© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Der Mann, der zu einer zweiten Geburt verhilft
Geistige Rechte: Viele Schriften des vor zehn Jahren verstorbenen Armin Mohler haben bleibenden Wert
Karlheinz Weissmann

Nachruhm ist für den Jüngeren eine abstrakte Sache, für den Älteren nicht. Mit den Jahren, dem Überschreiten der „Schattenlinie“ (Joseph Conrad) und dem Heranwachsen der folgenden Generationen wird erst deutlicher, wie viel wie schnell vergessen wird. Man sieht, welche Ereignisse, obwohl von den Zeitgenossen mit Staunen beobachtet, kaum Folgen hatten, welche Skandale oder Debatten von gestern heute niemand mehr interessieren, obwohl sie die Öffentlichkeit erregten, Existenzen vernichteten oder Karrieren begründeten. Man sieht, welche Behauptungen und Ideen einmal mit größtem Einsatz und unter Opfern verfochten wurden, um dann im Klein-Klein des Alltags und unter gewandelten Bedingungen jede Relevanz zu verlieren, welche früher einflußreichen und berühmten Männer samt ihren Werken Geschichte sind. Geschichte sind in dem Sinn, daß sie nicht mehr zur lebendigen Erinnerung gehören.

Der am 4. Juli vor zehn Jahren verstorbene Publizist Armin Mohler zählte niemals zu den ganz einflußreichen und berühmten Männern, nicht im Weltmaßstab und nicht im europäischen, kaum im deutschen. Trotzdem war er zwischen den 1960er und 1980er Jahren eine Größe, gab es Zeiten, in denen er nicht nur selbstverständlich zur Sache befragt wurde, sondern als ausgewiesener Spezialist auf verschiedenen Feldern – rechte Ideologien, Frankreich, Carl Schmitt, die gegenständliche moderne Malerei – galt.

Teilhabe am öffentlichen Diskurs

Davor lag die Zeit der Reifung: von der Kindheit und Jugend in Basel, wo er am 12. April 1920 geboren wurde, dem Studium in der Heimatstadt, über die Abkehr von der Linken, das deutsche Abenteuer (gemeint ist der Versuch, als Freiwilliger in die Waffen-SS einzutreten), die Doktorarbeit zur Konservativen Revolution (1949), die zum Standardwerk wurde, die Jahre als Ernst Jüngers Sekretär, bis zur Arbeit als Korrespondent schweizerischer und deutscher Zeitungen in Paris, die Rückkehr in die Bundesrepublik und die Übernahme der Leitung der Siemens-Stiftung in München.

Als Mohler diesen Posten 1962 antrat, waren die, wie sein Freund Caspar von Schrenck-Notzing sagte: „halkyonischen Jahre“, also die Zeit der Windstille, schon vorbei. Aber noch nicht ganz, es war nicht entschieden, in welche Richtung die Entwicklung im Westen wie in der Bundesrepublik gehen würde. Die Linke, aber vor allem eine besondere Variante des linken Liberalismus, hatten sich schon wichtige Machtpositionen in den Medien, Presse, Rundfunk und – immer wichtiger – dem Fernsehen, gesichert. Aber es gab auch Gegenbastionen, nicht nur da, wo man sie erwarten durfte, in den Kirchen, den bürgerlichen Parteien und Verbänden, es gab auch eine gewisse konservative Bereitschaft, die Bedeutung der intellektuellen Auseinandersetzung anzuerkennen.

Liest man die Diskussionsbeiträge dieser Zeit, dann mit Staunen. Nicht daß es an Schärfe des Tonfalls oder Polemik oder Grundsätzlichkeit gefehlt hätte, eher im Gegenteil. Aber es existierte doch die selbstverständliche Überzeugung, daß die Verschiedenheit der Sichtweisen in der Sache selbst begründet liege, daß es schlechterdings nicht sein konnte, daß man zur Westbindung, zu den Notstandsgesetzen, zum Atomwaffensperrvertrag, zur Aufhebung des Pornographieverbots einer Meinung war.

Nur in dieser Atmosphäre konnte ein Buch wie Mohlers „Was die Deutschen fürchten“ (1965)– eine immer noch lesenswerte Analyse unseres Nationalcharakters – bei einem Publikumsverlag erscheinen, mehrere Auflagen erleben und selbstverständlich überall rezensiert werden. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, man dürfe Leuten wie ihm kein Forum bieten, man solle ihn nicht „wichtigmachen“, sondern müsse ihn „totschweigen“.

Allerdings bedeutete das auch, daß sich der Erfolg nicht einfach wiederholen ließ, daß diese Art von Teilhabe an der Öffentlichkeit im Gefolge von ’68 immer schwieriger einzufordern war. Zum Schweigen hat das Mohler aber nicht verurteilt. Sogar nach seinem Bruch mit dem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, in dem er lange den Hoffnungsträger einer realistischen deutschen Politik gesehen hatte, blieben ihm große Zeitungen (etwa Welt und Welt am Sonntag), vor allem aber Zeitschriften (in erster Linie Criticón), mit einem beschränkten, aber ansehnlichen Leserkreis.

Und es ist zu betonen, daß in einer Phase des Übergangs, bevor die linke Strukturmehrheit zementiert war, der Überzeugungsrest fortlebte, man müsse sich von Fall zu Fall auch mit dem Gegner beschäftigen. So ist Mohlers Buch „Vergangenheitsbewältigung“ zwar ab der zweiten Auflage in einem Milieu-Verlag erschienen, aber die breite Rezeption zeigte doch, daß man keineswegs der Meinung war, seine scharfsinnige Analyse dieses Phänomens einfach unkommentiert lassen zu können.

Im Grunde war er kein Nostalgiker

Dennoch sah Mohler sich in der Folge immer weiter isoliert, so wie jeder aus den Reihen der „undogmatischen Rechten“, also jener Männer, die hinter keinem kultur-, christlich- oder wertkonservativen Schutzschirm Deckung nehmen konnten. Sie einte die Überzeugung, daß die deutsche Geschichte nicht 1945 geendet habe, daß infolgedessen ein Übertritt auf die Seite der Sieger nur vorübergehend in Frage komme und die entscheidende Aufgabe darin bestehe, wieder handlungsfähig zu werden, mithin die Maßnahmen nach innen wie nach außen vorzubereiten, um dieses Ziel zu erreichen. Im Laufe der Zeit zeichnete sich sehr deutlich ab, daß Mohler der profilierteste Kopf dieses Lagers war. Das hatte ganz wesentlich mit seinem Ideenreichtum zu tun, der Pointiertheit seiner Texte, der Unerschrockenheit seiner Argumentation.

Gesprächsweise äußerte Mohler einmal, daß er wie alle Konservativen eine Neigung habe, „verlorene Sachen“ zu verteidigen. Tatsächlich könnte man eine lange Liste mit solchen „Sachen“ erstellen, auf der der Nationalbolschewismus Ernst Niekischs genauso verzeichnet wäre wie die Autonomiebestrebungen der Bretagne oder die Organisation eines „deutschen Gaullismus“.

Aber man sollte sich nicht täuschen lassen, im Grunde war Mohler kein Nostalgiker und unsentimental. Seine Beschäftigung mit den historischen Formen der Rechten – auf das Buch über die „Konservative Revolution in Deutschland“ war schon hingewiesen worden, zu nennen sind außerdem der brillante Essay „Der faschistische Stil“ und sein Alterswerk über Georges Sorel – dienten doch letztlich alle der Klärung der Frage, ob es eine moderne Form des Konservatismus geben könne, eine rechte Bewegungspartei, der es gelänge, nicht mehr nur zu reagieren, sondern zu agieren und damit der Linken und dem Mainstream tatsächlich etwas entgegenzusetzen.

Die heutigen Verehrer Mohlers bewundern ihn vor allem als den, der zur „zweiten Geburt“ hilft, jener Erkenntnis, durch die dem Menschen plötzlich klar wird, was Staffage ist, was nicht. Zur „zweiten Geburt“ gehört auch, daß man das Zeitbedingte im Werk Mohlers deutlich sehen muß, auch im Hinblick auf die Zuspitzung, die er oft genug wählte, weil sie ihm als einzige Möglichkeit erschien, etwas gegen die Übermacht auszurichten, oder weil sie seinem Temperament entsprach. Aber davon abgesehen haben seine Bücher und Aufsätze einen bleibenden Wert, weil sie zeigen, was es bedeutet, zur geistigen Rechten zu gehören.

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