© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Beliebigkeit ersetzt Bekenntnis
Evangelische Kirche: Eine „Orientierungshilfe“ zu Ehe und Familie gibt die Schöpfungsordnung preis
Gernot Facius

Wolfgang Huber, von 2003 bis 2009 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und besonderer Sympathien für konservative Positionen unverdächtig, hatte gegen Ende seiner Amtszeit das Übel beim Namen genannt: Nichts schade dem Protestantismus so sehr wie eine „Selbstsäkularisierung“. Das kam dem berühmten Diktum des dänischen lutherischen Theologen und Philosophen Søren Kierkegaard sehr nahe: „Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, wird bald Witwer sein.“

Die aktuelle EKD-Führung unter Nikolaus Schneider meint, solche Mahnungen in den Wind schlagen zu können. Es geht Schlag auf Schlag. Erst beschließt die Synode der Kirche in Hessen und Nassau, die – auch innerkirlich umstrittene – Segnung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften aufzuwerten, sie weitgehend mit der traditionellen Trauung gleichzustellen und Homosexualität als Teil der Schöpfung zu erklären (JF 26/13), dann geht der Rat, also die Leitung der EKD, einige Schritte weiter. Er billigt eine „Orientierungshilfe“, die ein „erweitertes Familienbild“ postuliert. Es läßt, so die an der Ausarbeitung der 160-Seiten-Schrift beteiligte Soziologin Ute Gerhard, eine „Vielfalt unterschiedlicher Formen des privaten Lebens“ zu.

Gemeint ist der Abschied vom „Leitbild“ der Ehe von Mann und Frau. Homosexuelle Partnerschaften sind nach diesem Kurswechsel „auch in theologischer Sicht als gleichwertig anzuerkennen“. Und es geht noch weiter. Das Scheidungsverbot Jesu („Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen“) wird nicht mehr als verbindlich dargestellt, sondern es „erinnert die Paare und Eltern an ihre Verantwortlichkeit und macht Kirche und Gesellschaft deutlich, daß Verläßlichkeit für jede Gemeinschaft konstitutiv“ sei.

Zugegeben, für den Reformator Martin Luther war die Ehe ein „weltlich Ding“, von Gott gesegnet, aber kein Sakrament wie im Katholizismus. Doch legitimiert das die Verfasser der „Orientierungshilfe“ unter Leitung der ehemaligen Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD), auf ein wandelbares Eheverständnis zu schließen, sich ausdrücklich von der (katholischen) Vorstellung abzusetzen, wonach die lebenslange Ehe der Natur des Menschen entspricht?

„Ein normatives Verständnis der Ehe als ‘göttliche Stiftung’ und eine Herleitung der traditionellen Geschlechterrollen aus der Schöpfungsordnung entsprechen nicht der Breite des biblischen Zeugnisses“, formulierte die Ad-hoc-Kommission. Wieviel ökumenisches Porzellan wird hier zerdeppert?

Es liegt auf der Hand, daß vor allem die Relativierung der lebenslang gelebten Treue in Ehe und Familie durch das EKD-Papier dem Dialog der christlichen Konfessionen nicht förderlich ist, eher zusätzlichen Flurschaden anrichtet. „Es macht uns Sorge, daß Ehe hier gerade in ihrer unverwechselbaren Bedeutung geschmälert wird“, sagt der katholische „Familienbischof“ Franz-Peter Tebartz-van Elst (Limburg). Die (evangelische) Konferenz Bekennender Gemeinschaften wird deutlicher: Der „schrift- und bekenntniswidrige“ Text sei ein „ernstzunehmender Rückschlag“ für die Ökumene. Der EKD-Ratsvorsitzende Schneider kontert etwas hilflos: Die „Orientierungshilfe“ sei kein „lehramtliches Dokument“, sie propagiere auch nicht die Devise „Alles ist möglich“.

In der Öffentlichkeit wird das allerdings anders wahrgenommen. Die EKD-Spitze steht mit ihrer vollen Autorität hinter dem Papier. Es will nach Schneider „die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen, wie sie ist“. Ein verräterischer Satz. Die Evangelische Kirche wolle nicht mehr urteilen, sondern nur noch verstehen, schrieb Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer. „Fühl dich wohl“ heiße die frohe Botschaft. Fleischhauer erkennt in dem Papier das „Dokument eines spektakulären Versuchs der Verweltlichung von innen, wie ihn so noch keine der großen Religionen unternommen hat“.

Mit anderen Worten: Beliebigkeit ersetzt Bekenntnis. Eine Kirche reagiert wie eine politische Partei, die sich der „Wirklichkeit“ anpaßt. Genau das ist es. Am Beispiel der „Orientierungshilfe“ lassen sich die entscheidenden Bruchstellen in der Ökumene erkennen. In der römisch-katholischen Kirche debattiert man über eine „Entweltlichung“, in den reformatorischen Kirchen fährt der Zug ganz klar in Richtung Verweltlichung. Das war bei der Diskussion über den Lebensschutz so, nun erfährt die „Kuscheltheologie“ eine weitere Steigerung.

„Wie bitte will man sich über die großen theologischen Fragen verständigen, wenn es schon beim kleinen christlichen Einmaleins keinen Konsens mehr gibt?“ Zu Recht stellt die katholische Tagespost diese Frage. Das so wichtige gemeinsame Zeugnis der christlichen Kirchen habe sich nach dem Lebensschutz nun auch beim Thema Familie erledigt.

Immerhin gibt es vereinzelte Lichtzeichen am Horizont. Der Vorsitzende der (theologisch konservativen) Evangelischen Allianz, Michael Diener, besteht auf einer Diskussion über theologische Mängel der „Orientierungshilfe“. Er listet einige von ihnen auf. So werde aus der schöpfungsgemäßen Polarität von Mann und Frau die allgemeine „Angewiesenheit auf ein Gegenüber“. Biblische Stellen, die von „zärtlichen Beziehungen zwischen Männern“ sprächen – ohne Textbeleg –, dienten zur Relativierung der biblischen Aussagen über praktizierte Homosexualität als Sünde. „Wieviel theologischer Einseitigkeit bedarf es, um wegzudenken, daß in der gesamten biblischen Überlieferung die Polarität der Beziehung von Mann und Frau als schöpfungsgemäß und konstitutiv betrachtet wird?“ Exakt, das ist hier die Frage.

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