die man sie aber nicht verantwortlich machen kann, dann haben wir keine richtige Demokratie und keinen Rechtsstaat mehr. Das ist tragisch, denn gerade die europäische Geschichte lehrt, daß die schlimmsten Entscheidungen stets von ganz wenigen getroffen wurden. Betreibt man wie die EU Demokratie ohne Demos, also ohne Volk, bleibt nur noch Kratie, die Herrschaft, übrig. Die Deutschen hoffen auf ihr Verfassungsgericht, von dem sie glauben, es werde das Schlimmste verhindern.

Und das tut es nicht?

Köppel: Das werden wir sehen. Ich respektiere die Rolle, die das Verfassungsgericht in Deutschland spielt, aber in der Schweiz würden wir sagen: Was brauchen wir dafür ein Verfassungsgericht? Wir sind selbst der Verfassungsgeber! Der Bürger ist der Souverän.

Sie meinen, deutsch ist, abzuwarten ob sich etwas als erlaubt oder verboten erweist. Schweizerisch ist, die Sache selbst in die Hand zu nehmen?

Köppel: Es hat sicher etwas Deutsches, soviel Verantwortung in die Hände der Richter zu legen. Es hat auch etwas Gefährliches, denn Richter allein haben nicht die politische Vernunft gepachtet. Die EU-Krise führt uns vor Augen, wie wichtig es ist, die Bürger ins Boot zu holen, sich an den Interessen der Bürger zu orientieren, nicht an den Interessen der Politiker oder der Bürokraten. Heute dient die EU vor allem den Interessen der politischen Klasse. Darum regt sich Widerstand. Und warum ist man an diesen Punkt gekommen? Weil eben die Politiker eigenmächtig, über die Köpfe der Bürger hinweg die Integration betrieben haben. Jetzt will man die Probleme mit noch mehr Macht für die EU-Politiker lösen: die gleiche falsche Medizin, die das Problem verursacht hat. Wurden die Deutschen etwa je gefragt, was sie davon halten und ob sie das überhaupt wollen? Nein, es wurde einfach gemacht, und je weniger die Leute mitbekommen haben, desto besser.

Dennoch kommt die AfD in Umfragen derzeit nicht über drei Prozent. Wie erklären Sie sich die Passivität vieler Deutscher? 

Köppel: Natürlich steht Ihr Land einer besonders anspruchsvollen, ja heiklen Herausforderung gegenüber. Für die Deutschen ist die EU eine Art Vaterlandsersatz. Man konnte ja nach 1945 nicht mehr Deutscher sein, aber als Europäer war eine Rückkehr auf die Bühne möglich. Die EU hat den Deutschen so existentiell viel gebracht. Verständlich, daß man das nicht wegwischt, sondern an einer scheinbar bewährten Struktur festhält. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, wie viel kritischer und offener die Debatte gerade in Deutschland geworden ist. Ihrer Kanzlerin wird vorgeworfen, sie watschle um die Abgründe herum, ohne die Probleme zu lösen. Vielleicht ist das Herumwatscheln das Beste, was ein deutscher Regierungschef in dieser verworrenen Lage tun kann. Mittelfristig, auch unter dem Einfluß dieser neuen Partei, sollte sich Deutschland dafür einsetzen, daß in Europa elementare rechtsstaatliche und demokratische Prozesse wieder befolgt werden.

„Demokratisch geerdet: Small is beautiful!“

Was meinen Sie genau?

Köppel: Die EU sollte vom Kopf auf die Füße gestellt, demokratisch geerdet werden. Deutschland sollte sich auch allen Brüsseler Großraum- und Machtphantasien aus schlechter historischer Erfahrung widersetzen. Small is beautiful! Heute ist die EU mit ihrem Zentralismus, ihren undurchsichtigen Entscheidungsstrukturen, ihrer Ausbremsung der Demokratie und des Rechtsstaats ein geradezu antieuropäisches Projekt, denn in Europa haben wir jahrhundertelang dafür gekämpft, um die Macht zum Bürger zu holen. Die Herrschaft nicht gewählter Funktionäre in arkanen bürokratischen Strukturen kann nicht der Höhepunkt europäischer Verfassungsentwicklung sein.

Roger Köppel ist Chefredakteur und Verleger des Schweizer Nachrichtenmagazins Die Weltwoche. Bekannt wurde er in Deutschland vor allem durch seine zahlreichen Talkshow-Auftritte, etwa bei „Anne Will“, „Maybrit Illner“, „Maischberger“,  „Hart aber fair“ und anderen. Die FAZ nennt ihn „den Unruhestifter der Schweizer Medienszene“, der Spiegel einen „Schweizer Nationalkonservativen“, die taz einen „Biedermann und Brandstifter“. Das Branchenmagazin Schweizer Journalist wählte ihn 2006 zum „Journalisten des Jahres“, und das Wirtschaftsmagazin Bilanz attestiert ihm, mit Themen wie Sozialmißbrauch, Ausländerintegration und Islamisierung in der Schweiz nationale Debatten angestoßen zu haben. Köppel, geboren 1965 in Zürich, begann bei der Neuen Zürcher Zeitung, wurde Vize-Chefredakteur des renommierten Züricher Tages-Anzeigers, 2001 Chefredakteur der Weltwoche, 2004 der Welt in Berlin, 2006 kehrte er zur Weltwoche zurück. Schließlich kaufte er das 1933 gegründete Traditionsblatt, dessen Auflage um die 80.000 Stück schwankt, und etablierte es als bedeutendste rechtsliberale Zeitschrift im deutschsprachigen Raum.

Foto: Köppel: „Viele Journalisten sind links und haben so einen verschobenen Blick auf die Realität ... Nicht nur der Euro, die EU ist eine Fehlkonstruktion, was sie aber nicht sehen wollen.“

www.weltwoche.ch

 

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