© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Mit der Kamera von Kanada bis Korea
Über Grenzen: Fotografen der Ostkreuz-Agentur stellen in Dresden aus
Paul Leonhard

Bedrohlich ragt die Silhouette eines Wachturms aus dem Nebel. Tief hängen die Wolken. Auf dem Beton ist ein Geländer zu erkennen. Hier standen die Posten. Hier verlief einst der 1.400 Kilometer lange Todesstreifen an der innerdeutschen Grenze. Die aktuellen Schwarzweiß-Aufnahmen von Ute und Werner Mahler zeigen, wie schnell die Natur die vom Menschen nicht mehr benötigten Anlagen schleift.

Andere Zäune und Mauern sind höchst aktuell. Die Rede ist nicht von Israel, sondern von Nordirland. In Belfast wurde 1969 eine „Friedenslinie“ projektiert. Es handle sich um eine „temporäre Maßnahme“, wurde den Einwohnern versichert, als die ersten Absperrungen zwischen katholischen und protestantischen Vierteln errichtet wurden.

Aber noch heute sind Straßen, Parks und Gärten von Mauern und Stacheldraht zerschnitten und kaum jemand glaubt, daß das Zusammenleben anders funktionieren könnte. Anne Schönharting war in Belfast unterwegs und hat den Alltag auf beiden Seiten der Mauern fotografiert. Ihre vor zwei Jahren entstandenen Aufnahmen sind Teil der Ausstellung „Über Grenzen“, die derzeit im Deutschen Hygiene-Museum Dresden zu sehen ist.

Präsentiert wird eine große Schau der 1990 gegründeten Berliner Fotoagentur Ostkreuz. Die ihr angehörenden Fotografen planen alle fünf Jahre eine Ausstellung und ein Buch zu einem gemeinsamen Thema, das eine „gesellschaftliche Relevanz“ haben muß, wie die Fotografin Ute Mahler betont. „Über Grenzen“ ist so ein Thema und die etwa 200 Aufnahmen der 18 Fotografen beweisen, wie vielseitig es auslegbar ist. Die Bilder erzählen, wie Menschen Sicherheitsanlagen überwinden wollen, die sie ausgrenzen, und andere die Grenzen mit immer ausgereizterer Technik sichern. Sie erzählen von aus politischen Gründen willkürlich gezogen Grenzen sowie vom Leid und Schmerz, die Grenzen anrichten. Sie machen auf Grenzkonflikte aufmerksam und auf die Verantwortung der Menschen füreinander.

Die Recherchen führten rund um den Globus. Die Fotografen waren in Eu-ropa, Asien, Afrika und Amerika unterwegs. Im Südsudan war Espen Eichhöfer dabei, wie ein neuer Staat mit neuen Grenzen entstand. Er hat die Nationalgarde vor einem Staatsempfang fotografiert und auf einer Stadionmauer sitzende Zuschauer eines Fußballspiels zwischen Südsudan und Kenia am ersten Tag nach der Unabhängigkeit.

Fast vergessen ist der Völkermord in Ostpakistan. Millionen Menschen flüchteten; das westlich der Grenze liegende Kalkutta wurde von diesem Migrantenstrom geformt. Fast 30 Prozent der Einwohner stammen aus Bangladesch, wie Ostpakistan später genannt wurde. Einige von ihnen hat Thomas Meyer porträtiert.

Genauso beeindruckend sind die Porträtaufnahmen, die Annette Hauschild von Zigeunern in Italien, im Kosovo, der Slowakei und Ungarn gemacht hat. Ausgegrenzte Menschen – Stricher, Prostituierte, Transvestiten – am alten Busbahnhof im Zentrum Tel Avivs sind das Thema von Tobias Kruse. Was mit Volksstämmen passiert, die traditionell keine Grenzen kennen und akzeptieren, zeigt Dawin Meckel am Beispiel eines Indianerstammes im Westen Kanadas.

Und da ist die streng bewachte Mauer, die Koreas mehrere tausend Jahre alte Kultur und vor allem seine Menschen seit sechzig Jahren in einen kommunistischen Norden und einen kapitalistischen Süden trennt. Ihr hat sich der Fotograf Jörg Brüggemann genähert. Heinrich Völkel war in Zypern unterwegs und hat die nach der Invasion türkischer Truppen 1974 zwischen Nord- und Südzypern errichtete „Green Line“ mit ihren Sandsäcken und Schießscharten in den Kamerablick genommen. Das traurige Schicksal von elternlosen Kindern in bulgarischen Heimen hat Pepa Hristova mit der Linse eingefangen.

Deutschland kommt mit Fotos von Sibylle Fendt in der Schau vor, weil es 90.000 Flüchtlinge in einem nach Meinung der Ausstellungsmacher „zermürbenden Asylverfahren“ festhält, in dem es Jahre dauern könne, bis entschieden werde, ob sie diesseits und jenseits der Grenze einsortiert werden.

Auch bei den Fotos, die Julian Röder vom Einsatz der international besetzten Frontex-Patrouillen an der EU-Grenze gemacht hat, vertrauen die Kuratoren nicht auf die Wirkung der Aufnahmen, sondern mehr auf die Wirkung der Begleittexte. Die EU-Grenzpolizei sei mit Wärmebildkameras, Bewegungsmeldern und elektronischen Zäunen, die wie Menschenfallen funktionierten, ausgerüstet, um Einwanderer abzuwehren.

Dabei ist die Ausstellung vor allem dann stark, wenn sie auf belehrende Wertungen verzichtet. Fotografie sei ein Medium der Aufklärung, der begleitende Text kanalisiere die Phantasie, warnte Matthias Flügge, Rektor der Hochschule für Bildende Künste Dresden, in seiner Eröffnungsrede. Eine qualitativ hochwertige Fotoausstellung dürfe nicht wie ein „Nachrichtenmagazin an der Wand“ daherkommen.

Die Bildsprache der an der Ausstellung beteiligten Fotografen ist sehr unterschiedlich, die Wirkung ihrer Bilder auf den Betrachter auch. Verschiedene künstlerische Handschriften und fotografische Positionen werden sichtbar, nicht alle überzeugen.

 

Jörg Brüggemann, Muscheln sammeln, Songjiho Beach, Südkorea, Juni 2012;

Anne Schönharting, Gerry Reynolds, katholischer Priester, Bombay Street, West Belfast, 2011: Grenzen sind nicht unverrückbar

Die Ausstellung„Über Grenzen“ ist bis zum 11. August 2013 im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden, Lingnerplatz 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 03 51 / 48 46-400

Der Ausstellungskatalog mit 296 Seiten und 160 Abbildungen kostet 38 Euro. www.dhmd.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen